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Bundesforschungsministerin besucht Max-Planck-Institut

© - Foto: ddp

Bildung: Merkels Moderatorin

Bildungsministerin Schavan fehlt der Biss, sagen viele. Künftig wird es noch schwerer, im Amt zu glänzen

Bleibt Annette Schavan Bundeswissenschaftsministerin? In der Presse wird sie bereits als Chefin der Konrad-Adenauer-Stiftung gehandelt. Schavan gilt in CDU-Kreisen als ein wenig öffentlichkeitswirksames Kabinettsmitglied, etwa im Vergleich zur populären Ursula von der Leyen. Schavan wirkt „farblos“, „bräsig“ und „tantenhaft“, lästerten ihre „Parteifreunde“ in der „Stuttgarter Zeitung“ und im „Focus“. Schavan sei so unauffällig, dass selbst ihre „Dienstwagenaffäre“, die Schavan mit einem 26 000 Euro teuren Hubschrauberflug von Stuttgart nach Zürich hatte, sofort vergessen gewesen sei. Zuletzt machte sie ungewollt Schlagzeilen: Ein geheimes Gutachten zur Atomkraft der von ihr gegründeten Nationalen Akademie belebte den Wahlkampf.

Schavan, ein braves Landei im Berliner Zukunftsministerium? Mag sein. Allerdings wurde auch Schavans (vielen zu) dynamische Vorgängerin Edelgard Bulmahn (SPD) aus den eigenen Reihen als „Schröders Aschenbrödel“ verunglimpft. Wissenschaftsminister haben nun einmal nur selten Auftritte in der „Tagesschau“. Das weiß auch Angela Merkel. Möglich also, dass sie an Schavan festhält, wenn es das Wahlergebnis erlaubt: Schavan gehört zu Merkels Prätorianergarde.

Würde Schavan im Amt bleiben, könnte sie allerdings noch weniger Aufsehen erregen als in den vergangenen vier Jahren. Die desolate Haushaltslage engt die Möglichkeiten ein. Den von der SPD geforderten Bildungssoli für Bestverdiener, der Spielraum schaffen könnte, lehnt die CDU ab. Also könnte es durchaus zu Schavans Aufgaben gehören, Sparpotenzial in Bildung und Forschung zu identifizieren. Aus der Union kommt bereits der Vorschlag, die Etats aller Ministerien um fünf Prozent zu kürzen. Und Wissenschaftler zittern seit Monaten vor dem Kassensturz der neuen Bundesregierung: Die Fortsetzung der großen Bund-Länder-Programme (Exzellenzinitiative, Hochschulpakt und Pakt für Forschung) steht unter Haushaltsvorbehalt.

Neue Wohltaten für die Wissenschaft sind vom Bund nicht zu erwarten. So dürfen Studierende wohl kaum mit einer weiteren Bafög-Erhöhung rechnen – egal wer regiert. Die SPD würde die Altersgrenze von jetzt 30 Jahren zwar gerne anheben. Im Wahlkampf tritt sie aber so auf, als müsse sie zuerst die Aushöhlung des Bafögs durch Union und FDP verhindern.

Denn Nordrhein-Westfalens umtriebiger Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart gibt keine Ruhe mit dem von ihm gewollten nationalen Stipendiensystem. Neue Stipendien sind den Studierenden versprochen worden, als die unionsgeführten Länder 2006 damit begannen, Studiengebühren zu erheben. Bislang hat sich die Wirtschaft aber kaum bewegt. Pinkwart versucht nun im zweiten Anlauf, die Unternehmen zu locken, diesmal über den Bundesrat: Bund und Länder sollen die Stipendien für die zehn Prozent der Jahrgangsbesten gegenfinanzieren. Die SPD findet das gefährlich: Bafög-Mittel würden dann umgeleitet, statt eines klaren Rechtsanspruchs hingen Einkommensschwache von willkürlichen Kriterien und konjunkturellen Schwankungen ab. Schon vor der letzten Wahl hatte Schavan einen Sturm der Entrüstung entfacht, als sie erklärte, sobald es einen „attraktiven Markt der Bildungsfinanzierung“ gebe, sei das Bafög verzichtbar. Die Bafög-Erhöhung vor zwei Jahren setzte die SPD gegen ihren Widerstand durch. Schavan will die Lehre weiterhin durch Gebühren verbessern und wirbt für privates „Bildungssparen“.

Finanziell werden die Spielräume des Bundes in Bildung und Wissenschaft wegen der Wirtschaftskrise noch enger – politisch sind sie es schon. Mit der Föderalismusreform hat der Bund kaum noch etwas zu melden. Das hat die Union verlangt, nachdem Edelgard Bulmahn immer wieder versucht hatte, in die Politik der Länder einzugreifen. Die Folgen sind aus Sicht vieler Experten schlimm: Im Hochschulbau verlieren die ärmsten Länder den Anschluss wie auch bei der Beamtenbesoldung. Und in Schulen darf der Bund nur noch in „außergewöhnlichen Notsituationen“ investieren.

Das Sein bestimmt das Bewusstsein – diese Marx’sche Weisheit gilt auch für Schavan. Als sich SPD und Union darüber stritten, wie die Kompetenzen in der Bildung zwischen Bund und Ländern aufzuteilen sind, war Schavan zunächst noch Kultusministerin in Baden-Württemberg – und warb entsprechend der CDU-Linie dafür, Bildung zur alleinigen Sache der Länder zu erklären: „Pisa gibt überhaupt keinen Hinweis darauf, dass mehr Qualität durch Zentralismus entsteht“, sagte sie mit Blick auf das Vier-Milliarden-Programm der SPD für Ganztagsschulen.

Als Bundesministerin war Schavan nach der Föderalismusreform im Jahr 2006 gemäß dem dringenden Wunsch ihrer Partei jeder Kompetenz für die allgemeinbildende Schule beraubt worden. Gleichwohl mischte sie sich regelmäßig in die Bildungsdebatte ein. Hatte sie einst den „Wettbewerbsföderalismus“ gelobt, forderte sie nun mehr Einheitlichkeit. So sieht Schavan die von den Ländern vor zwei Jahren beschlossenen gemeinsamen Bildungsstandards für das Abitur nur als ersten Schritt zu einem nötigen Zentralabitur, das unionsgeführte Länder wie Hessen, Bayern und NRW aber ablehnen. Schavans Forderung nach bundesweit mehr gemeinsamen Schulbüchern irritierte nicht nur die CDU, sondern ging sogar manchen in der SPD zu weit: Man fühle sich an die DDR erinnert.

Neuen Widerstand aus Unionsländern rief Merkels „Bildungsreise“ durch die „Bildungsrepublik“ hervor, die die Kanzlerin im vergangenen Oktober nach Dresden zum „Bildungsgipfel“ führte. Man werde „lauter gute Absichten beschließen“, stänkerte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) vor dem Treffen. „Dass Bildung wichtig ist, wussten wir auch vorher schon.“

Tatsächlich hat das auf dem Gipfel gegebene große Versprechen mehrere Haken. Der Anteil für Bildung und Forschung am Bruttoinlandsprodukt (Bip) soll im Jahr 2015 auf zehn Prozent erhöht werden. Für Forschung und Entwicklung setzte der Gipfel damit aber nur eine neue Frist für ein weit verfehltes EU-Ziel (drei Prozent am Bip im Jahr 2010). Die für die Bildung versprochene Finanzspritze (von 6,2 auf sieben Prozent am Bip) könnte in den Haushaltslöchern verschwinden. Und nicht zuletzt: Angesichts der schrumpfenden Wirtschaft bedeuten zehn Prozent vom Bip immer niedrigere Summen. Längst fordern Interessenvertreter das Bekenntnis der Politik zu einer absoluten Zahl.

Merkel und Schavan begreifen Bildung – Föderalismusreform hin oder her – als nationale Angelegenheit. Bei der Hochschule kam Schavan dabei zugute, dass die SPD in letzter Sekunde die völlige Trennung vom Bund verhinderte – mit Zustimmung, wenn nicht sogar Unterstützung Schavans. Die Politiker sahen sich bereits einer riesigen Studierendenwelle gegenüber, von der auch Schavan die Länder allein überfordert sah. Darum bekam der Bund in der geänderten Verfassung erstmals die Möglichkeit, gemeinsam mit den Ländern auch in die Lehre zu investieren. Der damals bereits von der Presse geforderte Hochschulpakt von Bund und Ländern für die Finanzierung zehntausender neuer Studienplätze konnte somit auf rechtlich feste Beine gestellt werden.

Dass es Schavan geschafft hat, die „haltlosen Länderegoismen“ (so die Bundestagsabgeordnete Monika Grütters) zu überwinden und den Pakt ins Leben zu rufen, ist das große Verdienst ihrer Amtszeit – auch wenn es ein unterfinanzierter Pakt ist. Eine besser finanzierte Neuauflage ist auf dem Weg. Bildungsfinanzierung bleibt in Deutschland ein mühseliges Geschäft. Natürlich kam Schavan zugute, dass sie in der gleichen Partei wie die aufmüpfigsten unter den Länderkönigen ist. Sicher profitierte sie aber auch davon, dass sie anders als Bulmahn einen ausgleichenden Stil pflegt.

Schavan zeigt sich pragmatisch und elastisch. So warb die Katholikin auf Drängen der Wissenschaft dafür, die Forschung mit embryonalen Stammzellen zu erleichtern und den Stichtag für den Zellimport um fünf Jahre zu verschieben. Die im Exzellenzwettbewerb leer ausgegangenen ostdeutschen Unis entschädigte sie mit einem eigenen Programm (245 Millionen Euro). Davon soll auch die Wirtschaft profitieren, die sich ebenfalls zu kurz gekommen fühlte. Wissenschaftsförderung ist für Schavan nicht zuletzt Wirtschaftsförderung, ihr 600 Millionen schwerer „Spitzencluster-Wettbewerb“ zielt auf „marktnahe Forschung“. Die Geisteswissenschaften beruhigte Schavan mit „internationalen Kollegs“. Auch Frauen liegen Schavan am Herzen, aber Krach wegen einer Quote will sie nicht: Lieber legt sie ein Professorinnenprogramm auf (75 Millionen Euro).

Schavans Beharren auf der Rolle als Moderatorin minimiert das Konfliktrisiko. Aus Sicht ihrer Kritiker hat es aber auch zu ihrer größten Unterlassungssünde geführt. Schavan versäumte es, das „Zulassungschaos“ (trotz Andrangs frei bleibende Studienplätze, undurchsichtige Bewerbungsverfahren) rechtlich zu regeln, wie es dem Bund auch noch nach der Föderalismusreform möglich gewesen wäre. Stattdessen lud sie die Hochschulen ein, die Situation durch freiwillige Terminabsprachen und eine Internetbörse für freie Studienplätze zu verbessern. Dabei könnte der Bund die Unis zur Teilnahme an Börsen und zur Terminabsprache zwingen. Er könnte die Bewerbungsverfahren vereinheitlichen und transparenter gestalten. Er könnte die bundesweite Anerkennung von Studienleistungen und -abschlüssen rechtlich sichern und damit Mobilität fördern. Auf all das hat Schavan verzichtet – und so auch eine Chance verpasst, Biss und Gestaltungslust zu beweisen.

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