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Wissen: Die Qual der Wahl

Entscheidungen zwischen Gen und Gefühl

Was geschieht in unserem Gehirn, wenn wir uns für oder gegen etwas entscheiden? Entscheiden wir uns überhaupt nach freiem Willen? Oder folgen wir gar genetisch vorbestimmten Bahnen? Und welchen Einfluss hat das Gefühl? „Kopf oder Bauch“ lautete das Motto des 15. Berliner Kolloquiums der „Daimler- und Benz-Stiftung“.

Mit dem Entscheidungsverhalten hat sich die Wissenschaft noch wenig beschäftigt. Die meisten Ansätze beruhen auf empirischen Verfahren, auf Befragungen, statistischen Auswertungen, auf Belohnungs- und Bestrafungsspielen mit Versuchspersonen. Aber der Trend, sich vom rein rational bestimmten Modell des Homo oeconomicus abzuwenden, hat sich verstärkt. Labor- und Feldexperimente dominieren eine neue Wissenschaftsdisziplin: die Neuroökonomie.

Jede Entscheidung – ob im Privatleben, in Wirtschaft oder Politik – ist von verschiedenen Komponenten geprägt. Beim Umgang mit Risiken werden nicht allein Kosten und Nutzen gegengerechnet. Oft entscheiden wir „aus dem Bauch heraus“ mit geschulter Intuition. Siegmund Freud nannte sie das Unbewusste.

Auch Denkprozesse werden von Genen beeinflusst. Eine Arbeitsgruppe um Martin Reuter an der Universität Bonn erforscht eine Erbanlage, die beim selbstlosen Kümmern, dem Altruismus, mitentscheidet. Es ist das Comt-Gen und enthält die Bauanleitung für ein Enzym, das am Stoffwechsel des Botenstoffs Dopamin beteiligt ist. Bestimmte Mutationen bei Mutter oder Vater führen dazu, dass bei den Nachkommen mehr oder weniger Dopamin produziert wird. An Zwillingen wurde untersucht, wie viel sie bereit sind zu spenden. Träger der Mutation, die das Dopamin reduziert, spenden weniger.

Unabhängig von den Kulturkreisen wird ein Teil der Persönlichkeit von Verhaltensweisen geprägt, die mit Entscheidungen zu tun haben. Ob eine genetische Präferenz zum Tragen kommt, hängt natürlich noch von anderen Faktoren ab. Dabei konkurrieren im Gehirn Strukturen, die das Belohnungssystem bedienen, mit solchen, die ihm Einhalt gebieten.

Etwa beim Einkaufen. Der Preisvorteil ist nur ein Kriterium. Je nach Produkt erwägen wir Haltbarkeit, Nutzen, Gesundheitsförderung. Nicht immer obsiegt der Eigennutz, zum Beispiel wenn wir in einem Dritte-Welt-Laden etwas mehr ausgeben. Die Entscheidung fällt zwischen impulsiver Befriedigung eines Bedürfnisses und eher reflexiven Überlegungen.

Armin Falk vom Center for Economics and Neuroscience in Bonn hat Aussagen von 22 000 Befragten nach dem Risikoverhalten ausgewertet und experimentell überprüft. Erstaunlich: Männer sind deutlich risikofreudiger als Frauen. Mit der Körpergröße steigt die Risikobereitschaft, mit dem Alter nimmt sie ab. Wie die Eltern, so meistenteils die Einstellung der Kinder. Ehepartner finden sich eher auf gleichem Risikolevel als auf unterschiedlichem. Und die Bereitschaft, sich auf Ungewisses einzulassen, ist stark vom Gefühl abhängig. Damit ist die in der Ökonomie vorherrschende Sichtweise, dass allein der Kopf entscheidet, ad absurdum geführt. Die Neuroökonomie holt also nach, was bisher ignoriert wurde. Es ist der Daimler- und Benz-Stiftung zugutezuhalten, dass sie diesen Prozess fördert. Gert Lange

Gert Lange

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