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Himmelsstürmer. Am 1. Oktober 2010 startet eine Trägerrakete mit der Mondsonde „Chang’e-2“. Sie soll den Erdbegleiter mindestens sechs Monate lang erkunden. Foto: AFP

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Wissen: Chinas langer Marsch ins All

Das Land will die vierte Großmacht im Weltraum werden – mit eigenen Entwicklungen und Nachgeahmtem

„Wenchang“ und „Langer Marsch V“ könnten bald zu neuen Schlagworten der internationalen Raumfahrt gehören. Die Begriffe stehen für einen modernen Weltraumbahnhof im Südchinesischen Meer sowie eine schwere Trägerrakete – jene zwei Schlüsselelemente, mit denen sich China einen Platz neben den drei bisherigen Weltraumgroßmächten USA, Russland und Europa erarbeiten will.

Hinzu kommt ein verstärktes Engagement für internationale Zusammenarbeit. So vereinbarten der chinesische Präsident Hu Jintao und US-Präsident Barack Obama bei einem Treffen vor wenigen Tagen mehr Kooperationen in der Raumfahrt. Ob dieser Erklärung Taten folgen oder ob die – beiderseitige – Skepsis stärker ist, wird sich zeigen.

Auf dem Weg in den Kosmos sind die Chinesen keineswegs Neulinge. Als Geburtsstunde der chinesischen Raumfahrt gilt der 8. Oktober 1956. An diesem Tag wurde das „Raketenforschungsinstitut Nr. 5“ gegründet, mit Wissenschaftlern an der Spitze, von denen einige in den 1940er Jahren am Jet Propulsion Laboratory in Pasadena (USA) gearbeitet hatten. Die Einrichtung war damals dem Verteidigungsministerium unterstellt. „Starthilfe“ leisteten anfangs die UdSSR, die China die notwendigen Raketen lieferte.

Der Bruch mit der Sowjetunion durch Mao Zedong 1960 war Auslöser für Chinas eigenen Weg ins All. Am 19. Februar 1960 startete die erste flüssigkeitsgetriebene Höhenforschungsrakete. Sie war der Anfang einer Raketenserie, die unter dem Namen „Langer Marsch“ bekannt ist. Mit ihr sollte auch das ab 1968 geplante bemannte Weltraumprogramm verwirklicht werden. Es sah vor, zwei Astronauten mit einem Raumschiff namens „Morgenröte“ ins All zu bringen.

Aus politischen Gründen und weil das Geld fehlte, wurde das Vorhaben aber 1980 eingestellt. Erst 1993 unternahm China einen zweiten Anlauf: mit der Gründung der nationalen Raumfahrtagentur China National Space Administration, kurz CNSA. Sie entwickelte das Raumschiff Shenzhou („Gottesschiff“).

Es ähnelt in manchem dem russischen Sojus-Raumschiff, weist auf der anderen Seite bedeutende Unterschiede zum russischen Pendant auf. So bietet es beispielsweise mehr Platz. Vor allem ist Shenzhou mit einem Antriebs- und Bahnregelungssystem ausgerüstet, so dass es prinzipiell für längere Zeit im All als eine Art Mini-Raumstation bleiben kann. Von 1999 bis 2008 ist Shenzhou siebenmal geflogen, davon dreimal bemannt. Die Taikonauten – so werden die Raumfahrer im Reich der Mitte genannt – haben dabei auch den Ausstieg ins All geprobt.

Nach den Ausflügen in die Umlaufbahn soll nun ein längerer Aufenthalt folgen: in einer eigenen Raumstation. Ihre Masse wird etwa 20 Tonnen betragen, bei 15 Metern Länge und einem Durchmesser von 4,2 Metern. Damit ähnelt sie deutlich dem Basismodul der ehemaligen russischen Raumstation „Mir“.

Um das fliegende Labor in den Weltraum zu hieven, sind starke Trägerraketen und ein günstiger Startplatz vonnöten. Dazu wird derzeit an dem neuen Kosmodrom Wenchang gearbeitet. Es entsteht auf der Insel Hainan und liegt nahe dem Äquator. „Grund für den Neubau ist der schlechte Zustand der bisherigen Startkomplexe“, erläutert der chinesische Fachjournalist und Raumfahrtexperte Chen Lan. Die Kosten für die Modernisierung seien erheblich höher als für den Bau einer komplett neuen Anlage. „Und mit 18 Grad nördlicher Breite liegt das Kosmodrom zehn Grad näher am Äquator als Cape Canaveral.“ Der Standort erlaubt somit auch den Start schwerer Lasten. Denn je näher am Äquator eine Rakete abhebt, umso besser kann sie den Schwung der Erdrotation nutzen und entsprechend mehr Last der Erdanziehung entreißen.

Das soll eine neue Generation von Trägerraketen namens „Langer Marsch V“ schaffen. Je nach Typ können die Geschosse bis zu 25 Tonnen Fracht in eine erdnahe Umlaufbahn bringen. Das ist etwa so viel wie die amerikanischen Spaceshuttles transportieren können. 2014 soll die erste Rakete der neuen Klasse in Wenchang abheben.

Der Aufbau der Raumstation wird früher beginnen. Medienberichten zufolge will die CNSA bereits in diesem Jahr das erste unbemannte Modul ins All schicken. Mitte des Jahrzehnts könnte die Station dann so weit errichtet sein, dass Taikonauten dort eine Zeit lang leben und arbeiten. Das Personal dafür wird demnächst zusammengestellt. In der vergangenen Woche verkündete die Regierung, dass ein Ausbildungsprogramm für künftige Raumfahrer gestartet werde.

Für den Betrieb der Station böte es sich an, zusätzlich entsprechende Erfahrungen auf der Internationalen Raumstation (ISS) zu sammeln. Dafür müsste China mit den Raumfahrtagenturen der USA (Nasa), Europas (Esa) sowie Russlands (Roskosmos) zusammenarbeiten. Die Esa kooperiert seit 2005 mit der CNSA und über sie auch mit anderen Einrichtungen wie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften oder dem Nationalen Zentrum für Fernerkundung. Aber nur in begrenztem Umfang.

„Es ist kein technisches, sondern ein politisches Problem“, sagt Chen Lan. Das gelte besonders für die ISS. „Da gibt es in den USA eine große Opposition. Sie fürchten, dass die Chinesen US-Technologie ausspionieren und kopieren könnten.“ Andererseits sind auch die Chinesen nicht besonders auskunftsfreudig, was Details ihres Raumfahrtprogramms betrifft. Die Esa drückt sich diplomatischer aus. Pressesprecher Pal Hvistendahl nennt statuenbedingte Hindernisse: „Jede Zusammenarbeit auf diesem Feld kann nur mit Zustimmung aller Esa-Mitglieder erfolgen.“ Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass sich Nicht-ISS-Partner künftig bei Experimenten auf der Station beteiligen könnten.

Bereits heute gibt es regelmäßige Treffen zwischen der Esa und der CNSA, bei denen Möglichkeiten zur Zusammenarbeit in den unterschiedlichsten Wissenschaftsbereichen ausgelotet werden. „Sollten sich Übereinstimmungen zwischen den europäischen Zielen und denen der chinesischen Raumfahrtmissionen ergeben, ist es sicher sinnvoll, nach Möglichkeiten einer Kooperation zu suchen“, sagt Hvistendahl. So ließen sich parallele und damit überflüssige Anstrengungen vermeiden.

So weit ist es aber noch nicht. Laut Chen Lan hat China in der vergangenen Dekade immer wieder seinen Willen bekundet, an der ISS mitzuarbeiten, jedoch keine positive Antwort aus Europa und den USA erhalten. Vielleicht macht die Vereinbarung der beiden Präsidenten nun etwas mehr möglich.

In einem anderen Punkt suchen die Chinesen bewusst den nationalen Alleingang. Unter dem Titel „Beidou“ (Kompass) errichtet das Land sein eigenes Satellitennavigationssystem. Ähnliche Vorhaben treiben auch die Europäer beziehungsweise Russland voran. Ab 2012 soll Beidou im Pazifikraum einsatzbereit sein, bis 2020 soll damit weltweit navigiert werden können. Dann wären Chinas Streitkräfte unabhängig vom GPS-System, das die USA im Konfliktfall abschalten könnten. Damit hätte das asiatische Land in einem weiteren Feld zu den Konkurrenten aufgeschlossen. mit dapd

Bernhard Mackowiak

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