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Studentenprotest

© dpa

Bildung: Gebühren als Studierbremse

Immer mehr Abiturienten studieren. Noch mehr würden den Trend mitmachen, wenn sie keine Finanzsorgen hätten.

Am Sonntag bei „Anne Will“ stritt sich Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) mit dem Sozialexperten der SPD, Rudolf Dreßler, über den aktuellen Bildungsstreik. Schavan vertrat in der Fernsehdebatte die Meinung, Studiengebühren wirkten auf Abiturienten nicht abschreckend. Dreßler hingegen erklärte, das Gegenteil sei der Fall, Abiturienten aus einkommensschwachen Familien würden durch Gebühren sehr wohl vom Studium ferngehalten. Wer hat Recht?

Schavan berief sich auf neue Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Danach hat sich in diesem Jahr ein so hoher Anteil von Abiturienten an den Hochschulen eingeschrieben wie nie zuvor. Die Anfängerquote stieg gegenüber dem Vorjahr um drei Prozent auf 43,3 Prozent. Auch in Ländern, die Gebühren nehmen, in Bayern, Baden-Württemberg oder NRW, stieg die Quote. Ausgerechnet in den gebührenfreien Zonen im Osten, darunter Brandenburg oder Sachsen, war der Zuwachs weit geringer, Sachsen-Anhalt musste sogar Einbußen hinnehmen.

Dreßler berief sich hingegen auf eine Studie des von Bund und Ländern getragenen Hochschulinformationssystems (HIS) vom vergangenen Jahr. Das HIS betrachtete dabei nicht nur die Studierquote insgesamt, sondern interessierte sich für die Motive derjenigen Abiturienten, die auf keinen Fall studieren wollen, im Jahr 2006 waren das 28 Prozent. Finanzielle Gründe rangierten dabei der Studie zufolge insgesamt an erster Stelle. 24 Prozent in der Gruppe der Studierunwilligen gaben an, ihnen fehlten allgemein die finanziellen Voraussetzungen für ein Studium. Und 26 Prozent kreuzten an, „Studiengebühren übersteigen meine finanziellen Möglichkeiten“.

Rückenwind bekommt Dreßler jetzt von der aktuellen HIS-Untersuchung über den Jahrgang 2008, deren vorläufige Fassung das Bundesbildungsministerium am Montag dem Bildungsausschuss des Bundestags zukommen ließ und die dem Tagesspiegel vorliegt.

Die Forscher vom HIS bestätigen zwar den Befund des Statistischen Bundesamts: Der jahrelange Trend wachsender Unlust auf ein Studium ist gestoppt.Doch innerhalb der Gruppe, die sich entgegen dem Trend nicht für ein Studium entscheidet (nun noch 24 Prozent), spielen finanzielle Engpässe und Gebühren eine große Rolle – vermutlich noch mehr als in den Jahren davor, wie Heiko Quast, einer der Autoren der Studie, auf Nachfrage sagt. Einen direkten Vergleich mit den Studien in den Vorjahren sei allerdings nicht möglich, weil die Wissenschaftler ihre Methode verändert haben.

Anders als bei der vorherigen Untersuchung hatten zum Zeitpunkt der Befragung sieben Länder Gebühren von in der Regel bis zu 500 Euro eingeführt: Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen (im Sommersemester 2007), Nordrhein-Westfalen (Wintersemester 2006/2007), das Saarland und Hessen (Wintersemester 2007/2008) – Hessen schaffte seine Gebühren zum Wintersemester 2008/2009 ab.

Die befragten Abiturienten konnten bei 14 möglichen Motiven auf einer Skala von eins bis fünf angeben, wie stark sie für ihren Studienverzicht verantwortlich sind. Über drei Viertel der Abiturienten, die ein Studium für sich ausschließen, gaben als „starkes“ oder „sehr starkes“ Motiv an, „die nötigen finanziellen Voraussetzungen“ für ein Studium nicht zu haben. 73 Prozent erklärten, sie wollten am Ende des Studiums keine Schulden aus Studienkrediten oder dem Bafög haben. Und 69 Prozent sagten, „Studiengebühren überschreiten meine finanziellen Möglichkeiten“. Bei den Frauen waren es sogar drei Viertel gegenüber 57 Prozent bei den Männern.

Rudolf Dreßler hat sich bei „Anne Will“ auch auf eine neue Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) berufen. Dessen Forscher sehen einen Zusammenhang zwischen Studiengebühren und dem Wanderungsverhalten der Studierenden im Wintersemester 2007/2008: Zwar können sich die Länder mit Gebühren noch immer über zusätzliche Erstsemester aus anderen Ländern freuen, sie machen „in summa noch immer Wanderungsgewinne“, wie die Wissenschaftler schreiben. Doch ihr Saldo sinkt, während die Länder ohne Gebühren aufholen: „Der Abstand beider Gruppen hat sich durch die Trendumkehr fast vollständig geschlossen“, stellen die Wissenschaftler fest (siehe Grafik). Während die ostdeutschen Flächenländer ihre Wanderungsbilanzen „erheblich verbessern“ und auch die westdeutschen studiengebührenfreien Länder ihre Bilanz weiter ausbauen, verlief die Entwicklung in den meisten Ländern, die Gebühren nehmen, demnach „konträr“.

Das gleiche Muster gelte für die Stadtstaaten. Hamburg, das im untersuchten Zeitraum noch nicht auf dem Studium nachgelagerte Gebühren umgestellt hatte, musste eine „starke Abschwächung der Zuwanderung von Erstsemestern“ hinnehmen. Berlin und Bremen legten zu.

Eine Ausnahme gibt es aber auch: Bayern gewinnt 30 Prozent mehr Erstsemester dazu als es verliert – obwohl es Gebühren nimmt. Die Forscher nehmen an, dass es vom Nachbarland Baden-Württemberg profitiert, das ebenfalls Gebühren nimmt, aber bei den Studierenden nicht mit der Reputation der bayerischen Hochschulen mithalten kann.

Die Wissenschaftler vom IWH empfehlen den ostdeutschen Ländern, keine Gebühren einzuführen. Zwar würden „Qualitäts- und Reputationsgesichtspunkte“ per se für Gebühren sprechen. Doch seien die damit für die deutschen Hochschulen eröffneten Finanzspielräume zu gering, um „eine signifikante Verbesserung der Lehre zu gewährleisten“. Auch gingen „Reputationssignale“, die Gebühren generell aussenden könnten, im deutschen Gebührensystem verloren: „Nehmen fast alle Hochschulen in Westdeutschland eine einheitliche Gebühr, ist der Informationswert dieses Preises nahe null.“ Letztlich werde Ostdeutschland stärker profitieren, wenn es gebührenfrei bleibe und so mehr westdeutsche Abiturienten anziehe. Diese würden dann feststellen, dass die Qualität der ostdeutschen Unis besser als bislang im Westen angenommen ist und so eine „langfristig positive Reputationswirkung“ erzeugen.

Nach ersten Erfahrungen mit Studiengebühren seit fast 40 Jahren in Deutschland lässt sich also festhalten: Im studierunwilligen Viertel der Abiturienten wirken sie durchaus abschreckend. Und nicht wenige Studierende gehen ihnen durch Umzug aus dem Weg.  

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