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Menschenrechtsaktivistin und Gründerin der Initiative German Dream: Düzen Tekkal.

©  Thilo Rückeis

Wertevermittlung in der Schule: Für Ronny aus Pasewalk und Fatma aus Neukölln

Düzen Tekkal möchte mit ihrer Initiative „German Dream“ Werte-Botschafter in die Schulen schicken. Ein Gespräch, wie man Werte überhaupt vermitteln kann.

Frau Tekkal, Sie möchten mit Ihrer Bildungsinitiative „German Dream“ sogenannte Werte-Botschafterinnen und Werte-Botschafter in Schulen schicken. Was ist denn Ihr German Dream?

Was wir in Deutschland haben – Freiheit, Rechtsstaat, Sicherheit –, ist alles andere als selbstverständlich. Dafür bin ich sehr dankbar. Deutschland hat es mir ermöglicht, als eins von elf Kindern einer jesidischen Familie Bildung zu erwerben und den Beruf zu ergreifen, den ich ergreifen wollte, nämlich Journalistin zu werden. Durch meine Arbeit als Kriegsberichterstatterin im Irak, durch mein Engagement für die versklavten jesidischen Frauen in meinem Verein hawar.help ist mir noch stärker bewusst geworden, wie wertvoll dieser „deutsche Traum“ ist. Ich möchte, dass alle daran teilhaben.

Wie soll das geschehen?

German Dream ist eine überparteiliche Initiative, ein Angebot an die Schulen. Unsere Werte-Botschafter gehen in Schulen und erzählen aus ihrem Leben: wie sie ihren Weg gefunden haben und warum sie sich zu unserer Verfassung bekennen. Zu ihnen gehören Prominente wie Janina Kugel, Personalvorständin bei Siemens, Cem Özdemir oder Katja Riemann. Im Moment haben wir 50 prominente und 100 nichtprominente Werte-Botschafter. Alle haben einen interessanten Werdegang und engagieren sich für unsere Gesellschaft, sie sind gewissermaßen Zeitzeugen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Denn trotz aller Probleme: Dies ist ein wunderbares Land, auf das wir stolz sein können und in dem wir mit allen unseren Unterschieden ohne Hass zusammenleben möchten – das leben die Werte-Botschafter vor. Wir können Deutschland zusammen weiterentwickeln!

Manch ein Schüler könnte denken: Die wollen mir eine Moralpredigt halten.

Im Gegenteil! Es geht nicht darum, perfekte Geschichten zu erzählen oder zu missionieren. Viel interessanter für die Schüler ist es doch, von den Schwierigkeiten zu hören, die diese Menschen überwunden haben – zum Beispiel als die erste Person, die in der Familie studiert hat, oder als schwarze Deutsche, die trotz Erfahrungen mit Rassismus nicht in der Opferhaltung verharrt, sondern konstruktiv die Gesellschaft mitgestaltet. Ich glaube daran, dass man durch persönliche Begegnungen am meisten lernt.

Müssen es denn „Werte“ sein, die vermittelt werden? Reicht es nicht, wenn sich alle an die Regeln und Normen halten, die sich aus dem Grundgesetz ergeben?

Nein. Das ist mir zu wenig, zu kalt. Ich glaube, es fehlt oft an Wärme bei der Vermittlung der Werte, und genau das ist die Lücke, in die die Populisten stoßen. Wir wollen auch die Gefühlsebene ansprechen: Jeder Mensch braucht Vorbilder, braucht andere Menschen, die an ihn glauben. Zugehörigkeit, Dabeisein heißt mehr, als sich an Normen zu halten.

Wie wollen Sie verhindern, dass einige Werte-Botschafter sich vor allem selbst darstellen, die Schüler langweilen oder ihnen problematische Ansichten vermitteln?

Wir wählen die Werte-Botschafter sehr sorgfältig aus, es gibt ein Vorstellungsgespräch, einen „Code of Conduct“, wir arbeiten eng mit den Schulleitungen und Lehrkräften zusammen und begleiten unsere Botschafter bei ihren Schulbesuchen. So ist sichergestellt, dass sie gute Arbeit leisten. Das sind wir auch unseren Geldgebern – bisher handelt es sich um private Spender – schuldig.

Schicken Sie Botschafter mit Migrationshintergrund speziell in Brennpunktschulen, um Vorbilder abzugeben?

Das wäre falsch. Warum wollen wir Kinder mit Migrationshintergrund auf Vorbilder mit Migrationshintergrund festlegen? Müssen türkische Jungen immer Özil als Vorbild haben – warum nicht Marco Reus? Im Übrigen geht es mir nicht nur um Kinder mit Migrationshintergrund: Ronny aus Pasewalk ist mir ebenso wichtig wie Fatma aus Neukölln. Es war für mich ein Schlüsselerlebnis, bei einem meiner Schulbesuche in Erfurt zu sehen: Auch deutsch-deutsche Kinder, vor allem in Ostdeutschland, haben Probleme mit ihrer Identität. Auch ihnen müssen wir deutlich machen, wie wir hier in Deutschland zusammenleben können.

Sie stammen selbst aus einer bildungsfernen Familie …

Es stimmt, meine Mutter ist Analphabetin und mein Vater hat die Schule nur bis zur vierten Klasse besucht. Aber meine Eltern haben uns Kindern immer vermittelt: Gerade weil wir selbst keine Bildung erwerben konnten, ist es umso wichtiger, dass ihr es tut. Deswegen mag ich das Wort „bildungsfern“ nicht – „Bildungssehnsucht“ trifft es besser. Bildung war mein Ticket in die Freiheit, und das möchte ich weitergeben.

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