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© - Foto: Kitty Kleist-Heinrich

Bildungsforschung: Fördern statt frustrieren

Eine aktuelle Studie zeigt: Wer eine Klasse wiederholen muss, holt nicht auf, sondern verliert die Motivation zu lernen.

Sitzenbleiben lohnt sich nicht – weder für die Schüler, die eine Klasse wiederholen, noch für ihre leistungsstärkeren Klassenkameraden, die unter sich bleiben. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Donnerstag veröffentlichte Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Das Sitzenbleiben sei „pädagogisch unwirksam“. Die Wiederholer würden es in der Regel nicht schaffen, den mittleren Leistungsstand der neuen Klasse zu erreichen. Und auch die von den Schwächeren „Befreiten“ profitierten nicht. Klemm, Emeritus der Universität Duisburg-Essen, hat die Pisa-Studien und Erkenntnisse anderer Bildungsforscher seit den 70er Jahren ausgewertet.

Demnach plädieren Experten seit Jahrzehnten dafür, leistungsschwache Schüler im Klassenverband weiterlernen zu lassen und sie intensiv individuell zu fördern. So könnten sie das Klassenziel eher erreichen, als wenn sie im Wiederholungsjahr erneut mit Anforderungen konfrontiert würden, an denen sie schon einmal gescheitert sind. Die Wiederholung führe kaum zur Leistungssteigerung, vielmehr wirke sie demotivierend und löse Schulunlust und Selbstzweifel aus, schreibt Klemm. Eine Klasse zu wiederholen könne nur in Einzelfällen sinnvoll sein, etwa nach einer längeren Erkrankung des Kindes oder Jugendlichen.

Bis heute aber ist das Sitzenbleiben eine weit verbreitete pädagogische Maßnahme: Im Schuljahr 2007/08 mussten 250 000 von insgesamt neun Millionen Schülern in Deutschland eine Klasse wiederholen – das sind 2,6 Prozent. Unter den Ländern gibt es dabei große Unterschiede: Baden-Württemberg hat mit 1,7 Prozent die niedrigste Quote, Bayern mit 3,6 Prozent die höchste. Auch zwischen den Schularten variiert der Anteil: An den Grundschulen gab es 1,3 Prozent Wiederholer, an Realschulen fünf Prozent, an Hauptschulen 3,9 Prozent und an Gymnasien zwei Prozent. Nach der Pisa-Studie 2003 waren bundesweit 23,1 Prozent aller 15-Jährigen mindestens einmal sitzengeblieben.

Knapp eine Milliarde Euro pro Jahr soll das Sitzenbleiben kosten: Die Länder müssten 931 Millionen Euro unter anderem für zusätzliche Personalstellen aufwenden, kritisiert Klemm. Dieses Geld müsse künftig in die individuelle Förderung der Schüler investiert werden, fordert der Bildungsforscher.

Klemms Kritik am Sitzenbleiben richtet sich auch grundsätzlich gegen das herkömmliche deutsche Schulsystem. Es sei auf alters- und leistungshomogene Gruppen ausgerichtet, und dies solle unter anderem durch die Klassenwiederholungen aufrechterhalten werden. Der Ansicht, „durch das Aussortieren der Schwächeren aus einer Lerngruppe würde die Entwicklung der Stärkeren gefördert“, wiederspricht der Bildungsforscher vehement. Vielmehr zeigten Pisa-Ergebnisse seit dem Jahr 2000, dass in anderen Ländern „pädagogische Arrangements“ gefunden werden, in denen die Schüler in Gruppen mit Leistungsunterschieden bessere Lernergebnisse erreichten als die deutschen. Amory Burchard

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