zum Hauptinhalt

Biologie: Lebende Fossilien mit drei Augen

Brückenechsen sind faszinierende Forschungsobjekte. Nur auf wenigen Inseln Neuseelands gibt es die lebenden Fossilien noch.

Völlig regungslos sitzt die armlange Brückenechse hinter dickem Plexiglas in einem Flur der Victoria University in Neuseelands Hauptstadt Wellington und starrt die Besucher minutenlang unverwandt an. Plötzlich schießt das in Neuseeland „Tuatara“ genannte Tier los und verschwindet in einer kleinen Höhle. „Mit diesem Verhalten entgehen Tuataras den Vögeln, die völlig regungslose Tiere aus der Luft kaum entdecken können“, erklärt die Zoologin Nicola Nelson. Millionen Jahre lang ging diese Taktik für die Tuataras in Neuseeland auf, weil die Inseln lange vom Rest der Welt isoliert blieben. In allen anderen Regionen der Welt haben räuberische Kleinsäuger die Brückenechsen ausgerottet.

Den nächsten Verwandten der Tuataras kennen Wissenschaftler nur in Form von 180 Millionen Jahren alten Knochen. Die Brückenechsen sind also lebende Fossilien. Sie eröffnen Biologen einen Blick in die Welt vor der Zeit der Dinosaurier, seit der sich die Brückenechse Sphenodon punctatus kaum verändert hat.

So haben die jungen Tuataras ein drittes Auge auf dem Kopf, das sich mit den Jahren zwar langsam schließt, aber auch später noch bestimmte Funktionen übernimmt: Die Brückenechsen messen damit, wie hell es ist, und steuern so den Rhythmus zwischen Schlafen und Wachen oder Winterruhe und sommerlicher Aktivität. Besonders empfindlich ist das dritte Auge für ultraviolettes Licht. Manche Forscher vermuten daher, dort könnte das lebenswichtige Vitamin D in einem ähnlichen Prozess hergestellt werden, der beim Menschen in der sonnenbeschienenen Haut stattfindet.

Im Spätsommer Neuseelands im Februar und März paaren sich die Brückenechsen. Die Tiere pressen ihre Kloaken fast eine Stunde lang eng aneinander, um den Samenzellen die Chance zu geben, Eizellen zu erreichen. Nach neun Monaten Entwicklung legen die Weibchen dann im späten Frühjahr im November ihre Eier in ein sauber ausgepolstertes Nest, das sie oft auch genau bewachen. Im mittleren Drittel der mehr als einjährigen Entwicklung der Eier gibt es ein Zeitfenster, das über das Geschlecht der später schlüpfenden Tiere entscheidet, hat Nicola Nelson beobachtet. Liegen die Temperaturen unter 21 Grad Celsius, schlüpfen Weibchen, bei höheren Temperaturen entstehen Männchen. Diese temperaturgesteuerte Geschlechterbestimmung könnte den Brückenechsen im Klimawandel zum Verhängnis werden, befürchtet Nelson. Steigende Temperaturen haben auf der Insel North Brother in der Cook-Straße zwischen der Nord- und der Südinsel Neuseelands bereits dazu geführt, dass heute auf 40 Weibchen 60 Männchen kommen.

Probleme bereiten den Tuataras aber auch „neue“ Feinde. Gegen Vögel hilft das Erstarren zwar noch immer hervorragend. Seit aber vor rund 800 Jahren die ersten Menschen Neuseeland erreichten, machen Ratten und kleinere Raubtiere wie das Hermelin Jagd auf die gut ein Kilogramm schweren Tuataras. Gab es Tuataras einst überall auf Neuseeland, existiert das lebende Fossil heute nur noch auf wenigen kleinen Inseln vor den Hauptinseln, auf die bis heute keine Ratten vorgedrungen sind. Auf die kleine Insel Whenuakura kamen 1984 die ersten Ratten, sechs Monate später lebte dort keine einzige der vorher rund 100 Brückenechsen mehr.

In einem Gebiet gleich neben den Vororten der Hauptstadt Wellington haben Naturschützer ein Reservat eingerichtet. Ein Spezialzaun hindert auch kleine Säugetiere daran, dorthin vorzudringen. So können sich die rund 200 erwachsenen Tuataras, die 2005 und 2007 dort freigelassen wurden, zum ersten mal seit Jahrhunderten wieder auf der Nordinsel Neuseelands vermehren. Noch hat das lebende Fossil eine Chance – und Nicola Nelson kann das Leben der Tuataras auch außerhalb des Terrariums in der Victoria University beobachten. Roland Knauer

Zur Startseite