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Spirale nach unten. Depressive haben häufig das Gefühl, unentrinnbar in einer Stimmung tiefer Trauer gefangen zu sein.

© picture alliance / dpa

Depression: Es kann jeden treffen

Über Depression, diese „Volkskrankheit“ reden, das schaffen nicht viele. Vor allem nicht öffentlich. Jana Seelig schreibt auf Twitter über ihre Depression – und bekommt viel Zuspruch für ihre Offenheit.

Jana Seelig ist überwältigt. Seit die junge Frau aus Berlin vor einigen Tagen auf dem Social-Media-Kanal Twitter öffentlich über ihre Depression sprach, wurde es hier eines der bestimmenden Themen. Tausende beteiligten sich an der Diskussion, Jana Seelig selbst erhält Hunderte von E-Mails und privaten Nachrichten. Über Nacht wird sie zur „Vorzeigedepressiven“, wie sie selbst ironisch bemerkt. „Ich habe bereits früher öffentlich über dieses Thema geschrieben, aber anscheinend ist das nicht richtig durchgekommen“, sagt Seelig.

Über Depression, diese Volkskrankheit reden, das schaffen nicht viele. Vor allem nicht öffentlich. Dass das Thema sich in den Internetforen so rasch verbreitet und mediale Aufmerksamkeit erlangt, wundert den Psychiater Ulrich Hegerl, Vorstandvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, nicht. „Viele sind direkt oder indirekt von dieser Krankheit betroffen“, sagt Hegerl. „Ein offener Umgang, auch auf den sozialen Kanälen, kann eine Entlastung für die Betroffenen darstellen und einem zeigen, dass man nicht alleine ist.“

Seiner Meinung nach sollte in der Gesellschaft viel offensiver mit Depression umgegangen werden. „Wenn Betroffene einen Weg aus der Isolation finden, ist das gut. Ob Social Media da der richtige Weg ist, muss man sich aber situationsabhängig überlegen.“

#notjustsad - Ein Einblick in die Gewühlswelt Depressiver

Für die Journalistin Jana Seelig war Twitter der richtige Weg. In mehreren kurzen Tweets, öffentlichen Nachrichten mit bis zu 140 Zeichen, begann sie ihren persönlichen Eindruck und Umgang mit der Depression aufzuzeichnen. „Ich habe da gar nicht weiter drüber nachgedacht, als ich anfing. Ich begann mit einem Tweet und dann war es so, als ob ein Knoten geplatzt ist“, beschreibt sie die Situation. Sie schreibt darüber, welche Emotionen einen depressiv veranlagten Menschen beschäftigen und wie es sich anfühlt, wenn einen niemand richtig versteht.

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Seit einigen Tagen tun es ihr Tausende mit dem Hashtag #notjustsad gleich. „Mehr als Traurig“ gibt somit einen Einblick in die Gefühlswelt Depressiver. Seelig hatte nicht mit derartig vielen Reaktionen gerechnet. „Eigentlich wollte ich mit jemandem sprechen, hatte dann aber das Gefühl, ich kann nicht schon wieder jemanden belasten. Also war Twitter mein Ventil, als Ersatz.“

Depressionen gehören zu den häufigsten und folgenreichsten Erkrankungen. Jeder fünfte Mensch erkrankt im Laufe seines Lebens an einer Depression, heißt es im aktuellem „Faktencheck Gesundheit“ der Bertelsmann-Stiftung.

Immer häufiger suchen Betroffene im Netz Hilfe, Unterstützung und Zuspruch. Auch für Jana Seelig war es viel einfacher, sich auf Twitter zu öffnen. „Wenn jemand das nicht lesen will, muss er mir nicht auf Twitter folgen. Und jeder hat das gute Recht, mir zu sagen: Ich kann das jetzt nicht. Beides ist natürlich ein Rückschlag, weil man sich öffnet und dann zurückgewiesen wird, aber im persönlichen Gespräch empfindet man das als größeren Rückschlag“, sagt Seelig.

Twitter ist kein Therapieersatz

„Der Schutz der Anonymität macht es manchmal leichter, sich zu öffnen“, sagt der Depressionsexperte Hegerl. „Wir sehen das im Diskussionsforum der Deutschen Depressionshilfe. Der Austausch findet trotz Anonymität oft auf eine sehr persönliche und intensive Weise statt. Viele sind ehrlich und schneller bereit, offener mit Depression umzugehen.“

Als Therapieersatz ist das Reden über Depression auf Twitter und Facebook jedoch nicht geeignet. „Ich würde nicht jedem empfehlen, über seine Depression in den sozialen Kanälen zu schreiben. Über Erkrankungen in diesem öffentlichen Raum zu reden, birgt Risiken und kann zum Beispiel später berufliche und private Nachteile mit sich bringen“, gibt Hegerl zu bedenken.

Auch Seelig hat nicht nur positive Erfahrungen gemacht. Neben viel Zuspruch und Lob für ihre Stärke waren die Reaktionen teilweise auch sehr verletzend, berichtet sie. „Alles Lüge“ und „Willst nur mediale Aufmerksamkeit“, lauten die Vorwürfe. „Generell hoffe ich, dass der Hashtag bleibt und die Aufmerksamkeit sich darauf konzentriert. Ich bin schließlich nicht die Einzige mit dieser Erkrankung“, sagt Seelig. Auch der Psychiater Hegerl beklagt Wissensdefizite. „Depression wird oft als Reaktion auf schwierige Lebensumstände und nicht als Erkrankung aufgefasst, die jeden treffen kann“, sagt er.

Hilfe bei Depression:

Viele Menschen leiden unter Depressionen, längst nicht alle werden richtig behandelt. Wer selbst depressiv ist oder sich in einer seelischen Krise befindet, findet im Netz viele Hilfsangebote. Auf der Seite der Stiftung Deutsche Depressionshilfe gibt es einen Selbsttest, Hintergrundwissen und Adressen rund um das Thema Depression: www.deutsche-depressionshilfe.de. Im dazugehörigen Online-Forum können Betroffene und ihre Angehörigen Erfahrungen austauschen. Das deutschlandweite Infotelefon für Depressionen erreicht man unter der Nummer 0800 33 44 533. Sozialpsychiatrische Dienste gibt es bei den jeweiligen Gesundheitsämtern. In Berlin findet man die Adressen und Telefonnummern des nächstgelegenen Amtes hier. Bei leichten Depressionen kann der Hausarzt bereits häufig gut weiterhelfen. In Notfällen sollten Betroffene sich nicht scheuen, ins Krankenhaus zu gehen.

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