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Wohlstandsanzeige. Anhand ihres Leuchtens in der Nacht lässt sich die Wirtschaftskraft einzelner Region gut erkennen.

© dapd

Dauerbeleuchtung: Die dunkle Seite des Lichts

Das Ende der Nacht: Forscher erkunden, welche Folgen die Dauerbeleuchtung von Metropolen für Mensch und Tier hat.

Der Mensch macht die Nacht zum Tag. Unzählige Lampen an Straßen und Gebäuden sowie Leuchtreklamen strahlen gegen die natürliche Dunkelheit an. Das hat Folgen: Die einen genießen es, bis zu später Stunde aktiv zu sein, die anderen bringt die Helligkeit um einen erholsamen Schlaf. Astronomen haben längst die Städte verlassen, um bei ihren Beobachtungen nicht vom Fremdlicht gestört zu werden. Wie die Tierwelt beeinflusst wird, lässt sich an Straßenbeleuchtungen erahnen. „In jeder Stunde lockt eine einzige Lampe bis zu tausend Nachtfalter an“, sagt Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle. Ein Segen für die nachts jagenden Fledermäuse? „Das ist eine ambivalente Geschichte“, sagt Christian Voigt vom Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW). Zwergfledermäuse kämen in Städten häufiger vor, andere Arten könnten die Beleuchtung dagegen eher meiden.

Um die gesamten Auswirkungen zu untersuchen, bilden seit 2010 sechs Institute der Leibniz-Gemeinschaft, das Helmholtz-Zentrum in Halle und Leipzig, sowie die Freie und die Technische Universität Berlin im Auftrag des Bundesforschungsministeriums und des Berliner Senats einen Verbund, der diese „Lichtverschmutzung“ untersuchen soll. Franz Hölker vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin leitet das Projekt und umreißt das Thema: „Das Auge ist das wichtigste Sinnesorgan des Menschen. Licht ist für uns daher nicht nur sehr wichtig, sondern wir werten es meist auch sehr positiv.“ Eine gute Beleuchtung vermindert viele Unfallgefahren in der Nacht und vermittelt den meisten Menschen auch ein größeres Gefühl von Sicherheit.

Je höher der Wohlstand, umso mehr Licht produziert eine Gesellschaft. „Die Stärke des nächtlichen Lichts ist daher ein gutes Maß für die Wirtschaftskraft“, sagt Hölker. Das zeigen Bilder aus dem Weltraum wie über diesem Beitrag. Weil die Lichterflut auch die Beobachtung der Sterne stört, haben Astronomen die störende Hintergrundstrahlung durch Laternen und Reklame inzwischen gut vermessen. „Über den gesamten Globus gemittelt nimmt die nächtliche Beleuchtung jedes Jahr um sechs Prozent zu“, sagt Hölker.

Wo viel Licht ist, gibt es auch Schatten. Erste Hinweise auf die dunklen Seiten der hellen Nächte fanden Mediziner, als sie die Gesundheit von Menschen untersuchten, die häufig nachts arbeiten. „Schichtarbeiter schlafen oft schlecht und haben häufiger Magen-Darm-Erkrankungen“, sagt Hölker. „In Israel haben Forscher sogar gezeigt, dass Männer in gut beleuchteten Gebieten häufiger Prostatakrebs und Frauen häufiger Brustkrebs haben als in dunkleren Landesteilen.“ Damit ist jedoch keineswegs bewiesen, dass nächtliches Licht krebserregend sein könnte. Schließlich pflegen die Großstadtmenschen unter ihrer Lichtglocke oft einen anderen Lebensstil als Menschen auf dem Land. Andere Verhaltensweisen können die Gesundheit stark beeinflussen.

Zumindest zu Schlafstörungen kennen Forscher den Weg: Im Auge reagiert ein Melanopsin genanntes Pigment stark auf blaues Licht, das nicht nur von der Sonne, sondern auch von hellen, weißen Lampen ausgestrahlt wird. Das Pigment arbeitet direkt mit der inneren Uhr von Menschen und Tieren zusammen, die im Gehirn sitzt und gern als „Masterclock“ bezeichnet wird, weil sie den Tagesrhythmus vorgibt. Ist es hell, bremst die Masterclock die Zirbeldrüse im Gehirn, die das Hormon Melatonin ausschüttet. Wird es dunkel, produziert der Körper mehr Melatonin, das müde macht und vor allem die wichtigen Tiefschlafphasen steuert. „Nächtliche Beleuchtung bringt diesen Rhythmus durcheinander und erklärt die Schlafstörungen, die Schichtarbeiter relativ häufig plagen“, sagt Hölker. Schlechter Schlaf wiederum kann andere Erkrankungen nach sich ziehen.

Versuchsfelder im Westen der Stadt bringen erste Erkenntnisse.

Für andere Folgen von Lichtverschmutzung haben die Wissenschaftler bisher nur erste Hinweise: „Fische reagieren sehr unterschiedlich auf nächtliches Licht“, sagt der IGB-Forscher Hölker. So wandern Aale meist in dunklen Nächten und meiden Helligkeit. Die Lichterflut einer Großstadt oder eine gut beleuchtete Brücke könnten für diese Tiere eine Barriere sein. Manche Lachsarten dagegen werden von Licht angezogen und könnten daher an der Uferpromenade einer Metropole hängen bleiben, die auf dem Weg zu ihrem Laichgebiet liegt.

Solchen Überlegungen wollen die Forscher auf den Grund gehen. Westlich von Berlin haben sie dafür Versuchsfelder mit Straßenlampen errichtet. In einem der Felder leuchten die Lichter, im anderen bleiben sie aus. „Mit ,Batcordern’ genannten Geräten registrieren wir dann die Laute, mit denen sich die verschiedenen Fledermausarten orientieren“, erläutert Christian Voigt. Das Insektenleben auf den beiden Feldern erkunden die Forscher ebenfalls. So wollen sie erfassen, wie die Beleuchtung das gesamte Nahrungsnetz beeinflusst. Von einer ähnlichen Untersuchung berichteten kürzlich britische Biologen. Demnach fanden sich direkt unter Straßenlampen deutlich mehr Ameisen, Weberknechte und Laufkäfer, die zur Kategorie „Räuber und Aasfresser“ gehören, als einige Meter von den Lichtquellen entfernt.

Der UFZ-Forscher Reinhard Klenke dagegen beschäftigt sich in Leipzig mit dem Einfluss von Licht auf Amseln. Der Vogel tauscht seit mehr als 100 Jahren sein ursprüngliches Leben im Wald mit den Gärten der Städte. Ob es den Tieren dort wirklich besser geht, ist noch unbekannt. In Wien hat eine Röntgen-Reihenuntersuchung jedenfalls gezeigt, dass viele Stadtamseln bereits Knochenbrüche überlebt hatten, die sie sich bei Kollisionen mit Autos oder Fensterglas zugezogen haben könnten. Die Dunkelziffer der Todesfälle durch ähnliche Unfälle könnte bei Stadtvögeln daher hoch sein, vermutet Klenke.

„Es könnte auch sein, dass die Amseln vom Licht angezogen werden, obwohl ihr Leben in der Stadt eher mit dem von Bewohnern der Armenviertel als mit gutbürgerlichen Straßenzügen verglichen werden könnte“, sagt er. Während die Männchen im dunklen Leipziger Auwald ihren Balzgesang in der Morgendämmerung singen, wenn sie noch nicht genug sehen, um Nahrung zu suchen, zwitschern ihre Kollegen in der erhellten Stadt bereits vier Stunden früher. Über ihren Fortpflanzungserfolg ist wenig bekannt. Sollte er auf Grund der Unfallgefahren schlecht sein, könnte die schwindende Population in der Stadt durch Zuzügler aus dem Wald aufgefüllt werden, die vom Licht angelockt werden.

Falls sich bei den Untersuchungen herausstellt, dass die Lichtverschmutzung tatsächlich das Ökosystem umkrempelt, werden die Lichter trotzdem nicht ausgehen. „Die Innenstädte werden wohl immer hell bleiben“, sagt der IGB-Forscher Hölker. In den Außenbezirken ließen sich die verschiedene Bedürfnisse von Tieren und Menschen besser unter einen Hut bringen. Dort können Straßenlampen zum Beispiel zu später Stunde ausgeschaltet werden. Mehr Unfälle bedeutet das keineswegs, zeigen Untersuchungen auf belgischen Autobahnen, auf denen die Beleuchtung seit einiger Zeit für einige Stunden ausgeschaltet wird: Die Fahrer verhalten sich dann einfach vorsichtiger.

Manchmal genügt es, nur die Leuchtmittel zu wechseln. Als Josef Settele das Insektenleben an Straßen untersuchte, deren Lampen von grellweißem auf orange-rotes Licht umgestellt wurden, zählte er deutlich weniger Nachtfalter. Die Nacht war zurück – zumindest ein bisschen.

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