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Bildung: Kleine Klassen bringen wenig

Die Klassengröße hat wenig Einfluss auf die Leistung von Grundschülern im Lesetest. Schüler werden laut einer neuen Studie auch in kleineren Klassen nicht unbedingt besser gefördert.

Insbesondere die Frage, ob die Lehrer den Unterricht individualisieren und ob sie Stress empfinden, sei unabhängig von der Anzahl der Schüler, sagte der Dortmunder Erziehungswissenschaftler Wilfried Bos dem Tagesspiegel. Das habe jetzt eine Auswertung von Ergebnissen der internationalen Grundschullesestudie Iglu 2006 ergeben, für die Bos verantwortlich ist. Dass sich die Schülerleistungen in kleineren Klassen nicht verbesserten, sei seit 15 Jahren durch zahlreiche Studien belegt. Die neue Iglu-Auswertung zeige nun: „Es ist ein Mythos, dass eine geringere Schülerzahl allein der Schlüssel zu individualisiertem Unterricht ist.“

Ob Lehrkräfte den Schülern auf sie zugeschnittene Aufgaben stellen, hänge von der Lehrerpersönlichkeit, von der Ausrichtung des Kollegiums und der Schulleitung ab. Das gelte auch für die Stressbelastung. Gleichwohl könnten Klassengrößen mit 30 und mehr Kindern problematisch sein, sagt Bos. In Deutschland liege die durchschnittliche Größe einer Grundschulklasse aber bei 22 Schülern.

Bos empfiehlt den Ländern, bei dieser Frequenz zu bleiben und nach niederländischem und skandinavischem Vorbild „Coteacher“ einzustellen, anstatt auf kleinere Klassen zu setzen. Lehrer, die zusätzlich in der Klasse unterrichteten, könnten mit den schwächsten oder stärksten Schülern individuell arbeiten. Dies wäre effektiver – und würde Kosten sparen. Eine Senkung der Klassenfrequenzen ist zudem enorm teuer. Schätzungen etwa für Nordrhein-Westfalen besagen, dass eine Absenkung der Schülerzahl von 26 auf 24 pro Klasse jährlich 700 Millionen Euro kosten würde.

Eltern- und Lehrerverbände fordern indes immer wieder kleinere Klassen. Der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, erklärte am Wochenende beim Norddeutschen Lehrertag in Schwerin, wer eine individuelle Förderung und eine inklusive Schule wolle, müsse die Klassenobergrenze auf 20 festlegen. Daran halte er fest, sagte Beckmann am Montag auf Anfrage. An vielen Schulen vor allem im Sekundarbereich liege die Klassenstärke bei 30 und mehr. Im Januar dieses Jahres kündigte NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) „kleinere Klassen als Schlüssel zum schulischen Erfolg“ an – zum Wahlkampfauftakt.

Die Iglu-Forscher haben auch den Übergang von der Grundschule auf die Sekundarschulen genauer untersucht. Iglu 2006 ergab: Bei gleichen kognitiven Fähigkeiten und gleicher Leseleistung haben Kinder aus Akademikerfamilien eine mehr als zweieinhalb Mal so große Chance, von ihren Lehrern eine Gymnasialempfehlung zu bekommen als Kinder von Facharbeitern. Ein Blick in die Länder zeigt jetzt Unterschiede: Im Saarland ist die Chance viereinhalb Mal, in Sachsen vier Mal so groß. Positiv heben sich Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen ab: Dort gibt es keinen messbaren Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Lehrerempfehlung für das Gymnasium.

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