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Wissen: Die ältesten Jagdwaffen der Menschheit

Das Braunschweigische Landesmuseum zeigt die 400 000 Jahre alten Holzspeere aus dem Braunkohletagebau bei Schöningen

Niedersachsen, vor 400 000 Jahren. Der Herbst hat begonnen. Auf dem Uferstreifen eines 800 Meter langen Sees zieht eine Wildpferdherde nach Süden. Da die Tiere den Wind im Rücken haben, erkennen sie die Gefahr erst, als es bereits zu spät ist. Ein 2,5 Meter langer Speer durchbohrt den Leithengst und bringt ihn zu Fall. Führungslos eingeklemmt zwischen dem See und einer Gruppe von wenigstens zehn Urmenschen wird die Herde regelrecht abgeschlachtet.

Wenig später bevölkert eine Sippe von etwa 30 Urmenschen den Ort des Geschehens. Sie schlägt ein Jagdlager auf und legt vier Feuerstellen an. Das Pferdefleisch wird in Streifen geschnitten und geräuchert. Fell, Sehnen, Knochenmark, Eingeweide – alles wird verwertet, nur die Köpfe bleiben unangetastet, damit die Tiere (in der Vorstellungswelt der Jäger) ein neues Leben beginnen können. Diesem Zweck dient wohl auch die Opfergabe von acht Jagdspeeren an den „Geist der Pferde“. So könnte die Jagd in der Altsteinzeit abgelaufen sein.

Am 20. Oktober 1994 findet der Archäologe Hartmut Thieme im Südfeld des Braunkohletagebaus Schöningen bei Helmstedt einen 78 Zentimeter langen Holzstab, der an beiden Enden zugespitzt ist. Der Fund, der später als Wurfstock eines Homo erectus identifiziert wird, lag nur einen Meter von der Abbaukante entfernt.

Im Januar 1995 räumen Raupenfahrzeuge die zehn Meter mächtigen eiszeitlichen Deckschichten weg und ermöglichen so die Rettungsgrabung auf einer Fläche von 3000 Quadratmetern. Noch im selben Jahr entdeckt Thieme mit den ersten drei Holzspeeren die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Menschheit. Der Fundplatz gilt zudem als der früheste Nachweis von aktiver, systematisch betriebener Großwildjagd.

Erst zwölf Jahre später werden diese einzigartigen Funde einem breiten Publikum gezeigt: In der Landesausstellung „Die Schöninger Speere – Mensch und Jagd vor 400 000 Jahren“. Die lange Wartezeit hängt mit den schwierigen Restaurationsbedingungen zusammen, aber auch damit, dass das „Pferdeland“ Niedersachsen nicht genügend Geld zur Verfügung stellte, um das Wildpferd-Jagdlager des Homo erectus auszugraben.

Was verstehen wir unter Kultur? Gehört die Frage nach dem Ursprung des Menschen nicht dazu? Zwar hat man in Schöningen noch keine Hominidenreste gefunden, doch die zeitliche Einteilung des Fundhorizontes spricht für den europäischen Homo erectus.

Folgt man den Erkenntnissen von Hartmut Thieme, dann hatten diese Urmenschen bereits kultisch-religiöse Vorstellungen und betrieben eine Vorratshaltung. Sie verfügten also über Fähigkeiten, von denen man bisher vermutete, dass sie erst viel später entwickelt wurden. Verblüffend ist auch die handwerkliche Qualität der Jagdwaffen aus Fichten- und in einem Fall aus Kiefernholz.

Zwar gibt es Baumarten, die besser geeignet sind. Doch die Urmenschen mussten sich mit dem zufriedengeben, was die Natur ihnen bot. Das Jagdlager liegt zeitlich im ausgehenden Reinsdorf-Interglazial, einer Warmzeit, die erst 1991 im Schöninger Tagebau entdeckt wurde. Die offene Graslandschaft bot Lebensraum für Herden von Weidetieren, vereinzelt standen Birken, Kiefern, Lärchen und Fichten. Kurz vor der nächsten Eiszeit herrschte ein kühles und trockenes Klima.

Für die Speere wählten die Urmenschen junge, gerade Fichtenstämmchen aus. Diese wurden mit Feuersteinwerkzeugen gefällt, entrindet und sorgfältig entastet. Weil das Holz an der Stammbasis am härtesten ist, wurde hier die Speerspitze angelegt. Die bis zu 2,5 Meter langen Speere gleichen in Länge, Schwerpunkt und Gewicht in etwa dem heutigen Damenwettkampfspeer. Spitzensportler bescheinigen den Nachbauten eine sehr gute Treffsicherheit. Mathias Orgeldinger

Bis 24. Februar 2008 im Braunschweigischen Landesmuseum, Burgplatz 1, 38100 Braunschweig, Telefon 0531 12 15 0, Internet: www.dieschoeningerspeere.de. Öffnungszeiten: Di. – So. 10 bis 17 Uhr, Do. 10 bis 20 Uhr.

Mathias Orgeldinger

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