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Geflüchtete lernen in einem Volkshochschulkurs in Berlin Mitte Deutsch.

© Bernd Von Jutrczenka/pa/dpa

Bildung in Berlin: Volkshochschulen wollen ins digitale Zeitalter

Näher ran an die Kunden: Die 12 Berliner Volkshochschulen fordern Millionen Euro für ein gemeinsames Servicezentrum. Alle Kurse sollen über gemeinsame App auffindbar sein

„Besonders die Leute auf der Straße haben mich sehr geholfen – oder mir?“, fragt ein junger Syrer lächelnd in die Kamera. Das Werbe-Video der Berliner Volkshochschulen für kostenlose Deutschkurse ist professionell gemacht. Um Landsleute zu motivieren, sprechen Geflüchtete über die ersten Worte, die sie gelernt haben, und über ihre Zukunftspläne.

Michael Weiß, Direktor der Volkshochschule Mitte, ist stolz auf die Kampagne und das umfassende Kursangebot mit über 70.000 Teilnehmenden im vergangenen Jahr. Dazu zählen auch Elternkurse in Kitas und Schulen sowie Sprachtests zur Einbürgerung. „Bei den Deutsch- und Integrationsangeboten gibt es eine berlinweite Abstimmung unter den zwölf VHS-Standorten, das funktioniert sehr gut.“ Doch Weiß und seine Kolleginnen und Kollegen an den insgesamt zwölf Berliner Volkshochschulen wollen mehr – mehr Kooperation in allen Bereichen und mehr Geld.

Geplant sind eine Programm-App und inhaltlich abgestimmte Kurse

Jährlich zwei Millionen Euro zusätzlich vom Land Berlin fordern sie für ein neues gemeinsames Servicezentrum. Dort sollen nicht nur die Deutschangebote koordiniert, sondern das gesamte Programm auch für die Kultur-, Gesundheits- oder Sportkurse abgestimmt und vermarktet werden. Die Stärke der zwölf Standorte liege zwar darin, dass sie in jedem Bezirk vertreten seien und „kieznah“ auf die Interessen der Berliner eingehen könnten. „Doch gleichzeitig verstehen die Kunden uns als eine Einrichtung“, sagt Weiß. Deshalb müssten sich alle Kurse über einen modernen und attraktiven Internetauftritt und auch über eine App erschließen lassen und inhaltlich „anschlussfähig“ sein. „Wenn ich in Mitte einen B2-Kurs in Englisch abgeschlossen habe, muss der Konversationskurs in Tempelhof-Schöneberg dazu passen“, sagt Weiß.

Überhaupt wollen sich die Volkshochschulen für das digitale Zeitalter fit machen. Während sich das Berufsleben schnell in Richtung Arbeitswelt 4.0 verändert, entwickele sich das passende Kursangebot nur schwerfällig, gibt Weiß zu. Um die eigene und die von Teilnehmern mitgebrachte IT-Technik abzustimmen, Programme für das digitale Lernen – in der VHS und zu Hause – aufzustellen und die Kursleiter fortzubilden, sei eine zentrale Stelle unerlässlich.

Finanzspritzen des Senats reichen nicht für Neues

Versprochen hat der Senat diese bereits im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag vom November 2016. „Das Servicezentrum befindet sich im Aufbau“, teilt die Bildungsverwaltung jetzt auf Anfrage mit. Im kommenden Doppelhaushalt seien Mittel eingeplant, um die Arbeit in den Bereichen Integration, Digitalisierung, Marketing und Programmentwicklung zu stärken.

Dabei geht es allerdings nicht um zwei Millionen Euro pro Jahr, sondern um 250.000 Euro für 2018 und 500.000 Euro für 2019. Das würde gerade einmal reichen, um die Geschäftsstelle für die Sprach- und Integrationskurse weiterzubetreiben, klagt Michael Weiß. Deren Förderung aus dem Berliner Masterplan Integration läuft Ende dieses Jahres aus. Unterfinanziert seien auch die bereits bestehenden Servicestellen für Prüfungen und für die VHS-IT.

Kein ausreichender Spielraum also für die Neuerfindung der Berliner Volkshochschulen? „Mit dem Geld kann man keinen neuen Bereich aufbauen“, sagt auch Clara Herrmann (Grüne), Stadträtin für Kultur und Weiterbildung in Friedrichshain-Kreuzberg. In der Erwachsenenbildung seien die Volkshochschulen schon heute „sehr attraktiv für die Berlinerinnen und Berliner“. Doch sie bräuchten noch mehr Kundenorientierung, etwa durch eine Hotline für Fragen zu den Kursen, durch E-Learning-Angebote und eine bessere Programmentwicklung.

„Das zwölfmal in Berlin zu machen, wäre ineffektiv“, sagt Hermann. Durch die Servicezentrale würden die VHS zukunftsfähig – aber nicht, wenn man die gemeinsamen Projekte nur mit Kleckerbeträgen angehe. Stadträte und VHS-Leitungen drängen darauf, den Etat für das Servicezentrum in den laufenden Haushaltsberatungen noch nachzubessern.

26 Prozent weniger Personal seit dem Jahr 2000

Gerechtfertigt sehen die Volkshochschulen ihre Millionen-Forderung durch einen drastischen Personalabbau von 26 Prozent der Stellen seit dem Jahr 2000. Dem gegenüber stünden Leistungssteigerungen von 20 Prozent seit 2006, heißt es in einer Erklärung von acht Bildungsstadträtinnen und -stadträten. 2016 hat sich das Angebot noch einmal um 10,5 Prozent auf rund 804.000 Unterrichtsstunden in über 20.000 Kursen gesteigert. 73 Prozent des Berliner VHS-Angebots entfallen mittlerweile auf Sprachkurse – allen voran Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache.

Dafür seien in der politischen, beruflichen und allgemeinen Bildung Stellen und Angebote abgebaut worden, kritisiert Monika Oels, ehemalige VHS-Direktorin und Koordinatorin der Fachgruppe Erwachsenenbildung in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Volkshochschulen seien „auf dem Weg zur Gesamtberliner Sprachenschule“. Dem widerspricht Michael Weiß: Wegen der Deutsch- und Integrationskurse sei „kein einziger Kurs aus dem sonstigen Angebot gestrichen worden“.

Gefordert wird "Gute Arbeit" auch für die Volkshochschulen

Oels mahnt auch die im Koalitionsvertrag versprochene „Gute Arbeit“ für die Volkshochschulen an. Für die umfangreichen Daueraufgaben in der kommunalen Erwachsenenbildung sollten reguläre Lehrerstellen geschaffen werden. Über 25 Prozent der Lehrkräfte müssten sich mit dem Status einer „arbeitnehmerähnlichen“ Person begnügen, obwohl sie ihren Lebensunterhalt überwiegend an der VHS verdienen. Der Rest arbeite ohne jegliche Sicherheit als Honorarkraft. Gegen prekäre Beschäftigung und für die von der Koalition in Aussicht gestellten 20 Prozent Festanstellungen demonstrierten in der vergangenen Woche – trotz Regens und Sturms – wieder einmal Honorarlehrkräfte vor dem Brandenburger Tor.

VHS-Direktor Weiß ist mit weitergehenden Forderungen jedoch zurückhaltend. Ein 25-prozentiger Aufschlag auf den mittleren Stundenlohn von 30 Euro sowie bei Krankheit 80 Prozent Honorarausfallzahlungen für bis zu sechs Wochen bedeuteten zumindest eine „gewisse Absicherung“ für Kursleiter, die ihren Lebensunterhalt voll aus der VHS-Tätigkeit bestreiten. Im Sprach- oder IT-Bereich könne er sich aber durchaus feste Weiterbildungslehrkräfte vorstellen.

Festanstellungen? Die VHS wollen flexibel bleiben

In vielen anderen Bereichen müssten die Volkshochschulen jedoch flexibel bleiben, um auf sich wandelnde Kurs-Moden reagieren zu können, sagt auch Clara Herrmann. Problematisch sei aber, dass jede Volkshochschule Honorarsteigerungen selber erwirtschaften müsse. „Das bedeutet: Entweder sie erhöhen die Entgelte für die Nutzer, oder sie bieten größere Kurse an“, sagt Herrmann. Weitere Honorarerhöhungen müsste das Land Berlin gegenfinanzieren, fordert sie.

Aktuell kostet ein VHS-Kurs mit 30 Unterrichtsstunden im Schnitt 100 Euro – zu viel für Geringverdiener, sagt Monika Oels. Das System der Kostendeckung, zu dem die Volkshochschulen gezwungen seien, lasse diese Vollzahler bevorzugen. Auch Michael Weiß findet es problematisch, „dass Honorarerhöhungen über Einnahmesteigerungen erzielt werden müssen“. In einigen Bezirken führe das tatsächlich zu einer „Entmischung der Teilnehmerschaft“. Die VHS machten aber immer auch kostenfreie Angebote etwa in der politischen Bildung. In den kommenden zwei Jahren wird eine Steigerung der Kursleiterhonorare wohl ohnehin ausbleiben. Aufgrund anderer „prioritärer Vorhaben“ wie im Schulbau seien Mittel dafür im Haushalt nicht vorgesehen, heißt es aus der Bildungsverwaltung.

Aufbruch in die Einwanderungsgesellschaft

Für Michael Weiß haben die inhaltlichen Zukunftsprojekte Vorrang. Die Häuser müssten sich auch als „Volkshochschulen in der Einwanderungsgesellschaft“ neu aufstellen. „Wir wollen die Menschen, die bei uns Deutsch gelernt haben, für das lebenslange Lernen gewinnen, wir wollen sie zu IT- oder Gesundheitskursen einladen.“ So ein schöner Imagefilm wie für die Deutschkurse könnte dabei sicher helfen, sei aber derzeit nicht zu finanzieren.

Warum Berlin dringend ein Weiterbildungsgesetz braucht - und wie es aussehen sollte, lesen Sie hier.

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