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Eine Lehrbeauftragte sitzt in einem Seminarraum vor Studierenden.

© IMAGO

Bundesweiter Protest der Lehrbeauftragten: Prekäre Lehre

Lehrbeauftragte sind unterbezahlt, obwohl keine Hochschule in Deutschland noch ohne sie auskommt. Bei einem Aktionstag am heutigen Donnerstag protestieren sie bundesweit und informieren über ihre Arbeitsbedingungen.

Am Ende hat es dem ehemaligen Professor gereicht. 42 Euro pro Stunde wurden ihm für seinen Lehrauftrag vorab schriftlich zugesagt, im Vertrag standen plötzlich sechs Euro weniger. Weil er auf mehrfaches Nachfragen keine Antwort erhielt, teilte er der Hochschule im September in einer E-Mail mit: „Ich verspüre nicht die geringste Lust, eine weitere Auseinandersetzung um die Höhe des Honorars zu führen.“ Den Lehrauftrag sage er hiermit ab.

Jahrzehntelang unterrichtete er Studierende in Nachrichtentechnik, seit 2007 ist er im Ruhestand. Als ein Kollege von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) ihn bat, im Wintersemester eine Vorlesung zu übernehmen, ließ er sich überreden, forderte aber eine höhere Vergütung als den an der HTW üblichen Stundensatz von 36 Euro. Man bot ihm 42 Euro, das zahlt die HTW in Ausnahmefällen. Es war dem Professor immer noch zu wenig, aber er wollte dem Kollegen den Gefallen tun. Auf das Geld ist er nicht angewiesen, trotzdem empfand er den niedrigen Satz als mangelnden Respekt gegenüber seiner Arbeit.

Nicht mehr alle sind bereit, die prekären Zustände hinzunehmen

Der Technik-Professor mag kein Lehrbeauftragter sein, der vom Unterrichten leben muss. Doch sein Protest zeigt, dass längst nicht mehr alle bereit sind, die prekären Zustände an den Hochschulen hinzunehmen. Honorardozenten stemmen einen großen Teil der regulären Lehre, sie nehmen Prüfungen ab und korrigieren Hausarbeiten, werden jedoch nur pro gehaltene Stunde bezahlt. Wer auf Vorlesungsskripte zurückgreifen kann, spart zumindest die unbezahlte Vorbereitungszeit. Doch selbst bei vollem Lehrdeputat verdienen Lehrbeauftragte nach Steuern und Sozialabgaben nicht einmal halb so viel wie ihre angestellten Kollegen. Vielen droht Altersarmut. Selten haben die Dozenten dagegen Mitspracherecht an den Hochschulen, weil sie nicht als wissenschaftliches Personal gelten. Politisch organisierten sie sich lange nicht, auch weil sie sich untereinander kaum kannten.

Nun regt sich so etwas wie Widerstand. Bereits 2011 hatte die Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen in ihrer „Frankfurter Resolution“ Dauerstellen für alle gefordert, die den Kernbereich der Lehre abdecken, und eine vergleichbare Bezahlung für jene, die mit weniger regelmäßigen Aufträgen zu einem vielfältigen Lehrangebot beitragen. Ein Jahr später zogen die Sprachlehrbeauftragten nach, die wie die Musikhochschuldozentinnen besonders häufig ihren Lebensunterhalt durch Unterrichten bestreiten. An einzelnen Hochschulen gibt es mittlerweile Beschlüsse zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, etwa an der Europa-Universität in Frankfurt (Oder) sowie an der Freien Universität Berlin. Am heutigen Donnerstag rufen die Bundeskonferenzen gemeinsam mit der Bildungs-Gewerkschaft GEW zu einem bundesweiten Aktionstag auf, um öffentlich auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

Der große Aufstand wird wohl ausbleiben, die Angst ist zu groß

In Berlin beteiligen sich sieben Hochschulen mit Info-Tischen, Flashmobs und Podiumsdiskussionen, darunter die FU und die Humboldt-Universität. Um 13 Uhr wird es eine Protestaktion vor der Senatsbildungsverwaltung geben, bei der eine „Berliner Resolution“ mit Forderungen an den Senat übergeben werden soll. Auch in Bremen, Rostock, Leipzig und Hamburg sind Proteste geplant, die Musikdozenten sind deutschlandweit präsent. Doch der große Aufstand wird wohl ausbleiben. Zu groß ist bei den meisten die Angst, aufgrund des Engagements keine weiteren Lehraufträge zu bekommen.

Aus dem Fachbereich Ingenieurwissenschaften an der HTW, wo nach dem Rückzieher des Professors plötzlich ein Lehrbeauftragter fehlte, heißt es, dass solche Absagen selten vorkommen. „Die Bedingungen sind ja im Vorfeld bekannt“, sagt Dekan Friedrich Sick. Oft ist es aber einfach unmöglich, einen Vertrag abzulehnen. Manche ausländische Lehrbeauftragte müssten für ihre Aufenthaltserlaubnis einen Lehrauftrag vorweisen. Ein Mittelbau-Vertreter der Viadrina spricht von „feudalen Abhängigkeitsverhältnissen“.

Die Freie Universität signalisiert Zustimmung

Dabei bestreitet kaum jemand die Probleme. Als die GEW-Mittelbauinitiative im Juli beim Akademischen Senat der FU in einem Antrag forderte, die Bezahlung und Integration von Lehrbeauftragten zu verbessern, gab es Zustimmung von Professoren und Präsidium. „Da war niemand, der uns als Externe bezeichnet hat, für die man sich nicht einsetzen kann“, erinnert sich Linda Guzzetti, die an der FU Vertreterin der Lehrbeauftragten im Beirat des Sprachzentrums ist. In Berlin und Brandenburg ist gesetzlich nicht vorgesehen, dass Lehrbeauftragte vom Personalrat vertreten werden – anders als in Nordrhein-Westfalen und Schleswig Holstein. An der Uni Bochum konnten Lehrbeauftragte dadurch kürzlich eine beträchtliche Honorarerhöhung durchsetzen.

Ursprünglich sollten Lehraufträge an erfahrene Praktiker gehen, die das Lehrangebot ergänzten, aber von einem anderen Hauptberuf lebten. Seit die Studierendenzahlen steigen, aber kaum neue Professuren entstehen, übernehmen Lehrbeauftragte immer häufiger grundständige Lehre. Ihre Zahl hat sich seit 2004 fast verdoppelt. Einen weiteren Beruf üben die wenigsten aus. An der HTW etwa werden 48 Prozent aller Kurse von Externen abgedeckt. Der rebellische Technik-Professor spricht von „Verantwortungslosigkeit gegenüber den Studenten“, da die Qualität der Lehre so kaum sicherzustellen sei.

In Brandenburg wird eine Gesetzesänderung zum Bumerang

Dekan Friedrich Sick widerspricht: „Ich kann aus meiner Erfahrung nicht bestätigen, dass die Lehrbeauftragten schlechten Unterricht machen. Im Gegenteil: Sie sind zum überwiegenden Teil sehr motiviert.“ Dass Berliner Hochschulen so viele Lehrbeauftragte beschäftigen, hängt für Sick mit der schlechten Bezahlung von Professoren zusammen. Nicht selten platzten Berufungen wegen der niedrigen Besoldung.

In Brandenburg meint man, prekäre Beschäftigung durch einen Trick abwenden zu können. Lehraufträge sollen nur vier Semester hintereinander für höchstens vier Semesterwochenstunden vergeben werden, um zu verhindern, dass Dozenten ohne Hauptberuf dauerhaft unterrichten. Linda Guzzetti bezeichnet die Vorschrift als „Bumerang für Lehrbeauftragte“, die jetzt noch häufiger Arbeit an verschiedenen Hochschulen suchen müssten. Zur Zeit wird geprüft, ob Unis die Offenlegung der beruflichen Situation überhaupt verlangen dürfen oder damit gegen das Persönlichkeitsrecht verstoßen.

Obwohl die Forderung der freien Dozenten nach mehr sozialversicherungspflichtigen Stellen auf der Hand liegt, geht ihr Kampf um faire Arbeitsbedingungen zäh voran. Guzzetti freut sich zwar über die allmähliche Bereitschaft einiger Präsidien, über Vergütung, Mitsprache und Befristung von Lehrbeauftragten zu reden. „Wir befinden uns auf einem guten Weg“, sagt sie. Natürlich ändere sich die Situation nicht über Nacht, aber immerhin bewege sich seit einem Jahr etwas.

Über die Berliner Aktivitäten im Rahmen des Aktionstages am Donnerstag informiert ein Blog im Internet.

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