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Das obere Bild zeigt die Bakterien mit dem künstlichen Genom. Ein eingeschleustes Gen färbt die Zellen blau. Unveränderte Bakterien (darunter) sind weiß.

© Science

Biologie: Der Weg ist frei für künstliches Leben

Für Craig Venter ist es die Kulmination von 15 Jahren Arbeit: Mit einem Team von Wissenschaftlern ist es ihm gelungen, ein Genom künstlich herzustellen und damit eine lebende Zelle zu kontrollieren.

„Damit haben wir die erste synthetische Zelle geschaffen“, sagt Venter. Er sieht darin einen entscheidenden Schritt hin zu künstlichem Leben, zu einer Biologie der Ingenieure, die Lebewesen am Reißbrett entwerfen.

Was die Forscher genau gemacht haben, das ist im Fachmagazin „Science“ nachzulesen. Auf nur vier Seiten beschreiben dort Venter und seine Kollegen ihren Durchbruch: Am Anfang standen vier Flaschen mit Chemikalien, den Basen des genetischen Codes, den vier Buchstaben des Erbguts: A, C, G und T. Diese Buchstaben haben die Forscher mühsam zu einem über eine Million Buchstaben langen Faden zusammengesetzt, einem Erbgut des Bakteriums Mycoplasma mycoides. Dieses verpflanzten sie dann in ein lebendes Bakterium einer anderen Art, Mycoplasma capricolum.

„Für einen kurzen Moment besitzt die Zelle dann zwei Genome“, sagt Daniel Gibson, der Erstautor der Studie. Doch dann teile sich die Zelle und kurz darauf sei nur noch ein Genom pro Bakterium zu finden. Durch ein eingebautes Resistenzgen gegen das Antibiotikum Tetracyclin überleben in der Petrischale nur die Bakterien, die das künstliche Genom enthalten, – und verwandeln sich. Denn die Bakterien produzieren nun einen neuen Satz von Eiweißen und werden so langsam zu Mycoplasma mycoides.

„Das ist schon beeindruckend, wenn Sie ein Stück DNS gewissermaßen als Software in eine Zelle geben und aus dieser Software entsteht diese andere neue Art“, erklärt Venter in einem Videointerview. Er sitzt zu Hause. Im Hintergrund ist ein geblümtes Sofa zu sehen, das Bild eines Segelschiffes, ein Bücherregal. Venter gibt sich bodenständig und sagt zugleich Sätze wie: „Das ist nicht nur ein wissenschaftlich wichtiger Schritt, sondern auch philosophisch. Es hat meine Sicht der Definition von Leben und wie Leben funktioniert geändert.“ Nicht umsonst lautet der Titel seiner Arbeit „Kreation einer Bakterienzelle, die von einem chemisch synthetisierten Genom gesteuert wird“. Kreation, das klingt nach Schöpfung, nach Leben aus dem Nichts: Craig Venter, Homo creator.

Ob in der Biologie nun die Zeit einer zweiten Genesis anbricht, ist allerdings umstritten. „Es ist ohne Frage ein Meilenstein, aber das ist keine synthetische Zelle“, sagt etwa John McCaskill, der an der Universität Bochum forscht. „Venter hat ein Genom künstlich hergestellt und es mit einer lebenden Zelle kombiniert. Aber wir sind weit davon entfernt, komplett künstliches Leben zu schaffen.“

Auch der Philosoph Volker Gerhardt von der Berliner Humboldt-Universität spricht zwar von einem „Meilenstein“. Unser Weltbild ändere das aber nicht. „Wir gehen in der Biologie schon lange davon aus, dass wir das Leben, die Mechanismen, letztlich kausal erklären können.“ Genau das zeige Venter mit seiner Arbeit. „Insofern ist Venters Arbeit nicht überraschend, sondern konsequent.“

In der Tat war sie seit drei Jahren erwartet worden. Aber obwohl das verwendete Bakterien-Genom dreitausend mal kleiner ist als das menschliche, ist es schwer herzustellen. Die gängigen Maschinen können nur kurze DNS-Fragmente synthetisieren und so mussten die Forscher mehr als 1000 Bruchstücke zusammensetzen. Kein Wunder, dass das Projekt mehr als 20 Menschen über ein Jahrzehnt beschäftigte und 40 Millionen Dollar verschlang.

Außerdem stießen die Forscher immer wieder auf neue Probleme. So fehlten dem künstlichen Erbgut Methylgruppen, kleine Anhängsel, die ein natürliches Erbgut hat. Die bewahren es davor, in der Zelle als fremde DNS erkannt und abgebaut zu werden. Die Forscher lösten auch dieses letzte Hindernis: Indem sie entweder die molekularen Scheren, die die DNS zerstören, ausschalteten oder die Methylgruppen noch an das Erbgut anhängten. Beide Wege erwiesen sich als machbar. Und so kann sich Venter nun einmal mehr der Aufmerksamkeit der Welt sicher sein.

Kein Wunder. Venter ist nicht irgendein Wissenschaftler. Der Vietnamveteran ist getriebener, ehrgeiziger und erfolgreicher als die meisten. In den 90er Jahren hatte er das staatlich finanzierte Humangenomprojekt herausgefordert und fast im Alleingang die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts entschieden vorangetrieben. Dabei hat er stets Misstrauen geweckt. Denn Venter ist Unternehmer. Was er erforscht, soll Geld bringen. Es geht ihm um Aktien und Patente, nicht nur Forschung und Publikationen.

Auch für seine neue Arbeit hat Venter bereits einige Patente beantragt. „Das ist ein wertvolles Werkzeug, um die Biologie so zu entwerfen, dass sie tut, was wir wollen“, sagt er. Öl herstellen zum Beispiel. Venters Forschung wird unter anderem vom Ölmulti ExxonMobil finanziert. Das Ziel: Algen, die CO2 aufnehmen und daraus Kohlenwasserstoffe produzieren, die dann in die Raffinerien von Exxon fließen. „Wir kennen keine natürlichen Algen, die das in den nötigen Mengen tun“, sagt Venter. Er hat auch andere Anwendungen im Blick. So will er Lebewesen entwerfen, die Chemikalien und Lebensmittel herstellen oder Wasser aufreinigen. Mit Novartis arbeitet er daran, die Herstellung von Impfstoffen zu beschleunigen. „Wir können die Herstellungszeit für die Grippeimpfung um 99 Prozent verkürzen“, prahlt er.

Ob die Methoden der synthetischen Biologie wirklich einen großen Nutzen gegenüber der herkömmlichen Gentechnik bieten, ist noch unklar. „Das wird eine heiße Debatte, ob man jetzt wirklich mehr machen kann als vorher“, sagt McCaskill.

Auch über die Sicherheit wird gestritten. Manche Forscher fürchten, künstliche Lebewesen könnten in die Umwelt gelangen, mit unvorhersehbaren Konsequenzen. „Diese Zellen sind außerhalb des Labors überhaupt nicht lebensfähig“, beruhigt Venter. Um sicherzugehen, dass sie ihr Designerbakterium überall nachweisen können, haben die Forscher im Erbgut von „Mycoplasma mycoides JCVIsyn1.0“ gleich vier Stellen eingebaut, die im natürlichen Genom nicht vorkommen. McCaskill ist davon nicht beeindruckt. „Es gibt keine Garantie, dass diese Wasserzeichen über längere Zeit stabil sind“, kritisiert er. Venter aber ist stolz. „Wir haben sogar einen neuen Code entworfen, um Sprache im Genom verschlüsseln zu können“, sagt er. Nun seien in den 1,2 Millionen Buchstaben die Namen der Forscher, einige Zitate und eine Internetseite versteckt. Er spricht es zwar nicht aus, aber in der Pause nach seinen Worten meint man es zu hören: Große Künstler signieren schließlich auch ihr Meisterwerk.

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