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Cern

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Cern: Ring frei für den Urknall

Der mächtigste Teilchenbeschleuniger der Welt geht in Betrieb - die Supermaschine des europäischen Kernforschungszentrums Cern schickt Protonen auf Probefahrt. Ist dies ein Weg zum Wissen oder zum Weltuntergang?

Am heutigen Mittwoch, zwischen 9 und 10 Uhr, ist es so weit: Nach einer Bauzeit von 14 Jahren geht am Genfer See die größte Maschine der Welt in Betrieb. Im Superbeschleuniger LHC („Large Hadron Collider“) des europäischen Kernforschungszentrums Cern werden erstmals Protonen – Elementarteilchen aus dem Kern von Atomen – auf Probefahrt geschickt.

Ein Beschleuniger dieser Größenordnung lässt sich nicht einfach mit Hilfe eines Knopfdrucks, sondern nur nach und nach „anschalten“. Heute und in den nächsten Wochen geht es zunächst darum, die Teilchen auf Trab zu bringen und in dem 27 Kilometer langen unterirdischen Tunnel auf eine Kreisbahn zu schicken. Dabei prüft man, ob alle Magneten, Messfühler und sonstigen Instrumente funktionieren und zeitlich aufeinander abgestimmt sind.

Sobald es gelungen ist, zwei stabile Protonenstrahlen zu erzeugen, wird man sie frontal zusammenstoßen lassen. Dies wird voraussichtlich in zwei Monaten der Fall sein. Ziel des Experiments ist eine Art Miniatururknall im Labor: Es geht darum, Bedingungen zu simulieren, wie sie im Universum kurz nach dem Big Bang herrschten.

Die Versuche sollen Licht werfen auf die ganz großen Fragen der Kosmologie und Teilchenphysik: Wie entstand das All? Wie kam die Materie zu ihrer Masse? Stimmt das heutige Standardmodell der Physik, das die Bausteine der sichtbaren Materie sowie die Kräfte, die zwischen ihnen wirken, beschreibt? „Es geht um die Faust’sche Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält“, sagt der Physiker Rolf-Dieter Heuer, derzeit noch Direktor am Beschleunigerlabor Desy in Hamburg; ab 2009 wird Heuer neuer Cern-Generaldirektor sein.

Rund sechs Milliarden Euro hat der Gigant von Genf verschlungen, 10 000 Forscher aus 111 Nationen sind beteiligt – nie zuvor hat es ein wissenschaftliches Experiment dieser Dimension gegeben.

Der LHC-Tunnel befindet sich im Schnitt 100 Meter unter der Erde und verläuft teils durch die Schweiz, teils durch Frankreich. Herzstück sind zwei Vakuumstahlrohre, in denen die Protonen in unterschiedlicher Richtung auf nahezu Lichtgeschwindigkeit gebracht werden, einmal links-, einmal rechtsherum.

An vier Stellen entlang des Tunnels werden die Protonenstrahlen mit Hilfe von Magneten zusammengeführt. Es kommt zu Crashs, bei denen auf engstem Raum eine enorme Energie freigesetzt wird – was zur Bildung exotischer Materieteilchen anregt. Mit Hilfe von haushohen Detektoren misst man die Flugbahnen dieser Teilchen. Das erlaubt Rückschlüsse auf ihre Identität. Die Auswertung der Daten wird Jahre und Dutzende von Forschungsteams in Anspruch nehmen.

In erster Linie hoffen die Physiker, in den Daten auf einen „Fingerabdruck“ des ominösen „Higgs-Teilchen“ zu treffen. 1964 schlug der britische Physiker Peter Higgs einen Mechanismus vor, der erklärt, wie die Bausteine der Materie (schwere Protonen, leichte Elektronen usw.) zu ihrer spezifischen Masse kommen. Dazu stellte sich der Theoretiker ein Energiefeld vor, das Higgsfeld, das den gesamten Kosmos durchzieht und mit den Materieteilchen in Wechselwirkung steht. Manche Elementarteilchen, wie das Proton, interagieren stark mit diesem Higgsfeld und werden deshalb träge und schwer. Andere, wie das Elektron, stehen kaum mit dem Feld in Kontakt: Sie schießen leicht und schnell durch das Higgsfeld hindurch.

Higgs macht das Standardmodell der modernen Physik rund – einziges Problem: Das Higgsfeld selbst konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Das soll sich mit dem Start des LHC ändern.

Neben dem Nachweis für das Higgsfeld könnte der Superbeschleuniger auch Licht werfen auf die Natur der Dunklen Materie, die rund ein Viertel des Universums sowie 80 Prozent der Masse darin ausmacht. Das für uns sichtbare All stellt nur einen winzigen Ausschnitt des Gesamtuniversums dar: Mehr als 95 Prozent des Kosmos bestehen aus Dunkler Materie und Dunkler Energie, über die wir so gut wie nichts wissen.

Der LHC ist wie eine Lupe für das Innerste der Materie. Um in dieses Innere vorzudringen, braucht man Energie. Je mehr Energie, desto schärfer die Lupe. Der LHC ist siebenmal stärker als der vormals größte Teilchenbeschleuniger namens Tevatron, der sich in der Nähe von Chicago befindet. Mit dem LHC könnte man deshalb auch auf gänzlich neue, bis heute ungeahnte Phänomene der Physik stoßen. Eventuell müssen schon in zwei, drei Jahren Teile heutiger Physik-Lehrbücher neu geschrieben werden.

Der bevorstehende Schritt ins Unbekannte weckt nicht nur Begeisterung, sondern auch Ängste. Manche Physiker, allen voran der britische Kosmologe Stephen Hawking, hoffen, dass sich im Beschleuniger kleine Schwarze Löcher bilden werden. Einige Skeptiker haben sich in die Befürchtung verstiegen, diese Minilöcher könnten die Erde in den Untergang reißen, ja vollständig verschlucken.

Sowohl das Cern als auch andere Experten, wie die deutsche Kommission für Elementarteilchenphysik, sind jedoch davon überzeugt, dass vom neuen Beschleuniger keine Gefahr ausgehe. „Der LHC ist sicher“, sagt Cern-Direktor Robert Aymar. „Jede Andeutung, er könne ein Risiko darstellen, ist pure Fiktion.“ Praktisch alle seriösen Physiker unterstreichen diese Ansicht. Der US-Nobelpreisträger David Gross hat die ganze Diskussion um den vermeintlichen Weltuntergang als „albern und absurd“ bezeichnet.

Der New Yorker Physiker Michio Kaku meinte kürzlich im britischen „Guardian“, die Physiker selbst hätten eine Mitschuld an der Verunsicherung. Wie Werner Heisenbergs Unschärferelation und die Quantenmechanik beschreiben, ist prinzipiell jedes Ereignis möglich, und sei es noch so unwahrscheinlich: So könne die Maschine auch „feuerspeiende Drachen hervorbringen“, schreibt Kaku. Dies aber sei – ebenso wie ein gefährliches Schwarzes Loch – so extrem unwahrscheinlich, dass es während der ganzen Lebenszeit unseres Universums nicht passieren werde. In einem solchen Falle aber sollte man lieber gleich sagen: Es wird nicht geschehen. Einige seiner Kollegen hätten dies, findet Kaku, nicht klar genug getan.

Tatsächlich spricht alles dafür, dass die Experimente am Cern in Sachen Weltuntergang eher unspektakulär verlaufen werden. Dafür ist die Energie, mit der man im Beschleuniger hantiert, viel zu klein: Sie entspricht in etwa der, die bei der Kollision zweier Fliegen freigesetzt wird, allerdings auf minimalem Raum.

Was aber am meisten gegen die Untergangsszenarien spricht, ist der Umstand, dass die Ereignisse, die man am Cern nachspielen wird, im Universum seit Milliarden von Jahren stattfinden – trotzdem existieren Sonne, Mond und unsere Erde, Genf inklusive, nach wie vor. Was im LHC passiert, heißt es in einer soeben veröffentlichten Cern-Sicherheitsstudie, findet auf Erden ständig statt, weil die Erde auf ihrem Weg durch den Weltraum auf hochenergetische Strahlung stoße. „Die Natur hat bereits die Entsprechung von ungefähr 100 000 LHC-Testprogrammen auf der Erde durchgeführt“, sagt der wissenschaftliche Leiter des Cern, Jos Engelen, „und der Planet ist immer noch da.“

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