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Wissen: Die Forscher des Kalten Krieges

In den 40ern starteten die USA die „Mobilmachung des Wissens“ – Institute dienen auch heute der Politik

Der Marshallplan wurde am 5. Juni 1947 angekündigt, in einer berühmten Rede des amerikanischen Außenministers in der Harvard-Universität. Das ist nicht ohne Symbolik. Denn es waren die Universitäten in den USA, aber durchaus auch in der künftigen westdeutschen Bundesrepublik, die von der Hilfestellung oder, wenn man so will, Intervention des amerikanischen Staates auf tiefgreifende Weise beeinflusst werden sollten. Es war die Epoche des Kalten Krieges, die mit dem Marshallplan eine politische Form erhielt. Die „Ideengeschichte des Kalten Krieges“, die das Hamburger Institut für Sozialforschung unlängst auf einer Tagung aufrollte, ist durchaus ein heikles Thema. Es geht um die Ideen, die intellectual history des Tagungstitels, und konkreter um die Auswirkungen auf Universitäten, Forschungsvorhaben – und ums Geld.

Die Ausgaben der USA für Höhere Bildung explodierten geradezu nach dem Zweiten Weltkrieg. Das hatte drei Ursachen. Zum einen die Konkurrenz gegenüber der Sowjetunion, die das bis dahin selbstbezogene amerikanische Universitätssystem jäh ins Scheinwerferlicht der Politik rückte. Zum anderen die Erkenntnis, dass wirklich erhebliche Aufwendungen für Forschung und Entwicklung im privaten Sektor nicht zu erwarten waren, von Grundlagenforschung ganz abgesehen. Und schließlich die Notwendigkeit, Studienplätze für die demobilisierten Soldaten zu schaffen, denen mit dem G.I.-Gesetz von 1944 freier Zugang zu den Universitäten ermöglicht worden war.

Es ging um die „totale Mobilmachung des Wissens“. Die Ausgaben der amerikanischen Bundesregierung für Forschung und Entwicklung, berechnet in konstanten Dollars von 1983, stiegen zwischen 1940 und 1961 von 74 Millionen auf vier Milliarden Dollar. Dazu kommen Fördermittel der diversen amerikanischen Militäreinrichtungen wie auch der zahlreichen regierungsnahen Behörden, der für das amerikanische Regierungssystem so typischen agencies. Aber auch die Struktur der Wissensproduktion änderte sich.

Die rasch wachsende Zahl der Wissenschaftler und mit ihr die Verbreiterung, Bürokratisierung und auch Demokratisierung des Wissenschaftsbetriebes eröffneten neue Wege, beispielsweise von Teamarbeit und Interdisziplinarität. Dafür stehen insbesondere die think tanks, die neue, hierarchiefreie Wege des experimentellen Denkens zur Politikberatung beschreiten sollten. Das ikonische Beispiel für eine militärfinanzierte Denkfabrik ist die kalifornische Rand Corporation, die die Möglichkeiten und Risiken einer auf atomare Schlagkraft gestützten Politik auslotete.

Eine zeitbedingte Konjunktur erlangte dabei die bereits 1928 von dem aus Budapest stammenden Mathematiker John von Neumann entwickelte und 1944 vervollständigte Spieltheorie, mit der sich der Kalte Krieg als Risiko-„Spiel“ zweier nicht kommunizierender Gegner interpretieren ließ. Die intellektuelle Frivolität, die einer solchen Denkweise im Schatten atomarer Vernichtung innewohnt, trat einer schockierten Weltöffentlichkeit erst mit den dramatischen Tagen der Kuba-Krise vor Augen.

Ferner trat 1950 eine von Präsident Truman, auf westlicher Seite der Schlüsselfigur des Kalten Krieges in dessen Anfangsphase, bereits 1946 geforderte, doch vom Kongress abgelehnte Institution ins Leben, die National Science Foundation (NSF). Der Etat der NSF stieg von 100 000 Dollar binnen eines einzigen Jahrzehnts bis 1960 auf atemberaubende 100 Millionen (das heutige Budget beträgt 6,9 Milliarden Dollar). Bis heute fließt der Großteil der Mittel in die jährlich ausgelobten Stipendien für Einzelbewerber und kleinere Teams nicht zuletzt für Grundlagenforschung und Anwendung von Computern in der Wissenschaft.

Für die Sozialwissenschaften überaus bedeutsam wurden die großen Firmen- und Privatstiftungen. Allen voran die Rockefeller Foundation und die Ford Foundation spielten eine erhebliche Rolle im Kalten Krieg, sowohl in der Höhe als auch im Inhalt ihrer Förderungen. Die Implementierung der gegen die UdSSR gerichteten Politik erfolgte in den fünfziger und auch noch sechziger Jahren zu einem guten Teil über ihre Stipendien. Das Russian Institute an der Columbia-Universität, gegründet bereits 1946 mit Mitteln der Rockefeller Foundation, und das Russian Research Center, gegründet in Harvard 1948 mit Mitteln der Carnegie Corporation, sind die herausragenden Beispiele für die Reaktion auf die in der Politik empfundene Dringlichkeit, Forschungen zur Sowjetunion in institutionalisierter und teambezogener Form zu betreiben. Dass der erste Leiter des Russian Research Center, Clyde Kluckhohn, ein ausgewiesener Sozialanthropologe war, dessen Forschungsschwerpunkt bei den Indianern Neu-Mexikos lag, lässt sich wohl nur durch seine vorangehende Tätigkeit beim Office of Strategic Studies (OSS) erklären.

Das 1942 geschaffene OSS aus der Zeit des Krieges, ein think tank der amerikanischen Streitkräfte, beschäftigte unter anderem die führenden Sozialwissenschaftler seiner Zeit. Dazu zählten Herbert Marcuse, Franz Neumann und Otto Kirchheimer aus dem Kreis der Frankfurter Schule, des Instituts für Sozialforschung, das wiederum sein Exil in Anbindung an die New Yorker Columbia University gefunden hatte. Aus dem OSS entwickelte sich 1947, als der Kalte Krieg bereits immer stärker auf einen heißen zuzusteuern schien, die CIA, die Central Intelligence Agency. Wissenschaftler des OSS, sofern sie nicht ins State Department wechselten, gingen an die führenden Universitäten und setzten dort ihre Arbeit fort, jedoch in der Weise, die sie zuvor als angewandte Forschung betrieben hatten.

Diese Forschungen folgten dem neuen Muster der area studies, der Regionalstudien, die den Querschnitt der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften auf eine einzige Region oder eben die Sowjetunion richteten. Kontrovers diskutiert wird, ob die area studies nun ein Kind des Kalten Krieges oder bereits des vorangehenden „heißen“ Weltkrieges sind. Entscheidend ist jedoch, dass sie den Charakter der amerikanischen Sozialwissenschaften grundlegend änderten, sowohl von ihrem Themenspektrum als auch, was ihre Nähe zu staatlichen Geldgebern angeht.

Die Benennung vorrangiger Regionen, die untersucht werden sollten, zeigt die enge Ausrichtung an den Bedürfnissen der Politik. Bereits während des pazifischen Krieges stellte das US-Militär entsetzt fest, dass es keine Spezialisten für den Fernen Osten in seiner Gegenwart gab. Es gab eine lange Tradition ostasiatischer Forschung an den Universitäten, gewiss; doch diese bezogen sich ausschließlich auf die Hochkulturen des Fernen Ostens in deren klassischer Ausprägung. Wie das seinerzeitige Japan zu verstehen und gar zu beurteilen war, wussten die Wissenschaftler nicht zu sagen. Aus diesem Dilemma heraus entwickelten sich zunächst area training programs vorrangig als Sprach- sowie Geografieunterricht. Dieses Erbe belastete die späteren area studies noch lange; ihre Geringschätzung durch die etablierten Universitäten rührt nicht zuletzt aus dieser Orientierung auf unmittelbare Nutzung.

Auch die Sowjetunion kam erst mit dem Kalten Krieg in den Blick. Ein Klassiker wie das 1953 erschienene Buch des Harvard-Professors und nachmaligen Direktors des Russian Research Centers, Merle Fainsod, „How Russia is Ruled“, das lange Zeit als Nachschlagewerk aller Kremlologen diente, kann als ein definitives Ergebnis der Studien in diesem Bereich verstanden werden. Noch 1997 lobte es die einflussreiche Zeitschrift „Foreign Affairs“ als Buch, „das den Bereich der Sowjetstudien definiert“ habe.

Ein weiteres neues Feld in den Sozialwissenschaften tat sich mit den Studien zu Modernisierung und sozialem Wandel auf. Sie gründen auf der Annahme, dass sich die Dritte Welt der – eben darum so genannten – „Entwicklungsländer“ notwendig auf die Erste Welt der Industrienationen zubewegen werde. Modernität kann dabei mit der „instrumentellen Vernunft“ gleichgesetzt werden, die Max Horkheimer als Wegbereiter der verwalteten Welt kritisierte. Diese instrumentelle Vernunft oder Rationalität zerstört die traditionellen Gesellschaftsstrukturen, eröffnet aber zugleich die Aussicht auf wissenschaftlich-technischen Fortschritt.

Eine solche Modernisierung – und da war wieder die Politik am Zug – kann operationabel gemacht werden. Im Endergebnis, so die politische Schlussfolgerung, kann die Beförderung von Modernisierung Länder vor der kommunistischen Ideologie bewahren. Westliche Welt und Modernität, lautete die hoffnungsfrohe, doch interessengeleitete Annahme, fallen in eins. In Lateinamerika, dem berühmt-berüchtigten „Hinterhof“ der Vereinigten Staaten, spätestens aber in Vietnam zeigten sich Grenzen und schließlich furchtbares Versagen einer von außen vorangetriebenen Modernisierung nach amerikanischem Denkmuster.

Doch die Zeit der Regionalstudien ist nicht vorbei – und auch nicht die ihrer politischen Nutzung. Im Mittleren Osten hat sich mit den Krisenherden von Irak über Afghanistan bis Pakistan wiederum ein weiter geografischer Raum aufgetan, in dem die amerikanische Politik auf die gründliche Kenntnis von Land und Leuten angewiesen ist. Der militärische Miss- oder allenfalls Teilerfolg lässt keine andere Wahl, als auf wissenschaftlich fundierte Untersuchungen zu bauen – und diese entsprechend zu fördern.

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