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Bildung: Was Kleinkinder klüger macht

Mit Bildungsplänen wollten die Länder die Kitas verbessern – aber kontrolliert wird die Umsetzung nicht.

Lange Zeit haben Bildungspolitiker die frühkindliche Förderung wenig beachtet. Erst mit dem Pisa-Schock im Jahr 2001 wurden die Kitas neu entdeckt. Denn Experten sahen den Ursprung für die Bildungsmisere auch im Kindergarten, dem es offenbar nicht ausreichend gelungen war, „Lernfenster“ bereits in einem frühen Alter aufzustoßen, die Integrationskrise abzuwenden und den Kleinen soziale und kognitive Kompetenzen mitzugeben. Abhilfe schaffen sollten Bildungspläne für Kitas, für die die Kultusministerkonferenz und die Jugendministerkonferenz 2004 einen gemeinsamen Rahmen beschlossen. Es war das erste Mal, dass länderübergreifend ein Beschluss zur Frühförderung gefasst wurde. Was ist aus diesem ehrgeizigen Projekt geworden?

Verena Wille (Name geändert) arbeitet in einer Kindertagesstätte in Bayern und betreut gemeinsam mit zwei Kolleginnen 16 Kinder unterschiedlichen Alters. Seit der Einführung des bayerischen Bildungsplanes 2005 hat Wille noch mehr zu tun. Die Kinder sollen nicht mehr nur frei spielen, sondern das Lernen lernen. Verena Wille soll kindliche Kompetenzen fördern, indem sie die Kinder spielerisch an Mathematik, an Naturwissenschaften, an klassische Musik und an den Aufbau des menschlichen Körpers heranführt, ihnen erste Einblicke in die Arbeit mit dem Computer gibt und das „phonologische Bewusstsein“ schult. So muss Verena Wille die Kinder mit Zahlen, geometrischen Figuren und der Uhrzeit vertraut machen, ihnen den kleinen Stromkreis erklären, das Interesse an Buchstaben wecken und erste Schreibübungen anleiten.

Unterstützung gibt es dafür nicht: „Wir sollen viel mehr mit den Kindern arbeiten, aber zusätzliche Zeit oder mehr Personal wird uns nicht zur Verfügung gestellt“, kritisiert Wille. Eine Weiterbildung hat Wille auch nicht durchlaufen. Auch hat sich noch nie eine Behörde dafür interessiert, ob die Erzieherin sich überhaupt an dem Bildungsplan orientiert. Denn im Gegensatz zu den Lehrplänen an Schulen ist die Orientierung an den Bildungsplänen keineswegs Pflicht. Das gilt selbst für Bayern, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz, wo die Bildungspläne rechtlich verbindlich sind, erklärt Wassilios Fthenakis, Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Bozen. Weil auch hier die Umsetzung nicht kontrolliert wird, sei die Folge „eine fachliche Beliebigkeit“. Fthenakis fordert, dass „in jedem Bundesland mindestens zehn Prozent der Kindergärten nach dem Zufallsprinzip evaluiert werden“. Eva Reichert-Garschhammer vom bayerischen Staatsinstitut für Frühpädagogik bestätigt, dass es bundesweit keine Qualitätskontrollen gibt, die über Eltern- oder Erzieherinnenbefragungen hinausgehen. Die Länder sähen bei den Qualitätskontrollen allerdings durchaus noch Bedarf. Vor allem der Personalmangel bereite Schwierigkeiten. Das bestätigt eine Studie der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Immerhin 84 Prozent der befragten Erzieher sagen, dass sie auf die Umsetzung der Bildungspläne achten. Dennoch bemängeln 43 Prozent, dass es an ausreichend Zeit und Personal fehle, um die Vorgaben sinnvoll umsetzen zu können.

Dazu gehört Tanja Geissen (Name geändert), die als Erzieherin in einer Kölner Kita arbeitet. Sie ist für zwölf Kinder alleine zuständig und hat sich zunächst über die Bildungspläne gefreut, „weil unsere Kinder endlich einen höheren Stellenwert bekommen“, wie sie sagt. Aber vier Jahre nach der Einführung ist ihr immer noch nicht klar, wie die Erzieher den gewachsenen Ansprüchen gerecht werden können und woher sie die Vor- und Nachbereitungszeit nehmen sollen.

Desinteresse herrscht nicht nur beim Gesetzgeber, der auf Kontrollen verzichtet, sondern auch bei den Schulen. Gemäß der Vorgabe dokumentiert Geissen die Entwicklung der Kinder. Der Bericht soll dann den Grundschulen zur Verfügung gestellt werden. Aber bisher habe noch keine Schule nach den Übergangsprotokollen gefragt. „Die Bildungsdokumentationen werden in NRW vielfach nicht von den Grundschulen verlangt, nach dem Motto ,Wir möchten die Kinder vorurteilsfrei kennenlernen’“, kritisiert auch Ulrich Braun vom Fachbereich Kinder, Jugend und Familie in Recklinghausen.

Auch in Brandenburg, wo seit Juli ein neues Kitagesetz gilt, wird die Umsetzung der Bildungspläne nicht kontrolliert. Der Leitfaden wird den Einrichtungen zugeschickt und zur Nutzung empfohlen. Für mehr reicht es nicht. Zu wenig Personal, zu teuer, zu viel Aufwand heißt es aus dem Bildungsministerium. Dabei wurden die Pläne auch hier mit viel politischem Gerede beworben.

Cegdem Akyol

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