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Blick in den Hörsaal einer Universität.

© picture alliance / Waltraud Grub

Die Bachelor-Protokolle: „Nach Bologna aber ging niemand von uns“

Kaum zu bewältigende Stoffmengen – oder doch Raum für kritische Reflexion? Bachelorstudierende und Absolventen sprechen über Freud und Leid an der Uni.

Bulimie-Lernen statt Bildung? Der Bachelor als berufliche Sackgasse? Bis heute scheiden sich die Geister an den Studiengängen Bachelor und Master, die im Rahmen des Bologna-Prozesses die alten Diplom- und Magisterstudiengänge ersetzt haben.

Initialzündung für die Hochschulreform war vor gut zwanzig Jahren die Sorbonne-Erklärung der Länder Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland. Hochschulexperten ziehen wie berichtet eine gemischte Bilanz.

Aber was sagen Studierende und Absolventen zu ihrer Studienrealität? Sind sie zufrieden oder fühlen sie sich tatsächlich gegängelt? Eine Umfrage.

Porträtfoto von Hannes Soltau.
Hannes Soltau.

© Dennis Dignat

Hannes Soltau (31) studierte 2007 bis 2011 im Bachelor Politikwissenschaft an der Universität Marburg und danach im Master in Halle Kulturen der Aufklärung.

„Bologna. Das klang 2007 noch nach Abenteuer. ,Wir kommen jetzt leichter ins Ausland’, frohlockte jemand zwischen Trinkspielen und Kleiderketten der Erstsemesterwoche. Auf der Einführungsveranstaltung zitierte ein Redner Max Horkheimer, der seinen Studierenden einst zwei Perspektiven eröffnete: Das Studium als Möglichkeit ,zur reicheren Entfaltung der menschlichen Anlagen’ und als Beitrag für ,die vernünftige und menschliche Einrichtung des gesellschaftlichen Ganzen’. Das klang gut.

Also rein in die Fachschaften, die abendfüllenden Plena und raus auf die Straßen gegen Studiengebühren. Der Enthusiasmus hielt ein Semester. Dann tauschten wir Transparente gegen Prüfungswissen. Politische Theorie als Multiple-Choice-Test. Semesterferien, so lernten wir, sind nur eine ,vorlesungsfreie Zeit’, reserviert für Klausuren und Hausarbeiten. Wir sammelten ECTS-Punkte wie Sticker in einem Paninialbum und entwickelten Strategien, wer auf der Anwesenheitsliste für die anderen unterschreibt.

Bei der engen Taktung und der kaum zu bewältigenden Stoffmenge bemerkten wir nicht, welch Hohn es war, uns von ,Entfaltung von Anlagen’ oder einem Beitrag zum ,gesellschaftlichen Ganzen’ zu dozieren, wo es doch um etwas ganz anderes ging: die Veredelung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit für den späteren Arbeitsmarkt. Fortan blieben die Transparente im Keller, das kurze Ehrenamt wurde noch für den Lebenslauf notiert – als Kapital für Bewerbungsgespräche. Nach Bologna aber ging niemand von uns.“

Porträtfoto von Miriam Lenz.
Miriam Lenz.

© privat

Miriam Lenz (26) studiert im Master Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin.

„Ich hatte Glück: Als ich 2011 an der Humboldt-Universität meinen Bachelor in Sozialwissenschaften begann, hatten Studierende vor mir mit den Bildungsprotesten 2009 bereits erfolgreich für Verbesserungen in den Bachelor-Studiengängen gekämpft. Anwesenheitskontrollen gab es in meinem Studiengang nicht mehr, die Studienordnung war gerade reformiert und entschlackt worden. Die Veranstaltungen meiner ersten drei Semester waren zwar vorgegeben. Verschult kam mir mein Studium trotzdem nicht vor. In den Pflichtveranstaltungen wurden grundlegende Theorien und Methoden der Sozialwissenschaften vermittelt, eine wichtige Voraussetzung für die Spezialisierung im weiteren Studienverlauf. Danach war ich bei der Wahl meiner Veranstaltungen sehr frei und konnte meine eigenen Schwerpunkte setzen. Und auch in den Pflichtveranstaltungen der ersten Semester ging es nicht hauptsächlich um die Wiedergabe von Fakten, sondern um Reflexion und kritische Auseinandersetzung mit den Inhalten.

Wie verschult ein Studiengang ist, hängt eben nicht nur von der Abschlussart, sondern auch vom Fach, der Hochschulform und der Hochschule ab. Das wird bei der Debatte um den Bachelor gern vergessen. Der kulturpessimistische Gestus und die sentimentalen Lamenti mancher Lehrender, die mit glasigem Blick von früher, als man noch ,richtig’ studierte, erzählen, wirken auf mich vergangenheitsverklärend und realitätsverweigernd. Statt ewig den Magister- und Diplomstudiengängen nachzutrauern und dadurch in untätiger Passivität zu versinken, sollten auch die Lehrenden dafür eintreten, dass die allgemeine Studierbarkeit der Bachelor-Studiengänge stetig verbessert wird und die Studierenden so viel Freiheit und Unterstützung wie möglich erhalten.“

Porträtfoto von Lea Huber.
Lea Huber.

© privat

Lea Huber (26) studiert im Masterprogramm „Internationale Beziehungen“ an der Freien Universität, der Humboldt-Universität und der Universität Potsdam.

„Von Freunden hatte ich gehört, dass sie an den Berliner Unis im Studium anfangs fast verloren gegangen sind. Andere fanden es toll, wie selbstbestimmt man hier studieren kann. Aber ich brauchte eine Struktur und enge Betreuung. Und ich wollte in Richtung Politik gehen – und zwar auf Englisch. Das ist im Bachelor in Berlin nicht möglich.

Also ging ich an die Uni Maastricht, in den Bachelor European Studies. Dort hatten wir eine ganz klare Struktur: zwei Kurse parallel, die jeweils zwei Monate dauern, danach die Prüfungen, dann das nächste Thema. Und Lerngruppen mit nur 15 Leuten. Trotz der regelmäßigen Prüfungen habe ich das nie als Bulimie-Lernen empfunden. Denn alles baute inhaltlich logisch aufeinander auf. Die Grundlagen etwa der europäischen Geschichte haben wir so immer weiter ausgebaut. Dass dabei die Projektarbeit, das forschende Lernen zu kurz kam, merke ich erst jetzt im Master. In Maastricht sind wir weniger in die Tiefe gegangen, kritisches Denken war längst nicht so wichtig wie in Berlin. Genderperspektiven und Postkolonialismus werden hier immer mitgedacht.

Andererseits kann ich mich auf mein gutes Überblickswissen verlassen. Und ich habe super Englisch gelernt, wir hatten auch Kurse zur Wissenschaftssprache. In meinem Berlin-Potsdamer-Masterprogramm wird zwar fast alles auf Englisch gelesen, aber die Seminarsprache ist Deutsch. Bei den Hausarbeiten kann man sich die Sprache aussuchen. Maastricht war für mich jedenfalls der richtige Start ins Studium, trotz der Studiengebühren von jährlich 1600 Euro.“

Porträt des Studenten Leonard Hüttl.
Leonard Hütt.

© privat

Leonhard Hütt (21) studiert im vierten Semester Public und Nonprofit-Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft und an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin.

„Ich studiere einen dieser exotischen Spezialstudiengänge: Public und Nonprofit-Management. Durch einen Freiwilligendienst auf den Philippinen habe ich meine Begeisterung für die Entwicklungszusammenarbeit entdeckt. Mit meinem Bachelor habe ich das Gefühl, genau auf die Tätigkeiten vorbereitet zu werden, die ich später im Beruf ausüben möchte. Die Kehrseite dieser Spezialisierung ist, dass ich mich damit teilweise auf eine Schiene gesetzt fühle, was die Wahl meines Masters angeht. Ich lerne zwar Inhalte aus BWL, Soziologie und Psychologie, aber auch Praktisches wie wissenschaftliches und kooperatives Arbeiten. Diese Vielfalt macht den Bachelor für mich interessant. Einen Master kann ich in der Mehrheit dieser Fächer, gerade in den für mich interessanten, jedoch nicht machen.

Störend ist auch die Anwesenheitspflicht in einigen Kursen. Nachdem Professoren gelegentlich vor nur wenigen Studierenden doziert haben, wurde sie letztes Jahr stellenweise wieder eingeführt. Aus Sicht der Hochschule kann ich das nachvollziehen, glaube aber, wir sind erwachsen genug, um eigenverantwortlich den Stoff des Semesters zu lernen. Viele von uns haben noch andere Interessen, machen Musik, Politik oder engagieren sich ehrenamtlich. Man sollte uns den Freiraum geben, selber zu entscheiden, wie wir unsere Zeit investieren, wie wir uns entwickeln und bilden wollen.

Was schon an der Schule gefehlt hat, vermisse ich auch im Studium: methodisches Training, um sich Wissen nachhaltig anzueignen. Vor allem an Fachhochschulen mit ihrer besonders heterogenen Studierendenschaft fände ich das wichtig. Kritiker monieren ja, dass viele Abiturienten nicht studierfähig seien. Aber nicht jede*r kommt aus einer Akademikerfamilie, in der von klein auf Konzentration, Lerndisziplin und Ambition großgeschrieben werden. Ich würde mir mehr Engagement der Schulen und Hochschulen wünschen, um dieser Ungleichheit zu begegnen.“ (Leonhard bloggt in seiner Freizeit über seine Erfahrungen im modernen Leben und seine Reisen durch Asien; zum Blog geht es hier.)

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