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Risiko-Minimierung. Wer die Zahl der individuellen Kontakte radikal reduziert und weiter konsequent Maske trägt, hilft beim Kleinhalten des R-Werts. In der weitgehend menschenleeren Fußgängerzone von Mannheim scheint das schon machbar.

© imago images/Ralph Peters

Ringen um niedrigen R-Wert: In drei Wochen zur 25er-Inzidenz – so kann es gehen

Kann ein harter Lockdown die Neuinfektionen auf 25 pro 100.000 Einwohner im Wochenmittel drücken? Was exponentiell ansteigt, kann auch schnell sinken.

Seit etwa zwei Wochen gehen die Fallzahlen der Corona-Pandemie in Deutschland zurück – allerdings nur zögerlich. Um den Rückzug der Pandemie zu beschleunigen und die Fallzahlen auf möglichst tiefe Werte zu senken, haben die Bundesregierung und die Länder einen verschärften und verlängerten Lockdown beschlossen.

Wer nachverfolgen will, ob und wie gut die Maßnahmen wirken, kann das an der sogenannten Reproduktionszahl R ablesen. Und das geht so:

Mathematisch gesehen befinden wir uns immer noch am Beginn der Corona-Pandemie: Von den rund 83 Millionen Menschen, die in Deutschland leben, haben sich bis jetzt erst etwas mehr als zwei Millionen nachweislich mit Sars-CoV-2 infiziert. Etwa 1,5 Millionen davon haben die zugehörige Erkrankung Covid-19 mehr oder weniger gut überstanden, sollten also zumindest in näherer Zukunft immun sein.

Anders herum ausgedrückt: Menschen, die infiziert sind – zurzeit sind es etwa 350.000 – treffen bei ihren Kontakten nahezu immer auf Menschen, die noch nicht immun sind und angesteckt werden können. Das vereinfacht die mathematische Beschreibung der Ausbreitung des Virus zunächst einmal.

Denn außer von der naturgegebenen Ansteckungsfähigkeit des Virus hängt die Zahl der Neuinfektionen dann nur noch von drei Faktoren ab: wie viele Menschen infiziert sind, wie vielen anderen Menschen die Infizierten begegnen, solange sie ansteckend sind, und, drittens, wie lange und wie eng diese Begegnungen sind.

Der R-Wert als Orientierungshilfe im Auf und Ab der Pandemie

Allerdings lässt sich das Verhalten von Menschen mathematisch kaum in Formeln fassen. Wie viele Menschen sich an einem bestimmten Tag angesteckt haben, kann man deshalb erst im Rückblick mit einiger Sicherheit erkennen – und auch das meist nur indirekt: Es lässt sich abschätzen aus der Zahl der zugehörigen Erkrankungen, genannt Covid-19, die meistens etwa fünf bis sechs Tage nach der Infektion ausbrechen.

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Die Reproduktionszahl R zeigt dabei an, wie sich die Zahlen der täglichen Neuerkrankungen an Covid-19 im davor liegenden Zeitraum verändert hatten. Zum Beispiel der Silvester-R-Wert: Im Zeitraum vom 30. Dezember 2020 bis 2. Januar 2021 zählte das RKI täglich durchschnittlich 15.656 Neuerkrankungen. Im darauffolgenden Zeitabschnitt vom 3. Januar bis 6. Januar war der Durchschnitt der täglichen Neuerkrankungen angewachsen auf 19.107.

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Offenbar waren die Tage über Silvester und Neujahr gute Tage für das Virus gewesen. Wie sich aus der Division der durchschnittlichen Fallzahlen ergibt, war die Zahl der täglichen Neuerkrankungen um den R-Faktor 1,22 angestiegen. Und wenn es so weiter gegangen wäre, wäre die nächste Erkrankungsgeneration weitere vier Tage später – nach dem sogenannten seriellen Intervall des Corona-Virus – angewachsen auf 1,22 mal 19.107, also auf durchschnittlich  23.311 tägliche Neuerkrankungen.

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Doch tatsächlich sank der tägliche Durchschnitt der Neuerkrankungen in diesem Zeitraum, also vom 7. Januar bis 10. Januar, auf 15219. Der R-Faktor war also gefallen – auf 0,8. Offenbar hatten viele Menschen ihre Kontakte so weit reduziert, dass das Virus aus jeweils 100 nachweislich befallenen Nasen-Rachen-Räumen nur noch in 80 weitere Nasen-Rachen-Räume gelangen konnte.

Bei gleichbleibendem Verhalten würde diese Zahl weitere vier Tage später auf 64 tägliche Neuerkrankungen fallen, dann auf 51, und so weiter. Denn wie der Anstieg der Fallzahlen erfolgt auch ihre Abnahme exponentiell.

Das Ziel ist bis 9. Februar rechnerisch erreichbar

Zu jedem R-Wert unter 1 gehört deshalb eine Halbierungszeit, also der Zeitraum, in dem sich die Fallzahlen jeweils halbieren. Bei einem R-Wert von 0,9 nach RKI-Berechnung beträgt die Halbierungszeit 26 Tage, bei R = 0,8 nur noch 12 Tage. Würden wir es also schaffen, die Anzahl unserer Kontakte so einzuschränken – und dabei möglichst oft Masken tragen –, dass der R-Wert bei 0,8 bleiben würde, wäre das Licht am Ende des Pandemie-Tunnels bei weitem nicht so weit entfernt, wie oft befürchtet wird: Die rund 12.000 Neuerkrankungen am 16. Januar wären schon 24 Tage später, also nach zweimaliger Halbierung, auf 3000 tägliche Neuerkrankungen zusammengeschrumpft.

Dies würde der von den meisten Epidemiologen als Zielvorgabe geforderten Inzidenz von 25 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohnern im Wochenmittel entsprechen. Sie wäre bis Mitte Februar also tatsächlich zu schaffen – vorausgesetzt, der R-Wert läge nach RKI-Berechnung durchgehend bei höchstens 0,8.

Lockdown in Berlin: Der sonst selbst im Winter eng von Touristen bevölkerte Pariser Platz bleibt leer.
Lockdown in Berlin: Der sonst selbst im Winter eng von Touristen bevölkerte Pariser Platz bleibt leer.

© Tobias Schwarz/AFP

Auf Nachfrage des Tagesspiegels teilte die Mathematikerin Viola Priesemann vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation mit, dass sie sich mit ganz ähnlichen Kennzahlen einen schnellen Überblick über die jeweilige Entwicklung verschafft: „Bei R = 0,9 benutze ich etwa einen Monat als Halbierungszeit, bei R = 0,7 etwa eine Woche.“ Und sie betont: „Jedes kleine bisschen an Verringerung des R-Wertes hilft also überproportional.“

Je weniger Kontakte, umso eher ist die Ausbreitung des Virus gestoppt

Doch wie man die Reproduktionszahl R auch immer berechnet, so gilt doch immer: Je seltener das Virus von Mensch zu Mensch gelangt, desto kleiner wird R. Desto kürzer ist dann folgerichtig die zugehörige Halbierungszeit der Neuerkrankungen und desto schneller erreichen wir die notwendigen niedrigen Inzidenzwerte.

Der niedrigste, also bisher beste in Deutschland erzielte R-Wert der Corona-Pandemie wurde laut RKI am 23. Juni 2020 verzeichnet: 0,6. Schlechter habe sich das Coronavirus in Deutschland in der Pandemie nie verbreitet. Je näher wir diesem niedrigen R-Wert kommen würden, desto schneller wäre die Pandemie unter Kontrolle.

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Ein möglichst niedriges Infektionsgeschehen während der kommenden Wochen würde nicht nur viele Erkrankungen an Covid-19 vermeiden, zum Teil mit erheblichen Langzeitfolgen, von den Todesfällen ganz zu schweigen. Sondern ein kleiner R-Wert hätte noch einen weiteren Vorteil:

Die Corona-Viren können nur mutieren, wenn sie sich vermehren, also nur in unserem Körper. Je weniger Menschen also insgesamt noch infiziert werden, desto weniger Mutationen werden auftreten. Damit sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass neue Virusmutanten auftreten, gegen die unsere bisherigen Impfstoffe nichts ausrichten können. Und desto geduldiger und ruhiger könnten wir es abwarten, bis die Corona-Impfung eine ausreichende Zahl von Menschen immunisiert haben wird.

Leider sind jedoch bereits mindestens zwei neue Mutanten entstanden, die offenbar ansteckender sind als das ursprüngliche Corona-Virus. Je mehr sich die neuen Mutationen verbreiten, desto schwieriger wird es deshalb werden, den R-Wert unter 1 zu halten. Umso wichtiger wird es sein, die Zahl der Neuinfektionen während der kommenden Wochen möglichst schnell noch möglichst tief zu senken. Wir würden uns dadurch einen Vorsprung verschaffen im evolutionären Wettlauf gegen die neuen Virus-Mutationen.

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