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Schülerinnen einer pakistanischen Schule in Uniform beim morgendlichen Appell.

© Stefan Trappe/epd

Update

Bildung im arabischen Raum: Schulbücher vermitteln autoritäres und islamistisches Weltbild

TV-Journalist Schreiber analysiert Schulbücher von Ägypten bis Afghanistan. Er entdeckt Erwartbares und setzt auf Islam-Vorbehalte. Eine Kritik.

In Schulbüchern lässt sich nachlesen, was eine Gesellschaft oder ihre Machthaber der jungen Generation einzutrichtern wünschen. Von demokratischen Gemeinwesen sollte man sich Erziehung zu Mündigkeit, Plädoyers für Gleichheit, weltanschauliche Toleranz und Menschenrechte erwarten. Die Schulbücher in diktatorisch regierten Staaten dagegen werden Unterordnung unter Autorität predigen, vermutlich Nationalismus und ganz sicher das Freund-Feind-Schemata, Kriegsrhetorik eingeschlossen.

Schließlich lässt sich mit einem Bedrohungsszenario von außen jede Repression nach innen sehr schön rechtfertigen. Insofern trägt Eulen nach Athen, wer sich die Schul(ungs)materialien vorknöpft, die die Mächtigen in Zwangssystemen für geeignet befunden haben. Einen Scoop landet jedenfalls keiner, der entdeckt, was vernünftigerweise nicht anders zu erwarten war.

Gefunden, was so zu erwarten war

Constantin Schreiber, im Hauptberuf Moderator für "ARD aktuell" und zeitweise Kairo-Korrespondent der ARD, hat eine ganze Eulenpopulation nach Athen transportiert. Für sein jüngstes Buch „Kinder des Koran“ hat er Schulbücher aus acht Ländern des Nahen Ostens gelesen oder sich übersetzen lassen, die Ergebnisse der Lektüre für den Druck dann auf Afghanistan, Iran, Ägypten, das palästinensische Autonomiegebiet und die Türkei konzentriert, allesamt keine funktionierenden Demokratien, wenn auch in abgestufter Grausamkeit.

Entdeckt hat Schreiber und dokumentiert es auf - ermüdend - vielen Seiten: Nationalismus, Freund-Feind-Denken, Antisemitismus und die Rechtfertigung von Ungleichheit. So weit so traurig. Und so erwartbar. Einige seiner vorgeblichen Enthüllungen sind von unfreiwilliger Komik, etwa wenn Schreiber sich über ein ägyptisches Haushaltskundebuch empört, das Styling-Tipps für Mädchen verbreitet und den dickeren von breiten Gürteln abrät, weil sie, so das Werk, „die Nachteile ihrer Körper“ betonten.

Kommentar des Autors Schreiber, der offenbar nie Heidi Klums GNTM oder eine deutsche Teenie-Gazette gesehen hat: „Dahinter steht natürlich der Gedanke, die Mädchen möglichst attraktiv für künftige Ehemänner zu machen. Denn der Platz der Frau ist das Heim, vermittelt das Lehrbuch.“

Vom autoritären Unterricht zum autoritären Charakter?

Schreiber geht es ohnehin nicht um die Verheerungen, die autokratische Systeme in jungen Köpfen anrichten: Die derart Unterwiesenen sind für ihn, der Titel sagt es bereits, durchweg Opfer des Islam, religiös Indoktrinierte, eben „Kinder des Koran“. Das sind sie selbst da, wo er bei seiner Durchsicht den Hinweis findet, dass die Gläubigen solchen Herrschenden nicht gehorchen dürfen, die Gottes Willen verfälschen.

Man könnte den Satz so lesen, dass da ein Widerstandsrecht gegen Unrechtsregime mit einem religiösen Argument stark gemacht wird. Nicht so Schreiber. Ihm fällt dazu nur die Erzählung von der fehlenden Trennung von Politik und Glauben im Islam ein: „Eine Trennung zwischen Staat und Religion ist nicht vorgesehen, anders kann ich diese Passage nicht verstehen.“

Das ist nicht nur an dieser Stelle ein Problem. Vieles, was Schreiber liest und hört, scheint er nicht zu verstehen. Das beginnt schon mit seiner Grundannahme, dass autoritäre Indoktrination schnurgerade autoritäre Charaktere produziere. Wäre das so, würde es die al-Sisis und Erdogans dieser Welt sicher freuen.

Geld für die Schulbücher kommt aus Europa

Nur gibt es aber nicht wenige Jesuitenschüler, die als glühende Kommunisten endeten und Absolventinnen kommunistischer Kaderschmieden oder Kinder von rotem Adel, die später strikte Antikommunistinnen wurden. Die Generation der 1920er Jahrgänge, die die NS-Pädagogik von der ersten Klasse an formte, war die, die nach 1945 die westdeutschen Demokratie trug. Und nicht zuletzt der Arabische Frühling und die Grüne Revolte im Iran bewiesen schlagend, dass – religiöse wie säkular-autoritäre – Indoktrination kein besonders effektives Mittel ist, Menschen den Freiheitswillen auszutreiben.

Doch Schreiber scheint als Bildungserlebnis aus seiner katholischen Schule vor 25 Jahren – die er ausführlich als „überdurchschnittlich konservativ“, aber dennoch aufgeschlossen diskussionsfreudig rühmt – nur sein Gottesbild mitgenommen zu haben. Demnach hat Gott gütig zu sein – und kann folglich nicht der Gott des Islam sein. Dass mehrere Studien mit Geflüchteten und Migranten über Generationen hinweg herausfanden, dass gerade ihr Vertrauen zu Demokratie und Rechtsstaat besonders groß ist, kommt in seinem Buch folgerichtig nicht vor.

Einen starken Augenblick hat Schreibers Buch, wo er seine Recherchen zur Finanzierung der untersuchten Machwerke schildert – und von der Weltbank, UN-Organisationen und von deutschen und diversen Bundesministerien nur Ausflüchte oder die Behauptung erhielt, man selbst sei nicht zuständig. Die Indizien sind aber erdrückend, dass die Schundproduktion ordentlich mit öffentlichem Geld aus Europa und New York am Laufen gehalten wird – was dringend beendet werden sollte. Dass unser Teil der Welt in der Region auch Waffen finanziert, die lebensgefährlicher sind als fundamentalistische Schulbücher, ist Schreiber dann freilich keine Erörterung wert. 

Vergleichslektüre fehlt

So wie er auch überaus schwach seinen Ansatz begründet, alles Übel, das er findet, „dem“ Islam in die Schuhe zu schieben. Er habe sein Buch „Kinder des Koran“ genannt, „weil in allen Büchern ein muslimisches Weltverständnis in mehr oder weniger ausgeprägter Form eine Rolle spielte“. Um das spezifisch Religiöse beziehungsweise Islamische bis Islamistische herauszupräparieren, – und natürlich ist Religion ausgezeichnet als Stütze für politischen Autoritarismus brauch- und missbrauchbar -, hätte es statt eines wolkigen Satzes Vergleichslektüre gebraucht, etwa zeitgenössische chinesische Schulbücher, sowjetische oder die der NS-Zeit. Natürlich könne man sich auch kritisch mit fundamentalistischem Christentum auseinandersetzen, gibt der Autor während der Buchvorstellung am Donnerstag zu, man hätte auch andere Länder mit muslimischer Mehrheit nehmen können. Doch er habe "einfach einen anderen Ausschnitt" und sich dabei auf die Länder konzentrieren wollen, "wo wir politisch oder durch Migration einen besonderen Draht haben".

Das wird im Buch überaus deutlich. Die beiden Argumentationsstränge vom im Kern antidemokratischen Islam und der pädagogischen Einbahnstraße, nach der antidemokratische Schulen Antidemokraten entlassen, braucht Schreiber, um jene Gefahr zu beschwören, die den Kern seiner „Kinder“ ausmacht: Die Gefahr für „uns“, wenn diese Leute nach Europa dringen.

„Nun könnte man meinen“, schreibt Schreiber, „dies alles sei weit weg, Schulen in Ägypten, dem Iran und Afghanistan . „Aber möglicherweise ist der Schaden, den schlechte Bildung in muslimischen Ländern anrichtet, auch bei uns spürbar.“ Zum Beleg dient ihm unter anderem, dass „junge Muslime mit ausländischen Wurzeln“ aus Schreibers Bekanntenkreis, „die ich  als  absolut  modern  und  reflektiert  kennengelernt habe, die zudem noch in deutschen Medienunternehmen arbeiten“ die zitierten Schulbücher als „ganz normal“ empfanden, als er sie darauf ansprach.

Coffeetable Book für Islamhasser

Als ob man nicht auch hierzulande vieles in seiner Schulzeit nicht weiter hinterfragt hätte, was man aus der Rückschau als monströs empfindet. Oder soll hier ein weiteres populäres Bild nachgezeichnet werden – das der scheinbar „absolut modernen und reflektierten“ Muslima, des Muslims, die man auf den zweiten Blick dann doch als erzreaktionäre Frömmlerinnen und Antidemokraten entlarven kann? 

Nach der kürzlich publizierten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung hegt ein knappes Fünftel der deutschen Bevölkerung starke Vorbehalte gegen den Islam und Muslime. Ein ordentliches Marktsegment, das Verlage ausschöpfen können. Die Reflexionsarmut eines Buchs zum Thema ist da kein Hindernis. Dem Markterfolg des Coffeetable Books für Islamhasser, das Constantin Schreiber verfasst hat, wird es eher nutzen.

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