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Wissenschaftsunterricht

© Thilo Rückeis

Bildungsstudien: Problemzonen der Grundschulen

Mit zwei neuen Studien wird die Grundschule getestet. Ihre Schwächen werden vor allem im Sachunterricht vermutet - ein Resultat der Lehrerausbildung.

Nachdem erst vor wenigen Wochen die nationale Pisa-Studie die Kompetenzen der 15-Jährigen in den Bundesländern offengelegt hatte, sind nun die Grundschüler an der Reihe. Gleich zwei neue große Schulstudien werden am morgigen Dienstag vorgestellt. Iglu-E zeigt, welche Stärken und Schwächen Viertklässler in allen Bundesländern im Lesen haben. Das ist neu. Denn bei der ersten nationalen Untersuchung der Lesefähigkeit der Grundschule im Jahr 2001 nahmen nur sieben Bundesländer teil.

Eine Premiere für Deutschland ist auch die Teilnahme der Grundschüler an Timss. Dabei werden die Kompetenzen in Mathematik und den Naturwissenschaften international verglichen. Die Nachrichtenagentur dpa meldete gestern unter Berufung auf österreichische Medien, die deutschen Schüler lägen bei Timss in beiden Bereichen im vorderen Drittel – auf Platz 12 von rund 40 Staaten. Vorne seien Hongkong, Singapur und Taiwan.

Wie erfolgreich arbeiten Deutschlands Grundschulen? Erfolgreicher als der Schnitt der Oberschulen, so viel ist nach den beiden Iglu-Studien von 2001 und 2006 bekannt. Die gravierenden Probleme, die Pisa bei den 15-Jährigen zutage gefördert hat, existieren in der Grundschule noch nicht. Die Viertklässler lesen im internationalen Vergleich überdurchschnittlich gut, die Oberschüler liegen nur im OECD-Mittel. Der Anteil von Risikoschülern liegt in der Grundschule bei zehn Prozent, in der Oberschule ist er doppelt so hoch. Die Viertklässlerinnen sind im Lesen zwar besser als Jungen, der Abstand ist aber sehr gering. In der Grundschule schneiden Jungen, die von Männern unterrichtet wurden, nicht besser ab als solche, die Lehrerinnen hatten. Weit zurück hinter die Mädchen fallen die Jungen im Lesen erst in der Oberschule, obwohl ihnen dort mehr männliche Lehrer begegnen.

Iglu hat auch Problemzonen der Grundschule offengelegt. Jungen sind in Deutschland den Mädchen in Naturwissenschaften und Mathematik im Schnitt weiter voraus als in vielen anderen Ländern. Das ist kein Naturgesetz, sondern eine Herausforderung für die Grundschullehrerinnen. In Neuseeland, Lettland, Thailand und Singapur waren die Mädchen den Jungen in den Naturwissenschaften beziehungsweise in Mathematik sogar überlegen. Ein dramatisches Iglu-Ergebnis: Bei gleichen kognitiven Fähigkeiten haben Kinder aus der Oberschicht eine mehr als zweieinhalb Mal so große Chance auf eine Gymnasialempfehlung als Kinder von Facharbeitern und leitenden Angestellten.

Für Renate Valtin, Professorin für Grundschulpädagogik an der HU und Mitglied im Iglu-Konsortium, ist die Aufteilung der Schüler auf die Schulformen das größte Problem. Deshalb sei die Oberschule nicht in der Lage, „zu bewahren, was die Schüler aus der Grundschule mitbringen“. Denn selbst wenn die Grundschullehrerinnen der Iglu-Studie zufolge gar nicht stark im Unterricht individualisierten: „In heterogenen Gruppen lernen Schüler einfach mehr“, sagt Valtin.

Kritik gibt es am Sachunterricht der Grundschulen. Der Sachunterricht ist aus dem Heimatkundeunterricht des 19. Jahrhunderts hervorgegangen. Noch immer besteht er aus zwei großen Bereichen: der gesellschaftlich-historischen und der naturwissenschaftlichen Bildung. Diese beiden Felder müssen die Lehrer in ihrer Ausbildung abdecken – ein Spagat auf Kosten der Naturwissenschaften, wie Jörg Ramseger, Professor für Grundschulpädagogik an der FU, sagt. Im Prinzip kann eine Grundschullehrerin mit nur zwei Kursen in den Naturwissenschaften ihr gesamtes Studium im Sachunterricht bewältigen. Die übrigen sechs der insgesamt acht Veranstaltungen kann sie aus dem gesellschaftlichen Bereich des Sachunterrichts wählen. Was auch viele Studentinnen machen, wie Ramseger sagt: „Die meisten haben vom Unterricht im Gymnasium eine Naturwissenschafts-Phobie. Wie sollen sie so den Grundstein für die naturwissenschaftliche Bildung legen?“ Im Unterricht flüchten viele Lehrerinnen wegen fachlicher und methodischer Unsicherheit in „weiche“ Themen. Statt die Schüler an den Stromkreis heranzuführen, sprechen sie lieber über die Tulpe.

Unterdessen fristet der Sachunterricht in der Wissenschaft das Dasein eines Aschenbrödels. Als „Sammelfach“ werde er an den Unis geringgeschätzt, sagt Ramseger. In Berlin sind alle Professuren bis auf eine weggespart worden. Guter wissenschaftlicher Nachwuchs lässt sich nur schwer auftreiben. Ein Teufelskreis.

Was kann getan werden? Ramseger fordert, dass die Ausbildung der Grundschullehrer in Berlin so lange dauert wie die der Studienräte. Wären Studium und Referendariat nicht um je ein Jahr kürzer, hätten Grundschullehrer auch mehr Zeit, Naturwissenschaften zu studieren. Ramseger plädiert auch für spezielle Kurse für die fachwissenschaftliche Ausbildung der Lehrer an den Unis. Bislang richtet sich das Angebot an den Bedürfnissen des wissenschaftlichen Nachwuchses aus. „Die Mathematik ist natürlich für alle gleich“, sagt Ramseger. „Man muss aber nicht gleich das ganze Gebäude für Lehrer unterrichten, sondern nur die Stockwerke, die für sie relevant sind.“ Dann wäre das Bachelorstudium auch nicht mehr „polyvalent“, „also inkompetent auf jedem Gebiet“, wie Ramseger lästert, sondern „professionsorientiert“ – ein lang gehegter Wunsch aller Lehramtsstudierenden.

Mögen die Grundschullehrerinnen auch mit Naturwissenschaften fremdeln – im Iglu-Test 2001 schnitten ihre Schüler trotzdem international überdurchschnittlich ab. Allerdings nahmen damals nur 12 Bundesländer teil. Die Timss-Tabelle, an der sich Iglu orientierte, stammte aus dem Jahr 1995. Sollte sich das gute Ergebnis in der aktuellen Studie bestätigen, wäre das aber wohl kein Verdienst des Sachunterrichts, meint Ramseger: „Es gibt in Deutschland einfach gute Fernsehsendungen und Sachbücher.“ Anja Kühne

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