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Beinahe taghell erstrahlen Teile Europas auch auf nächtlichen Satellitenbildern. Dieser „Lichtmüll“ stört nicht nur die Sicht von Astronomen aufs All, sondern tötet auch Insekten und macht Menschen krank.

© Shutterstock / Marcel Clemens

Das Verschwinden der Sterne: Wir müssen die Dunkelheit zurückerobern

Lichterhelle Weihnacht gibt es längst das ganze Jahr über - mit Folgen nicht nur für Astronomen und Insekten. Stoppt den Lichtmüll, fordert unser Autor.

Wann haben Sie zum letzten Mal die Milchstraße gesehen? Ihre Antwort wird vermutlich abhängen von Ihrem Alter: Ältere Menschen erinnern sich meistens noch gut an die leuchtende Lichtbrücke, die sich in ihrer Jugend über einen samtschwarzen Himmel gewölbt hatte. Junge Menschen dagegen kennen die Milchstraße oft nur noch vom Hörensagen.

Das Naturschauspiel eines pechschwarzen Himmels mit einigen tausend Sternen und der Milchstraße, mit Planeten und Sternschnuppen und manchmal sogar mit einem Kometen, dieses gemeinsame Naturschauspiel aller Menschen ist verloren, untergetaucht in der Lichtflut, die aus unserer Zivilisation aufsteigt und den Himmel überschwemmt.

[HINWEIS: Veranstaltung am Sonntag, 8.12., 17 Uhr, im Zeiss-Großplanetarium Berlin: „Die Kultur der Dunkelheit“ - Vorträge mit anschließender Diskussion, 120 Minuten, ab 12 Jahre, Eintritt frei, Prenzlauer Allee 80, 10405 Berlin, Anmeldung unter info@planetarium.de, Telefon +49 30 421845-10]

Der Moment, an dem die Vertreibung der Menschheit aus dem Paradies pechschwarzer Nächte begann, kann genau angegeben werden: 21. Oktober 1879. An diesem Tag gelang es Thomas Alva Edison zum ersten Mal, eine verkohlte Baumwollfaser in einem luftleeren Glaskolben mit Hilfe von elektrischem Strom so stark zu erhitzen, dass die Faser zu leuchten begann: die elektrische Glühlampe war erfunden. Nur drei Jahre später verwandelten schon 400 Edisonlampen in einem Stadtteil New Yorks die Nacht zum Tag und verkündeten den Sieg des elektrischen Lichts über die Finsternis.

Der kulturstiftende Sternenhimmel verblasst

Die Astronomen waren naturgemäß die ersten, die erkannten, dass helle, also schlechte Zeiten angebrochen waren. Heutzutage werden sie buchstäblich in die Wüste geschickt und auf hohe Berge verbannt, um ungestört von irdischen Lichtern ihre Fernrohre auf den Himmel richten zu können.

Wer jetzt etwas milde lächelt über die vermeintlich weltfremden Sorgen der Sterngucker, der möge folgendes bedenken: Das Verblassen der himmlischen Hälfte der Natur ist eines der vielen Menetekel unserer Zivilisation. Deutlicher noch als der Wandel des Klimas oder das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten führt uns das Verschwinden der Sterne vor Augen, wie stark das Wuseln und Treiben von mittlerweile 7,75 Milliarden Menschen die Welt bereits verändert hat.

Dieser Sternhimmel, den wir Menschen des 21. Jahrhunderts nun allmählich aus den Augen verlieren, war einmal das gemeinsame, Kultur stiftende Erlebnis aller Menschen zu allen Zeiten und auf allen Kontinenten. Die Sterne leuchteten hinein in unseren neugierigen Geist und kitzelten unseren Verstand, so dass wir aufgebrochen sind zur großen Entdeckungsreise unserer Zivilisation auf der Suche nach dem Aufbau, den Gesetzen und dem Sinn dieser Welt!

Doch nun haben die Sterne ihre Schuldigkeit getan. Sie können abtreten von der Bühne des Kosmos. Der Sternhimmel, der alte Philosophenprovokateur, der Sitz der Götter und später des einen Gottes, der Kalender und die Uhr der Menschheit, der Kompass aller Entdecker und Eroberer, das universale Labor der Naturwissenschaftler, kurz: der kosmische Kulturkreisel unserer Zivilisation ist verschwunden.

Tödliches Licht

Bedauerndes Achselzucken allerseits: Was solls? Denn schließlich können uns die Sterne doch schnuppe sein im Vergleich zu den wirklich wichtigen Dingen des Lebens:  intakte Umwelt, Gesundheit, Bankkonto, Aktienkurse, oder? Doch bei Licht betrachtet, und davon haben wir ja jetzt genug, sind beileibe nicht nur die Astronomen Opfer der anschwellenden Lichtflut.

Dass Motten Licht umschwirren und verbrennen, wissen wir spätestens seit Marlene Dietrich. Und nicht nur Motten: Eine Straßenlampe kann in einer einzigen Nacht bis zu 150 Insekten töten. Sie verbrennen in aller Regel nicht, sondern fliegen so lange um das Licht herum, bis sie verenden, oder leichte Beute ihrer Fressfeinde werden.

Jedes Jahr fallen dadurch den rund acht Millionen Straßenlampen allein in Deutschland schätzungsweise 150 Milliarden Insekten zum Opfer. Seltsam, dass uns das ähnlich kalt lässt wie seinerzeit Marlene Dietrich das Schicksal der an ihr verbrennenden Männer – wo doch manchmal schon eine einzelne gefährdete Beißschrecke sämtliche Naturschützer auf den Plan rufen kann.

Der Verlust schwarzer Nächte gefährdet aber nicht nur Insekten, sondern auch unsere eigene Gesundheit. Erst bei Dunkelheit schüttet die Zirbeldrüse in unserem Gehirn das Hormon Melatonin aus. Melatonin ist der Stoff, der uns zur rechten Zeit müde macht, oder genauer: der unsere innere Uhr im Gleichtakt hält mit dem Wechsel von Tag und Nacht. Licht bei Nacht stört also unseren natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus.

„Mehr Licht“? Besser nicht!

Wie neuere Untersuchungen zeigen, könnte der durch künstliches Licht verlängerte Tag in unseren Städten, „die niemals schlafen“, durchaus ähnliche Folgen für uns haben wie ein Jetlag; er könnte einen Lichtlag verursachen, und das auch noch chronisch, mit vielerlei möglichen Krankheitsfolgen.

„Mehr Licht!“ sollen Goethes letzte Worte gewesen sein. Fraglich, ob er das tatsächlich sagte. Und wenn, dann bleibt immer noch offen, welche Art von Licht er damit meinte: Konkretes Licht durch Öffnen der Fensterläden? Oder das Licht der Vernunft und Aufklärung, das bekanntlich nur allzu selten in die Gehirne, Herzen und Seelen der Menschen leuchtet? So oder so: Licht galt und gilt geradezu als Symbol der Wahrheit und Vernunft. „Ich bin das Licht der Welt“, nennt Jesus sich im Johannesevangelium. 

Heute gilt Licht als Inbegriff von Fortschritt und Modernität, Indikator materiellen Reichtums. Wer etwas hat, der will es zeigen, auch bei Nacht. Und wer nichts hat: Licht scheuendes Gesindel, das in finsterer Nacht denen im Lichte an den Kragen oder wenigstens an den Geldbeutel will.

„Sicherheit“ ist denn folgerichtig auch eines der Hauptargumente von Städteplanern und Lichtdesignern, um zu rechtfertigen, dass die Lichtflut aus Straßenlampen, Leuchtreklamen, Gebäudebeleuchtungen und zahllosen anderen Lichtschleudern während der vergangenen Jahrzehnte wesentlich schneller angewachsen ist als die Bevölkerung selber.

Der gesunde Menschenverstand ist sich sicher: Je mehr Licht, desto mehr Sicherheit. Es ist eine trügerische Sicherheit. Denn vom hellen Licht geblendet sieht man den im Dunkeln lauernden Täter nicht oder erst spät. Der Täter dagegen sieht sein Opfer wie auf dem Präsentierteller. Wie wahr, die Moritat von Mackie Messer, obwohl Bertolt Brecht dabei sicher nicht an einen Zusammenhang zwischen schlechter Straßenbeleuchtung und Kriminalstatistik gedacht hatte: „Man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht“.

Strahlender Lichtmüll

Mehr Licht also? Besser wäre: Besseres Licht. Zum Beispiel durch bessere Straßenlampen. Die meisten Straßenlampen strahlen ihr Licht nicht nur nach unten ab, sondern nach allen Seiten. Vollkommen überflüssig beleuchten sie nicht nur die Straße, sondern auch die umstehenden Häuser. Und noch schlimmer: Auch noch weit entfernte Straßenlampen strahlen ihr Licht direkt in unsere Augen.

Das ist erstens gefährlich. Denn dieses Licht blendet vor allem ältere Autofahrer und Fußgänger und vermindert ihr Kontrastsehen. Und zweitens streut die Luft einen Teil des zur Seite abgestrahlten Lichts nach oben. Deshalb beleuchten Straßenlampen letzten Endes selbst dann noch den Himmel, wenn sie zwar nach oben abgeschirmt sind, aber nicht zur Seite.

Über unsere Städte wölben sich deshalb Lichthauben, die man manchmal noch aus 100 Kilometern Entfernung sieht. Und aus dem Weltall erkennt man, dass diese Lichthauben mehr und mehr verschmelzen zu einem einzigen Lichtdom.

Der aus schlecht konstruierten Lampen entweichende Lichtmüll sollte auch Steuerzahler ärgern. Mit dem zum Himmel flutenden Licht werfen wir buchstäblich viel Geld in das Weltall hinaus. Der leuchtende Nachthimmel führt uns Energieverschwendung in ihrer sinnlosesten Art vor Augen. Dabei verschmutzen wir die Lufthülle der Erde gleich auf doppelte Weise: erstens mit künstlichem Licht, und zweitens auch noch mit dem Treibhausgas Kohlendioxid, das bei der zugehörigen Stromerzeugung freigesetzt wurde.

Es gibt Tierschützer und Pflanzenschützer. Und seit etwa 20 Jahren gibt es nun auch Sternschützer, die gleichzeitig also auch Geldbeutelschützer und Klimaschützer sind. Sie haben sich zusammen geschlossen in der „International Dark Sky Association“. Ihr Kampf für die Rückeroberung der Nacht verfolgt eine ganz einfache Strategie: Beleuchte nur das, was du sehen willst. Beleuchte es nur dann, wenn du es sehen willst. Und beleuchte es nur so hell wie es nötig ist für gute Sicht, Sicherheit oder stimmungsvolle Lichtgestaltung. Die Gewinner wären nicht nur die Sterngucker, sondern wir alle.

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