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Geteilte Geschichte. Über die Bonner Republik – im Bild die Bundeskanzler Adenauer und Kohl – wisse man zu wenig, die DDR sei „überforscht“, befand ein Zeithistoriker.

© dpa

Deutsche Zeitgeschichte: Die Kultur des Sorry-Sagens

Historiker streiten, wie sie die jüngste Geschichte Deutschlands aufarbeiten. Über die Bonner Republik wisse man zu wenig, die DDR sei "überforscht", findet ein Experte.

Zeitgeschichte ist „Geschichte, die noch qualmt“. Als die Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland jetzt zu einer Neubestimmung der Disziplin ins Auswärtige Amt einlud, traf die griffige Definition von Barbara Tuchmann ins Schwarze. Dort steigt der Debattenqualm seit Wochen als beißender Rauch auf, seitdem eine Historikerkommission ihren Abschlussbericht über die NS-Verstrickungen der Behörde unter dem Titel „Das Amt“ vorgelegt hat.

Ganz grundsätzlich wollte man einmal neue Perspektiven für die krisengeschüttelte Disziplin entwickeln und den aktuellen Forschungsstand aus westeuropäischer Sicht präsentieren. Dabei kam die mediale Diskussion ungewollt zu Hilfe. In der Diskussion um das moralische Versagen des Amtes wird derzeit exemplarisch deutlich, was den Historikern Kopfschmerzen bereitet: Die Zeitgeschichte gehört in Zeiten von Histotainment und Feuilletonisierung nicht mehr ihnen allein.

Für den Münchner Historiker Horst Möller ist die Zeitgeschichte denn „auch eine Geschichte der Hysterie“, die dem immer gleichen Schema folge: Irgendetwas sei verdrängt worden und müsse nun „endlich aufgearbeitet“ werden. Tatsächlich aber seien in vielen Fällen die zentralen Dokumente keineswegs neu entdeckt, sondern lange bekannt gewesen: bei der umstrittenen Wehrmachtsausstellung ebenso wie in der jüngsten Debatte um die Taten der Diplomaten. Der stets streitlustige Chef des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) stellte sich robust gegen die „Instrumentalisierung vermeintlicher Verdrängung“ und wetterte gegen eine Skandalisierung der Geschichte.

Möller erntete weitgehende Zustimmung. Überhaupt wollen die Zeithistoriker Wegmarken der jüngsten Geschichte am liebsten ausreißen. Der erst jüngst an die HU berufene Historiker Martin Sabrow stellte die Macht der Jahreszahlen infrage: Die vermeintlichen Einschnitte 1945, 1968, oder 1989 seien überbewertet. Historischer Wandel, etwa von Einstellungen und Rollenbildern, vollziehe sich nicht in plötzlichen Wendepunkten, sondern in eher langfristigen Strukturbrüchen. Edgar Wolfrum (Heidelberg) pflichtete dem unumwunden bei und will fortan nur noch „europäische Großzäsuren von internationaler Bedeutung“ gelten lassen.

Doch die sind alles andere als leicht zu finden. Auch ein wirklich europäischer Strukturbruch nach 1945, der sich in Deutschland, Frankreich und Italien auf ähnliche Weise vollzog, scheint sich jenseits der europäischen Prozesse allenfalls in Ölkrise oder Pillenknick festmachen zu lassen. Ebenso uneinheitlich die Befunde eines anderen zeithistorischen Trends, der Generationenforschung. Andreas Gestrich, Direktor des Deutschen Historischen Instituts London, sieht den aus den Zwanzigern stammenden Generationenbegriff zwar international im Aufwind. Doch schon auf westeuropäischer Ebene sind übergreifende Generationen nur schwer auffindbar.

Selbst die überaus gut erforschten Achtundsechziger, so ein Einwurf von Dorothee Wierling (Hamburg), seien keine echte Generation, sondern eher eine soziale Gruppe, die sich aus dem westdeutschen Kleinbürgertum rekrutierte und in der DDR gar nicht vorkam.

Eine westliche Gemeinsamkeit sah einzig Georgi Verbeeck, der gleich eine ganze Epoche erfand: die „Entschuldigungskultur“. Dem Maastrichter Historiker zufolge lebten wir in einer Zeit des Sorry-Sagens. Sich für die Geschichte zu entschuldigen sei heute so normal wie früher das Hallosagen: Die Engländer entschuldigen sich für an den Iren begangenes Unrecht, die Deutschen für Südwestafrika und der Vatikan pauschal für das Unrecht der vergangenen zwei Millennien. Dabei handele es sich oft um Täuschungsmanöver, die Symbolpolitik als wohlfeile Alternative zur Realpolitik nutzten: Auf viele medienwirksame Entschuldigungen folgten keine Taten.

Eben diesen Trend zum Symbolischen spiegelt auch die Zeitgeschichtsschreibung wider. Sie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten weit mehr mit „weichen“ Themen wie Einstellungen, Wertewandel und deren Repräsentationen beschäftigt, als mit traditionellen Politikerbiografien und diplomatischen Akten. Dies machte Gustavo Corni (Trento) deutlich, indem er mit dem Abstand des Italieners die deutsche NS- mit der DDR-Geschichtschreibung verglich: Die Dominanz der Personen in Nazi-Biografien und die Analyse des NS-Herrschaftsapparates fände sich in der DDR-Historiografie so nicht wieder. Hier habe man von Anfang an die Sozial- und Alltagsgeschichte, etwa der Kinderbetreuung, des Konsums oder der Erinnerungen erforscht.

Heute herrsche ein eklatantes Ungleichgewicht, kritisierte Horst Möller: Während die DDR geradezu „überforscht“ sei, wisse man über die Bonner Republik vergleichsweise wenig. Die Schlussdiskussion spaltete sich denn auch an der von Tagesspiegel-Herausgeber Hermann Rudolph aufgeworfenen Frage, wann endlich eine integrierte gesamtdeutsche Geschichte geschrieben werde, in der die DDR keine Fußnote sei, sondern gleichberechtigt neben der Bundesrepublik stehe. Während die international arbeitenden Historiker Étienne François (Berlin) und Konrad Jarausch (Chapel Hill) die Lösung in vergleichender Geschichte und dem Darstellen von Verflechtungen suchen, bezweifelt Dorothee Wierling den Sinn eines solchen Unterfangens: Beide Republiken seien viel zu sehr getrennt gewesen, als dass man ihre Geschichten sinnvoll verbinden könne.

Die Zeitgeschichte, so der Eindruck dieser Bestandsaufnahme, hat derzeit genug damit zu tun, eine gesamtdeutsche Perspektive zu finden. Von der im Tagungstitel postulierten westeuropäischen Sicht ist sie – trotz vieler Vorarbeiten der sechs international forschenden Historischen Auslandsinstitute – noch weit entfernt. Das beweist auch eine eklatante Leerstelle: Vor kurzem erst erregte der Begriff einer „Westernisierung“ der Nachkriegszeit heftige Historikerdebatten. Auf der Westeuropa-Konferenz fällt er kein einziges Mal.

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