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Es grünt. Aulacomnium turgidum, geborgen am Tränengletscher, treibt wieder aus.

© La Farge

Biologie: Auferstanden aus der Kälte

In Kanada haben Laubmoose mindestens 400 Jahre unter einem Gletschern überdauert. Jetzt grünen sie wieder.

Die Laubmoose am Rande des Tränengletschers auf der kanadischen Ellesmere-Insel sind extrem blass, viele von ihnen haben ihr Grün vollständig verloren. Kein Wunder, schließlich waren sie mindestens 400 Jahre unter einem dicken Eispanzer verborgen. Und doch sind die Pflanzen intakt, beginnen wieder zu wachsen, wenn sie nur etwas Licht und Wasser erhalten. Von diesem erstaunlichen Durchhaltevermögen berichten Catherine La Farge von der Universität von Alberta in Edmonton und ihre Kollegen im Fachjournal „PNAS“.

Die Biologen erforschen, was der Rückzug des Eises in der kanadischen Arktis bedeutet. Dabei entdeckten sie unter anderem die blassen Moose – und hielten sie zunächst für tot. Als die Botanikerin Catherine La Farge jedoch genauer hinschaute, fand sie bei einigen gerade vom Eis freigegebenen Pflanzen frische Spuren von Wachstum.

Mithilfe der Kohlenstoff-14-Methode bestimmten die Forscher das Alter von mehreren Laubmoosen auf 404 bis 614 Jahre. Damals kühlte das Klima nach einer wärmeren Periode in vielen Regionen auf der Nordhalbkugel der Erde kräftig ab, die Gletscher der Ellesmere-Insel rückten vor und begruben die Vegetation unter ihrem Eis. Ohne Tageslicht und in der Kälte wuchsen die Pflanzen nicht mehr. Seit dem Ende dieser Kleinen Eiszeit um das Jahr 1850 hat sich der Tränengletscher um rund 200 Meter zurückgezogen, seit 2004 verschwinden Jahr für Jahr drei oder vier Meter Eis. Auf dem frei werdenden Boden finden sich immer wieder Pflanzen, die der vorrückende Gletscher in der kleinen Eiszeit unter sich begraben hatte.

Laubmoose haben besonders gute Überlebenschancen. Sie gehören zu den relativ einfachen Pflanzen, die bereits seit 470 Millionen Jahren an Land wachsen. Bei Trockenheit stellen sie ihre Lebensprozesse ein und wachsen wieder, wenn sie Wasser erhalten. Aus beliebigen einzelnen Zellen können Laubmoose dabei ein vollständiges Gewächs regenerieren. Als La Farge winzige Teile der für tot gehaltenen Moose im Labor auf einen Nährboden oder auf normale Blumenerde säte und regelmäßig wässerte, wuchsen bald neue Pflanzen.

Wissenschaftler haben zwar bereits 30 000 Jahre alte Pflanzen aus dem Dauerfrostboden Sibiriens wieder zum Leben erweckt, benötigten dafür aber raffinierte biotechnologische Methoden. Die Laubmoose dagegen beenden ihre Tiefkühlphase unter Bedingungen, die in der Natur der Arktis häufig sind: Auftauen und Wässern. Daher könnte dieses Auferstehen aus der Kälte auch eine wichtige Rolle gespielt haben, als sich am Ende der letzten Eiszeit die Gletscher aus dem Norden Europas, Asiens und Nordamerikas zurückzogen. Bisher hatten Forscher vermutet, die Pflanzen wären über Samen aus den wärmeren Regionen wie dem Mittelmeerraum in die vom Eis befreiten Gebiete zurückgekehrt. Doch das dauert relativ lange. In hohen nördlichen Breiten stellen Laubmoose daher auch heute noch einen Großteil der dort wachsenden Pflanzen. Roland Knauer

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