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Ungewisse Zukunft. Die Krise der weltweiten Wirtschaft trifft Chinas Absolventen hart. Ein Viertel findet keinen adäquaten Job.

© AFP

Bildung in China: Nur die beste Uni zählt

Chinas Studierende stehen unter enormem Druck, auch weil es längst nicht für jeden Absolventen einen passenden Job gibt. Doch Kritiker finden, das Land sei zu bildungsbeflissen - selbst "Tigermum" Amy Chua rät zur Gelassenheit.

Die Bildungsbesessenheit chinesischer Eltern mutet sogar eine selbst ernannte Tigermutter seltsam an. Die sino-amerikanische Buchautorin Amy Chua, die mit ihrem strengen autoritären Erziehungsratgeber „Battle Hymn of the Tiger Mother“ berühmt wurde, wunderte sich in China bei einem Vortrag über ihr Publikum. Sie hatte gerade erzählt, welche Lektionen fürs Leben sie von der Leukämieerkrankung ihrer Schwester bekommen hatte, als viele Hände der Zuhörer nach oben schnellten. „Alle haben das Gleiche gefragt“, berichtete die Juraprofessorin der Universität Yale in der Zeitung „China Daily“: „Wie bringe ich mein Kind nach Harvard?“

In China kennen die meisten Eltern für ihr Kind nur einen einzigen Weg zum Erfolg. „In der gegenwärtigen Gesellschaft ist das Universitätsstudium der wichtigste Weg, um nach oben zu kommen“, sagt Lao Kaisheng, Professor an der Fakultät für Erziehungswissenschaften der Beijing Normal University. „Deshalb glauben die Leute, ob jemand an eine Universität geht oder nicht, werde seine Familie, sein Selbstwertgefühl und sein Leben beeinflussen.“ Nach chinesischer Auffassung wird deshalb beim Universitäts-Eingangstest („Gaokao“) die wichtigste Weiche für ein erfolgreiches Leben gestellt. Entsprechend ernst nimmt die chinesische Gesellschaft diesen Test, die Polizei sperrt Straßen für die anreisenden Schüler, Krankenwagen schalten ihre Sirenen aus, um die Prüflinge nicht zu stören. „Für junge Menschen ohne viel Geld gibt es keinen anderen Weg, als fleißig zu studieren“, sagt die Studentin Wang Yizhen, „manuelle Arbeit wird in China zu gering bezahlt und zu wenig respektiert.“

Wie China Eliteunis aufbaut

Zwar ist es gar nicht mehr so schwer, von einer Hochschule angenommen zu werden. Von 9,15 Millionen Schülern, die in diesem Jahr den Gaokao absolviert haben, wurden 6,85 Millionen zum Studium zugelassen. Doch damit wächst die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, weshalb die Qualität der Universitäten größere Bedeutung erlangt hat. In mehreren Projekten wie „Die 100 besten Hochschulen für das 21. Jahrhundert“ und „39 Hochschulen mit Weltniveau“ förderte die chinesische Staatsregierung seit 1996 zahlreiche Elitehochschulen. „Wer an einer dieser Universitäten graduiert, dürfte bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben“, sagt Lao Kaisheng. Denn das ist gegenwärtig das entscheidende Problem für Chinas Studenten.

Die Sorge um die Beschäftigung treibt viele chinesische Studenten um. „Die Jobchancen stehen nicht besonders gut", sagt die 22 Jahre alte Wang Yizhen, die an der Tianjin-Universität Stadtplanung studiert, „das macht mich manchmal ängstlich, und ich will gar nicht darüber nachdenken.“ Sie wolle erst ihren Master-Abschluss machen und dann nach einem Job suchen. Doch auch dieser gibt keine Garantie mehr auf eine adäquate Beschäftigung. Im Gegenteil, die Studentin Zhang Hui muss feststellen, dass ihr nach einem Masterstudium weniger Möglichkeiten offenstehen als drei Jahre zuvor nach dem Bachelor. „Ich verstehe das nicht“, sagt die 24 Jahre alte Studentin der Schanghai-Universität für Internationale Studien, „ich bin immer noch die gleiche Person, nur mit größerer Erfahrung und einem besseren Abschluss – warum bin ich jetzt weniger für eine Anstellung geeignet?“

Die Krise der weltweiten Wirtschaft trifft auch Chinas Studierende hart. Nach Angaben des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) fanden 2011 bis zu 25 Prozent der rund 6,6 Millionen Hochschulabsolventen keinen adäquaten Arbeitsplatz. Die wirtschaftlichen Wachstumsraten Chinas sind im weltweiten Vergleich zwar immer noch hoch, doch sie sinken und kreieren nicht mehr so viele Jobs wie zuvor. Gleichzeitig steigt die Zahl der Universitätsabsolventen weiter an. So hat sich nach Angaben des chinesischen Bildungsministeriums die Zahl der regulären Hochschulen seit dem Jahr 2000 (1041) bis 2010 (2358) mehr als verdoppelt, die Zahl der Studierenden in China hat sich im gleichen Zeitraum von 5,8 auf 23,8 Millionen vervierfacht.

Viele chinesische Studenten versprechen sich daher von einem Auslandsaufenthalt bessere Karrierechancen, aber auch damit wird es schwerer zu punkten. Fast eine Million chinesischer Studenten konnten 2010 einen Studienaufenthalt im Ausland nachweisen. In Deutschland waren im vergangenen Jahr knapp 23.000 junge Chinesen eingeschrieben. Die Germanistik-Studentin Su Li ging nach dem Grundstudium nach Berlin, um an der Freien Universität einen Master in Medienwissenschaften zu machen. Eher aus kulturellen und sprachlichen Gründen. „Ein Auslandsaufenthalt ist kein großer Vorteil mehr auf dem chinesischen Arbeitsmarkt“, sagt die 26 Jahre alte Studentin aus Hohhot, „immer mehr Studenten gehen aus China fort.“ Für die stetig wachsende Mittelschicht sei ein Studium im Ausland auch nicht mehr so teuer.

Wie das asiatische Familienverständnis die Studierenden belastet

Ein Auslandsaufenthalt sei schon wegen der kulturellen Erfahrung reizvoll, erklärt Wang Jianxin, Musikwissenschaftler am Tianjin-Konservatorium für Musik, und zitiert ein chinesisches Sprichwort: Im Ausland ist der Mond runder. Und schließlich würden sich die ausländischen Hochschulen in der Art des Unterrichts unterscheiden. „Bildung in anderen Ländern ist humaner und macht die Studenten glücklicher, während die heimische Bildung langweilig und mechanisch ist“, sagt Wang Jianxin. Der Unterricht sei zu theoretisch und praxisfern, ein weiterer Grund für die Schwierigkeiten der chinesischen Studierenden auf dem Arbeitsmarkt. Gegenwärtig versucht die Regierung mit dem Bildungsreformplan 2020 unter anderem die Qualität der Lehre zu verbessern.

Besonderer Druck lastet durch die Ein-Kind-Politik und das traditionelle asiatische Familienverständnis auf den Studierenden. Laut einer Umfrage des amerikanischen Pew-Forschungszentrums finden in China 68 Prozent der Befragten, dass die Eltern zu viel Druck auf ihre Kinder ausüben. „Eltern haben eine größere Erfahrung und glauben deshalb, vieles besser zu wissen als das Kind“, sagt die Germanistik-Studentin Su Li. „Entscheidungen über mein Leben werden deshalb von der gesamten Familie getroffen“.

Sogar die chinesisch-stämmige Tigermutter Amy Chua findet, dass chinesische Eltern zu viel von ihren Kindern verlangen. Schuld daran sei das eindimensionale Bildungssystem Chinas. „In den USA kann man auf hundert verschiedenen Wegen erfolgreich sein“, sagt die Juristin aus Yale und nennt die Hochschulabbrecher Mark Zuckerberg, Bill Gates und Steve Jobs. „In Asien geht es nur darum: Wer ist der beste Student?“, sagt sie, „das schafft so viel Druck und Wettbewerb.“ Jene Frau, die einmal die Stofftiere ihrer Tochter verbrennen wollte, falls diese ihr Lernpensum nicht bewältigt, rät China: „Man sollte akzeptieren, dass auch andere Wege zum Erfolg führen.“

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