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Kluger Hund. Viele Tiere können kleine Mengen instinktiv abschätzen.

© Vario

Biologie: Eins, zwei, drei, vier, viele

Prinzip Bierdeckel: Bis zur "Vier" genügen einfache Striche. Mensch und Tier erkennen kleine Zahlen sofort. Ab fünf wird’s schwierig.

Bierdeckel liefern wichtige Hinweise auf das Zählsystem antiker Hochkulturen. Zunächst markiert die Bedienung jedes Getränk mit einem Strich auf dem Bierdeckel des jeweiligen Gastes. Sitzt die Runde länger zusammen, wird der fünfte Radler aber nicht mit einem weiteren Strich parallel zu den anderen, sondern mit einem Schrägstrich quer durch die bereits vorhandenen vier Linien notiert. Die Getränke sechs bis neun ergeben dann wieder senkrechte Striche. Während das zehnte mit einem weiteren Schrägstrich quittiert wird.

Genauso funktionierte das Zählen bei den alten Chinesen und den südlichen Arabern: Die ersten vier Zahlen wurden mit Strichen symbolisiert, die Zahl Fünf aber bekam ein eigenes Zeichen, in China ein X, in Arabien ein U. Nur die Maya tanzten aus der Reihe und notierten die ersten vier Zahlen mit Punkten, während der senkrechte Strich „fünf“ bedeutete. Den Ursprung dieser frappierenden Übereinstimmung deckt der Biochemiker und Bienenforscher Hans Gross von der Universität Würzburg in der Zeitschrift „Communicative & Integrative Biology“ (Band 4, Seite 62) auf. Nicht nur Menschen, sondern auch viele Tiere erfassen kleine Mengen auf einen Blick, spätestens ab fünf Objekten müssen die Zweibeiner dann einzeln zählen. Um sich Rechnerei zu sparen, nimmt man dann für die „Fünf“ lieber ein eigenes Symbol.

Welche Mengen Menschen auf einen Blick erfassen können, bemerken Eltern meist an ihren Kindern, die ebenfalls gern mit der verblüffenden Reihenfolge „Eins, zwei, drei, vier, viele“ zählen.

Auch Tiere haben anscheinend ähnliche Fähigkeiten. Das entdeckte in den 40er Jahren Otto Koehler an der Universität Freiburg. Jedenfalls lernten Tauben und Dohlen durchaus, dass hinter einer mit drei Punkten versehenen Klappe eine schmackhafte Belohnung auf sie wartete, wenn der Versuchsleiter ihnen vorher ebenfalls drei Punkte gezeigt hatte. Im Laufe der Jahre kamen weitere Experimente mit anderen Arten dazu. Das Ergebnis war jeweils ähnlich: Waschbären und Delfine, Affen und Singvögel, ja sogar ein Salamander erfassten kleine Mengen auf einen Blick, während sie ihr offensichtlich angeborenes Schätzvermögen im Stich lässt, wenn fünf oder mehr Objekte rasch erfasst werden sollen. Schimpansen schaffen es sogar, kleine Mengen nach ihrer Größe anzuordnen.

„In der Natur ist dieses rasche Erfassen kleiner Mengen unter Umständen lebenswichtig“, erklärt Hans Gross am Beispiel von Steinzeitmenschen: Stehen diese auf den Savannen Afrikas einer Gruppe Löwen gegenüber, müssen sie blitzschnell entscheiden. Gegen ein oder zwei Raubtiere hat man vielleicht eine Chance. Stehen aber vier oder mehr Großkatzen gegen einen, ist sicherlich das Erklimmen eines nahen Baumes die bessere Alternative. Mehr als vier Objekte braucht man also nicht genau einzuschätzen. Ähnlich geht es auch einem Vogel, der auf einen Blick sieht, ob noch vier Eier im Nest liegen oder ob das Eichhörnchen einen Teil des werdenden Nachwuchses geholt hat. Fehlen Eier, legt sie der Vogel möglicherweise nach. Ein Schimpanse interessiert sich dafür, ob an einem dünnen Ast nur drei Früchte hängen und er daher den riskanten Versuch besser abbricht, sich zu ihnen zu hangeln. Hängen am nächsten Ast vier oder mehr Früchte, lohnt sich das Unternehmen dort viel eher.

Nun hat ein Schimpanse Milliarden von Nervenzellen im Gehirn und entsprechend große Kapazitäten zum Schätzen kleiner Mengen. Gross interessierte sich daher dafür, ob eine Honigbiene mit nur einer Million Nervenzellen im Denkorgan ähnlich schätzt. Er dachte sich einen Test für die Insekten aus. Die Bienen fliegen in eine kleine Kammer, in der eine bestimmte Zahl blauer Punkte dargestellt ist. Nach einem Meter durch einen Tunnel müssen sie sich zwischen zwei Kammern entscheiden, von denen eine mit der vorher gesehenen Punktzahl gekennzeichnet ist, während die andere mehr oder weniger Punkte hat. Nach rund 20 Versuchen haben die Bienen gelernt, dass in der Kammer mit der gleichen Punktzahl immer Zuckerwasser wartet, während sie in der Kammer mit einer anderen Menge von Punkten leer ausgehen.

Hatten sie vorne drei blaue Punkte gesehen, flogen sie in Zukunft daher zielstrebig die Kammer mit drei Symbolen weiter hinten an. Das klappte auch, wenn die Anordnung der Punkte vorne anders als hinten war. Oder wenn vorne zwar blaue Punkte zu sehen waren, hinten aber die entsprechende Zahl gelber Zitronen oder grüner Blätter oder lila Blüten. Ähnlich wie Wirbeltiere erfassen also auch diese Insekten kleine Mengen, an großen scheitern sie leicht.

Unwillkürlich folgten auch die frühen Kulturen diesem System und zeichneten bis zu einer Menge von vier die gleiche Zahl an Strichen oder Punkten. Nur die alten Ägypter zählten ein klein wenig anders. Genau wie auf dem Bierdeckel zählten sie mit parallelen Strichen bis vier. Für die „Fünf“ aber gab es kein eigenes Symbol, sondern wurden oben drei parallele Striche und darunter zwei Striche auf Papyrus geritzt. Bei der „Sieben“ standen oben vier und darunter drei Striche, während die „Neun“ mit drei untereinander angeordneten Gruppen von drei Strichen symbolisiert wurde. „Dabei erkennt man nicht die Zahl der Striche, sondern das Muster“, erklärt Gross. Ganz ähnlich registrieren übrigens Menschen bei Würfelspielen die „Fünf“ und die „Sechs“ nicht an der Menge, sondern am Muster.

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