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Das Muster erkennen. Die wilden Designs ihrer Blazer zeugen von Schavans Humor. Doch die Plagiatsaffäre setzt ihr sichtlich zu.

© dpa

Der Fall Schavan: Theorien aus dem Zettelkasten

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) gilt gerne als Gelehrte. Der Verlust ihres Doktortitels und damit auch ihrer Professur ehrenhalber würde sie tief treffen.

Hat Annette Schavan in ihrer Doktorarbeit so umfassend plagiiert, dass ihr der Titel aberkannt werden muss? Mit dieser Frage soll sich am morgigen Dienstag der Fakultätsrat der Universität Düsseldorf befassen. Käme das Gremium zu dem Schluss: „Ja, sie hat“ – das Publikum könnte es kaum glauben. Ausgerechnet Schavan soll im großen Stil Zitate geklaut haben? Das wäre peinlicher, als man es sich vorstellen kann. Ausgerechnet die Bundesbildungs- und Wissenschaftsministerin. Ausgerechnet sie, die ihre Dissertation zum Thema „Person und Gewissen“ schrieb. Und ausgerechnet sie, die sich für den Plagiator Karl-Theodor zu Guttenberg öffentlich schämte.

Doch die Blamage scheint nicht mehr unmöglich. Dass Schavan absichtlich getäuscht hat, sagt die Promotionskommission nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ zwar nicht, anders als zuerst ihr Vorsitzender, der Judaistik-Professor Stefan Rohrbacher, bevor Schavans Stellungnahme vorlag. Doch zumindest habe Schavan es billigend in Kauf genommen, gegen die Regeln zu verstoßen, also mit „bedingtem Vorsatz“ gehandelt. Das Gremium hat der Fakultät trotzdem einstimmig empfohlen, den Titel zu entziehen.

Alles begann vor mehr als 30 Jahren. Annette Schavan, Anfang 20, Studentin der Philosophie, der Theologie und der Erziehungswissenschaft, schreibt als Stipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung an ihrer Dissertation. Ihr Doktorvater lässt sie ein bedeutsames und anspruchsvolles Thema bearbeiten. Mit dem Gewissen haben sich Geistesgrößen verschiedenster Disziplinen beschäftigt, Freud, Heidegger oder Niklas Luhmann. An ihnen muss Schavan sich nun abarbeiten. Die Aufgabe ist umso größer, als dass sie ihr Studium noch nicht mit einer Magisterarbeit beendet hat, mit der sie hätte Erfahrung sammeln können. Schavan will ihr Studium direkt mit der Promotion abschließen, sie muss also aus dem Stand hoch springen. Ein Foto aus dieser Phase zeigt sie mit großer runder Brille. Sie lächelt zuversichtlich in die Kamera.

Die meisten Geisteswissenschaftler schreiben ihre Dissertation nicht nur um des Titels willen, sondern auch aus Lust an der Erkenntnis. So muss es auch bei Schavan gewesen sein. Selbst wenn sich ihre Dissertation in einer Darstellung von Gewissenstheorien und einigen daraus abgeleiteten Thesen für die praktische Pädagogik erschöpft: Bis heute schwärmt Schavan von dem geistigen Gewinn.

Schavans Laufbahn kreist sicher nicht zufällig um Bildung und Wissenschaft. Frisch promoviert startet sie als wissenschaftliche Referentin im Cusanuswerk, der bischöflichen Studienförderung, dessen Geschäftsführerin und Leiterin sie schließlich wird. Zehn Jahre ist sie dann Bildungsministerin in Baden-Württemberg, danach wird sie Bundesministerin für Bildung und Forschung. Ihr politisches Lieblingsthema: die Förderung begabter Studierender und Doktoranden. „Ich wünsche mir mehr Bildungsbürger“, hat sie erklärt.

Die Professur - eine Charmeoffensive der Freien Universität

Einen Professorentitel hat Schavan seit 2008. Die Freie Universität Berlin hat ihn ihr ehrenhalber angedient, eine Charmeoffensive im Exzellenzwettbewerb. Die Ministerin verbinde „in besonderer Weise geisteswissenschaftliche Exzellenz mit gesellschaftlicher Präsenz“, hieß es. Schavan fühlt sich ohnehin als Teil der scientific community. So sehr, dass sie damit gerade ihre erneute Kandidatur zum Bundestag begründet hat: „Ich trete am 25. Januar an. Das bin ich der Wissenschaft schuldig.“

Was hat es dann aber zu bedeuten, dass Schavan in ihrer Dissertation zahlreiche Passagen aus Texten anderer Wissenschaftler zitiert oder paraphrasiert, jedoch den Eindruck erweckt, die klugen Sätze stammten von ihr selbst? 60 solcher Stellen moniert das Gutachten der Uni Düsseldorf. Dabei weiß Schavan ja, wie man zitiert, denn oft genug macht sie es richtig. Hat sie manipuliert? Oder war sie bei Freud damals einfach noch „ziemlich verdruckst“, wie sie nun sagt? Vielleicht hat sie auch etwas in dem „Zettelkasten“ durcheinandergebracht, mit dem sie gearbeitet hat?

Darüber, und nicht über die Politik der Ministerin, diskutiert die Öffentlichkeit seit Mai vergangenen Jahres. Damals stellte der anonyme Plagiatsjäger, der sich Robert Schmidt nennt, 56 plagiierte Passagen ins Internet. Die Universität Düsseldorf nahm sich der Arbeit ihrer früheren Doktorandin an. „Es trifft mich im Kern“, hat Schavan dazu gesagt. Das ist ihr anzusehen.

Dabei verfügt sie über ein robustes Naturell. Gegen die Nickligkeiten des politischen Alltags ist sie dank ihrer rheinischen Frohnatur – aufgewachsen ist sie in Neuss –, und dank ihres Glaubens doppelt imprägniert. Die wilden Muster und Farben ihrer Jacketts zeugen von Humor, sogar von Selbstironie. Doch die aktuelle Krise ist noch größer als die, die sie im Jahr 2004 überstehen musste. Damals streuten ihre Gegner in der Union das Gerücht, sie sei lesbisch, um sie als mögliche Bundespräsidentin und dann als mögliche Ministerpräsidentin von Baden-Württemberg zu verhindern. Schavan wehrte sich auf Kosten der Homosexuellen, indem sie die Behauptung „schäbig“ und „absurd“ nannte. Zum Gegenbeweis trug sie in jener Phase häufig Röcke. Doch eine heterosexuelle Orientierung nahm sie für sich auch nicht in Anspruch. In der Union gilt sie als „Merkels Nonne“.

Manche in der CDU/CSU beobachten die erneute Bedrängnis der Merkel-Vertrauten mit Schadenfreude. Seit langem wirft man ihr vor, zu wenig öffentliches Kapital aus dem üppig ausgestatteten Haushalt ihres Ministeriums zu schlagen. Auch ihre Biegsamkeit in konservativen Herzensangelegenheiten gefällt vielen nicht. In den Ländern ärgern sie sich über ihr Engagement für einen nationalen Bildungsrat und über ihre Abkehr von der Hauptschule.

Der Dank, den Schavan der "Allianz" schuldet, ist ihr neues Problem

Dabei ist Schavan zu ideologischer Rigidität durchaus fähig. Als Kultusministerin ließ sie die muslimische Lehrerin Fereshta Ludin wegen ihres Kopftuchs nicht vor die Klasse und versuchte, den Antifa-Aktivisten Michael Csaszkóczy wegen seiner vermeintlich linksextremen Gesinnung vom Schuldienst fernzuhalten. Als Bundesministerin entfernte sie die politisch missliebige Jutta Allmendinger, Präsidentin des Berliner Wissenschaftszentrums, aus der Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung. Doch im Allgemeinen pflegt „Deutschlands langweiligste Politikerin“ („Spiegel“) einen pragmatischen Stil, schon weil Schulen und Hochschulen vor allem Ländersache sind. Deswegen ist es auch nicht allein Schavans Schuld, wenn die Unterfinanzierung der Unis in ihrer achtjährigen Amtszeit noch schlimmer geworden ist. Um die Wissenschaft würde Schavan sich gerne weiterkümmern: „Ich möchte Ministerin bleiben über die Bundestagswahl hinaus“, hat sie gerade erst gesagt.

Dazu müsste sie aber wohl zuerst den Titel behalten. Und in der Tat, die Bundesministerin Prof. Dr. Annette Schavan ist nicht irgendein Dr. Lieschen Müller. Sie hat einflussreiche Freunde, die ihr helfen, die öffentliche Meinung und das Verfahren zu beeinflussen. Kirchengranden haben sich vor sie gestellt. Schavan hat das zuerst aus der Uni an die Presse durchgestochene Gutachten offenbar nun selbst konservativen Emeriti wie dem Erziehungswissenschaftler Heinz-Elmar Tenorth oder dem Philosophen Ludger Honnefelder zukommen lassen, die es öffentlich infrage stellen. Die Uni habe Erbsen gezählt und vergessen, Schavans Dissertation als Ganzes zu würdigen, zitiert der „Focus“ Honnefelder.

Sogar die „Allianz“ ist auf den Plan getreten: Die – von Schavan finanzierten – zehn großen Wissenschaftseinrichtungen ermahnen die Uni zu einem fairen Verfahren. Schavan muss der „Allianz“ dankbar sein. Genau das ist ihr neues Problem: Die Bundesministerin ist nicht mehr unbefangen, wenn sie mit den Einrichtungen wieder übers Geld sprechen muss. Unfrei gemacht hat sie auch das Redeverbot, das sie der Uni Düsseldorf erteilt hat. Schavan hat jetzt in einem Interview nachgelegt: „Jeder trägt Verantwortung für das, was er öffentlich sagt.“ Fühlt sich die Wissenschaftsministerin so hilflos, dass sie meint, die Uni einschüchtern zu müssen?

Hätte sie in ihrer Dissertation systematisch plagiiert, es wäre eine lang vergangene Jugendsünde, Schavan ist inzwischen 57. Dennoch hätte die Sache großes Gewicht. Warum? Die Antwort findet man in Schavans Dissertation. Es gebe Fehler, „die der Persönlichkeit nur für kurze Zeit zugerechnet werden oder für eine bestimmte Situation bzw. Fähigkeit relevant sind“, paraphrasiert und zitiert Schavan den berühmten Soziologen Niklas Luhmann: „Während Fehler in diesem Handlungsbereich möglicherweise peinlich, dann aber doch schnell reparierbar sind, wiegen Fehlhandlungen und -reaktionen schwerer, mit denen ,ganze Rollenbereiche diskreditiert’ werden.“ Dies sei etwa der Fall, „,wenn einem Gelehrten Plagiate nachgewiesen werden’“, zitiert Schavan Luhmann.

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