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Wissen: Die Bibliothek kommt nach Hause

Bücher, Musik und Filme aus 30 000 Einrichtungen werden digitalisiert. Jeder kann die Medien am eigenen Computer nutzen

Auf einem Hightech-Scanner schnallt Konstanze Rönnefahrt ein Buch aus dem 17. Jahrhundert fest. Eine Glasplatte fährt herunter und deckt die Schrift ab. Dann drückt Rönnefahrt, Leiterin des Digitalisierungszentrums der Staatsbibliothek zu Berlin, auf einen grünen Knopf. Das Buch wird gescannt.

So wie in Berlin werden in diesen Tagen in vielen anderen Städten Bücher und andere Werke digitalisiert – oder sind es bereits. Die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) soll 30 000 deutsche Kunst- und Wissenschaftseinrichtungen vernetzen und mehrere Millionen Gegenstände in einer Datenbank vereinen. Es ist die erste Datenbank in Deutschland, die verschiedene Medienarten verknüpfen soll.

Im ersten Halbjahr 2012 könne jedermann mehrere Millionen Bücher, Musikstücke, Filme, Fotos und 3D-Objekte über das Internet abrufen, verspricht Ute Schwens, die Direktorin der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main. Internetnutzer sollen diese daheim auf ihrem Computer abrufen können. Für Oktober dieses Jahres ist der Start eines mehrmonatigen Testbetriebs geplant. Zwei bis drei Millionen Objekte soll die Datenbank dann enthalten.

Doch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wo die Geschäftsstelle der DBB angesiedelt ist, spricht auch von Problemen. „Die Entwicklung ist wesentlich komplexer, als man angenommen hat“, sagt Norbert Zimmermann. Mit einer Ausschreibung würden Partner gesucht, „die im großen Stil Massendigitalisierung betreiben“. Ein denkbarer Mitbewerber ist der Internetriese Google, der im Projekt Google Books weltweit ganze Bibliotheksbestände einscannt. Während die deutschen Bibliothekare Google bislang häufig als Konkurrenten sehen, kooperiert etwa die Britisch Library mit dem Internetdienstleister: Bis zum Jahr 2020 soll Google dort 14 Millionen Bücher digitalisieren und ins Netz stellen.

Bund und Länder finanzieren den laufenden Betrieb der DDB seit 2011 mit 1,3 Millionen Euro pro Jahr. Doch Pate für die Gründung des deutschen Mammutprojekts stand die Europäische Union. Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich verpflichtet, ihre Kulturgüter über das Internet weltweit zugänglich zu machen. Seit 2008 vernetzt die Internet-Plattform Europeana Bibliotheken, Archive und Museen. Im Juli 2010 waren bereits über 10 Millionen Objekte wie Bilder, Texte, Tonaufnahmen und Videos über die Plattform zugänglich. Der deutsche Anteil hinkte allerdings lange hinterher. Die DDB wird jetzt als deutscher Beitrag zur Europeana aufgebaut.

Technisch umgesetzt wird die Deutsche Digitale Bibliothek vom Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme in Sankt Augustin. Die DDB sei ein wichtiger Beitrag zum sogenannten Semantischen Web, erklärt Kai Stalmann, der technische Leiter des Fraunhofer-Projekts. Das Semantische Web interpretiert Informationen und setzt diese zu anderen Daten in Beziehung. Eine klassische Anwendung: Wettervorhersagen und Staumeldungen können mit Reiserouten verknüpft werden. Die DDB kann man sich nun wie eine Stadt aus Kulturobjekten vorstellen, in der die einzelnen Objekte durch eine Vielzahl von Straßen verbunden sind. Wer an einem Ort ankommt, kann quasi direkt zum nächsten Ort weiterreisen.

Die Vernetzungsoptionen im DBB-Programm seien weltweit einmalig, sagt Stalmann. Wer etwa nach Objekten mit Berlin-Bezug suche, könne bei der DDB entscheiden, ob er Objekte aus Berlin, in Berlin oder über Berlin sehen will.

Ist die DDB das Ende für klassische Bibliotheken? Nein, sagen Bibliotheksvertreter. Als Treffpunkte und Arbeitsplätze etwa für Wissenschaftler seien die Lesesäle so gefragt wie nie zuvor. Dennoch leisten die Bibliotheken deutlich mehr Widerstand gegen die Massendigitalisierung ihrer Bestände als Archive oder Museen. Tatsächlich werde das große digitale Netzwerk von kleineren Kultureinrichtungen keineswegs als Bedrohung gesehen, sagt Norbert Zimmermann von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Denn eine bessere Werbung als durch die DDB könne es nicht geben. Erfahrungen etwa mit informativen Internetauftritten zeigten: Je besser Kulturinteressierte über Museen und andere Einrichtungen informiert seien, umso häufiger würden sie diese besuchen. „Wir wollen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen sichtbarer machen“, stimmt ihm Ute Schwens zu. Andreas Maisch

Mehr Informationen im Internet:

www.deutsche-digitale-bibliothek.de; www.europeana.eu

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