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Mächtig. Bislang fehlt im Brexit-Ministerium von David Davis ein Wissenschaftsberater. Forscher ringen darum, dass ihre Interessen trotzdem berücksichtigt werden.

© AFP

Brexit und die Folgen: Wie britische Forscher für Europa kämpfen

Die allermeisten Wissenschaftler haben für "Remain" gestimmt. Nach dem Brexit versuchen sie, ihre Verbindungen mit dem Kontinent zu retten. Ein Stimmungsbild vom Euroscience Open Forum.

„Warum protestieren Sie nicht auf den Straßen, wie es unsere Bauern machen? Warum schreien Sie nicht, um gehört zu werden?“ Dass das Euroscience Open Forum (Esof) in diesem Jahr ausgerechnet in Manchester stattfand, hätte die britische Wissenschaftselite als Steilvorlage nutzen können. Stattdessen ließen sie die Gelegenheit verstreichen, ohne ihren Minister Jo Johnson oder die anwesenden Vertreter aus Brüssel zumindest mit einem gemeinsamen Statement zu konfrontieren. Die Französin aus dem Publikum schüttelte fassungslos ihren Kopf. „Wir sind zu wohlerzogen“, antwortete ihr Anne Glover, Dekanin für Europa der Universität Aberdeen und Mitglied im Standing Council for Europe, den die schottische Regierung kurz nach dem Brexit-Votum eingesetzt hat. „Aber wir müssen anfangen, uns lauthals zu beschweren!“

Die Forscher, die zum allergrößten Teil für „Remain“ gestimmt hatten, wissen nur zu gut, was für sie auf dem Spiel steht. Sie ziehen im Hintergrund Fäden, schreiben Briefe und hoffen, dass es im Brexit-Ministerium von David Davis einen Wissenschaftsberater geben wird. Im Vorfeld des Votums ist ihre faktenbasierte Argumentation nicht zu den Wählern durchgedrungen. Im Gegenteil. „Lassen Sie mich die Kommentare höflich umformulieren“, sagte Glover. „Sie sind ein Schwein mit der Nase im Trog. Kein Wunder, dass Sie in der EU bleiben wollen.“ Die Bürger hätten nicht verstanden, dass jeder Euro, den Forscher in Wissen umwandeln, allen jeden Tag zugute komme.

Die Verunsicherung richtet bereits Schaden an

„Es geht nicht nur um Geld“, sagte Venki Ramakrishnan, Präsident der Royal Society und Nobelpreisträger. Er höre immer wieder, dass das Wissenschaftsbudget geschützt sei. Das könne nur bedeuten, dass die Regierung einspringt, wenn die EU-Förderung ausfallen sollte. „Programme wie Horizon 2020 sind auch deshalb so wichtig, weil sie Netzwerke für Großprojekte schaffen. Davon wollen wir nicht ausgeschlossen werden.“ Zudem habe die EU es Universitäten ermöglicht, aus einem großen Pool Talente anzuwerben. Die Hälfte der internationalen Forscher in seinem eigenen Labor an der Universität Cambridge stamme aus EU-Staaten. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müsse Großbritannien nun die Visaregeln für Forscher aus aller Welt vereinfachen. „Wochenlange Verzögerungen sind nicht akzeptabel“, sagte er.

Die Verunsicherung richte bereits Schaden an. So sammelte die Lobbygruppe „Scientists for EU“ 25 Beispiele dafür, dass ausländische Forscher wegen des Brexit ihre Bewerbung auf eine Stelle zurückgezogen haben. Sieben andere haben das Land verlassen. In 33 Fällen habe es informelle Benachteiligungen bei Bewerbungen für eine Horizon-2020-Förderung gegeben. „Wenn eine Finanzierung zum Beispiel für fünf Jahre vorgesehen ist, brauchen wir die Zusage, dass wir sie komplett in Anspruch nehmen können – und nicht nur zwei Jahre bis zum Brexit“, sagte Ramakrishnan. Sonst kehrten Spitzenforscher der Insel den Rücken. „Und fast 50 Prozent unserer ERC-Stipendiaten kommen aus dem Ausland!“

Die Politiker experimentieren direkt am Menschen

Sowohl Jo Johnson als auch EU-Forschungskommissar Carlos Moedas blieben indes vage. „Ich wünschte, ich hätte alle Antworten“, sagte Moedas. Ohne Zweifel könnten in Großbritannien ansässige Forscher eine Horizon-2020-Förderung beantragen, solange das Land Mitglied der EU sei. „Die Bewerbungen werden nach Exzellenz bewertet und nicht nach Nationalität.“ Auch Johnson versicherte, dass es keine unmittelbaren Veränderungen gebe. Seine Aussagen über die Zukunft blieben schwammig: „Die EU zu verlassen, heißt nicht, dass wir Europa den Rücken kehren“, sagte er. Großbritannien bleibe weltgewandt. „Es ist mir bewusst, dass Sie mehr Klarheit brauchen, und ich arbeite mit meinen Kollegen in der Regierung daran.“ Johnson ließ keine Fragen zu.

Als später Andre Geim – ein Physiknobelpreisträger, der an der Universität Manchester zweidimensionale Werkstoffe wie Graphen erforscht – das Podium betrat, konnte er sich eine bissige Bemerkung nicht verkneifen: „Wenn Mediziner ein Medikament erproben, testen sie es zunächst an Fröschen und Mäusen. Großbritanniens Politiker experimentieren gerade direkt am Menschen.“

Freizügigkeit nur für Wissenschaftler?

Noch immer geschockt vom Brexit versuchen die unfreiwilligen Probanden nun, das Beste aus der Situation zu machen. „Wir müssen pragmatisch sein und daran denken, was die Bevölkerung im Vereinigten Königreich akzeptieren kann“, sagte Glover. Eine Möglichkeit sei, die Freizügigkeit auf europäische Wissenschaftler einzugrenzen. Die Antwort auf diesen Vorschlag bekam sie via Twitter von Junckers Kabinettschef Martin Selmayr: „No.“

Der Besuch der Esof wurde über die Masterclass Wissenschaftsjournalismus der Robert-Bosch-Stiftung gefördert.

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