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Jürgen Zöllner, Vorsitzender der Sitftung Charité und Deutschlands erfahrenster Wissenschaftspolitiker, bringt Gebühren für Studierende aus Nicht-EU-Ländern ins Spiel.

© Mike Wolff

Die Zukunft der deutschen Wissenschaft: Fokussiert euch – schnell!

Plädoyer gegen lauwarme Ideen: Berlins Ex-Senator Jürgen Zöllner drängt auf einen großen Wurf für die Wissenschaft.

Der Wissenschaftsrat bereitet in diesen Tagen seine Empfehlungen an die Politik über die Zukunft von Hochschulen und außeruniversitären Organisationen vor. Der Tagesspiegel hat am 19. April über Vorschläge aus dem vertraulichen Konzept berichtet. Jetzt kritisiert Deutschlands erfahrenster Wissenschaftspolitiker Jürgen Zöllner (SPD) die Pläne. Zöllner ist Vorsitzender der Berliner Stiftung Charité, er war Wissenschaftssenator in Berlin und -minister in Rheinland-Pfalz.

Deutschland ist Spitze. Was entscheidet darüber, dass es auch so bleibt? Die Bedeutung dieses Themas wird zur Zeit weder von der Politik noch von der Bevölkerung recht wahrgenommen. Dabei handelt es sich um eines der wichtigsten Zukunftsthemen überhaupt. Schon wenige Zahlen belegen das: Das Hochschulsystem wird derzeit jährlich mit circa 15 Milliarden Euro, die außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit etwa fünf Milliarden Euro finanziert. In den nächsten Jahren laufen diverse Pakte aus: der Hochschulpakt, der Pakt für Forschung und Innovation, die Exzellenzinitiative und die Hochschulbauförderung im Umfang von jährlich etwa vier Milliarden. Bricht das weg oder wird es nicht adäquat fortgeführt, sind alle Erfolge des deutschen Wissenschaftssystems, die weltweit Beachtung finden, dahin. Für alle, die es mit Deutschland als Bildungs- und damit auch als Wissenschaftsrepublik ernst meinen, muss dieser Punkt das wichtigste Zukunftsproblem Deutschlands überhaupt sein. Es mag nicht so spannend sein wie Herr Hoeneß und nicht so klar wie der Unsinn Betreuungsgeld. Es ist nur wichtiger und muss auf die ersten Seiten der Medien und in die Talkshows.

Kurzsichtig wird es leider von vielen Akteuren als reines Finanzproblem betrachtet. Bei der Finanzierung von gesellschaftlichen Systemen geht es aber nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Art. Bietet sie Anreize zu einem möglichst effektiven Mitteleinsatz und zu einem qualitätssteigernden Wettbewerb? Zudem ist die Finanzierung in einem System immer auch an die Strukturfrage geknüpft, welche Aufgaben den verschiedenen Akteuren zugewiesen werden und wie diese zusammen wirken. Und in Anbetracht der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland sollten alle Vorschläge ihr Ziel auch ohne Verfassungsänderung erreichen können, selbst wenn diese ohne Zweifel notwendig ist. Die Frage aber ist zu wichtig, um sie der Unwägbarkeit dieser politischen Initiative auszuliefern.

In der bisherigen Diskussion der Wissenschaft gibt es noch kein klares Bild zur Weiterentwicklung der deutschen Wissenschaftslandschaft. Vor allem scheint ein Gesamtentwurf zu fehlen – und Mut. Im Wesentlichen konzentriert sich die Diskussion, auf punktuelle, sicher sinnvolle Einzelvorschläge. So wird im Wissenschaftsrat vorgeschlagen, 250 „Merian-Professuren“ und 50 „Liebig-Institute“ zu schaffen. Damit würde Geld aber mit der Gießkanne verteilt, anstatt die Mittel für die besten Effekte zu fokussieren: „Weiter so, von allem noch etwas mehr“, lautet der lauwarme Lösungsvorschlag. Dies ist der Bedeutung der Sache nicht angemessen und der Wissenschaft unwürdig. Sicher ist die Lösung im Detail nicht einfach und bedarf sorgfältiger Diskussion. Aber die fünf folgenden Herausforderungen liegen auf der Hand und ebenso ihre Lösung über grundlegende Eckpunkte für ein stimmiges Gesamtpaket. Dann erst lohnt sich die Mühe der Ausarbeitung und Umsetzung im Einzelnen.

1. Das Wissenschaftssystem benötigt Planungssicherheit durch eine nachhaltige Finanzierung und somit eine garantierte jährliche Mittelsteigerung, die höher ist als die Inflationsrate, als der durchschnittliche Haushaltszuwachs des Bundes und als der der Länder.

Dies ist der Lackmustest: Alle Parteien auf allen Ebenen sind mit ihren gleich lautenden Beteuerungen der Bedeutung der Wissenschaft nur glaubhaft mit dieser klaren finanzpolitischen Schwerpunktsetzung. Schuldenbremse und wirtschaftliche Entwicklung stehen dem nicht entgegen, denn es zählt der Gesamthaushalt.

Studiengebühren für Ausländer könnten 1,9 Milliarden im Jahr bringen

2. Die Hochschulen brauchen dabei wegen der quantitativen Ausweitung und der notwendigen qualitativen Verbesserung überproportionale Aufwüchse. Dies darf nicht zu Lasten der Studierenden geschehen; die Studiengebührenfreiheit in Deutschland muss auf Dauer gesichert werden. Nach dem von mir oft geforderten Modell „Geld folgt Studierenden“ sollte das jeweilige Bundesland, in dem der Studierende die Hochschulzugangsberechtigung erwarb, einen für den jeweiligen Studiengang kostendeckenden Betrag an die Hochschule entrichten.

Der Bund übernimmt dann die Kosten für die ausländischen Studierenden. Ein erster Schritt könnte die Verpflichtung des Bundes sein, ab 2020 nach Auslaufen der Hochschulpakte sich so dauerhaft an der Finanzierung der Hochschulen in der Breite zu beteiligen. Dieser Vorschlag birgt entscheidende Vorteile: adäquate Finanzierung, leistungssteigernder Wettbewerb und verfassungskonforme Bundesfinanzierung. Bei etwa 250 000 ausländischen Studierenden und einem Durchschnittsbetrag von etwa 7500 Euro pro Studierendem kämen auf den Bund rund 1,9 Milliarden Euro pro Jahr zu. Das ist etwas mehr als den Hochschulen derzeit über die Hochschulpakte des Bundes zur Verfügung gestellt wird. Soll weniger fließen, könnten die Bundesmittel auf Studierende aus Entwicklungsländern und auf besonders Begabte beschränkt werden – unter Beibehaltung der Studiengebührenfreiheit für Deutsche und EU-Ausländer.

Allein aus China, Russland, USA und Südkorea – Länder, in denen entweder Studiengebühren erhoben werden oder aber deren Studierende bereit sind, in anderen Ländern Gebühren zu zahlen – studieren zur Zeit 50 000 junge Menschen in Deutschland. Diese Zielgruppe könnte Studiengebühren zahlen. Ohne Belastung der öffentlichen Hand bedeutete das bis zu einer halben Milliarde Euro pro Jahr mehr für unsere Hochschulen.

3. Die Hochschulen und die außeruniversitären Forschungsorganisationen müssen ihr Profil schärfen und eine Vision entwickeln. Dies gilt für alle. Denn gerade in den unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen liegt die Stärke der deutschen Wissenschaft. Die Hochschulen müssen der Lehre, der Weiterbildung und dem Wissenstransfer endlich die gleiche Bedeutung schenken wie der Forschung. Wo die größten Herausforderungen für die Außeruniversitären bestehen, ist kein Geheimnis. Die Leibniz-Gemeinschaft vereint durch die Umstände nach der Wiedervereinigung über 80 völlig heterogene Institute. Die Chance muss jetzt genutzt werden, sie zu profilieren. Das geht nur, wenn zahlreiche Institute sie verlassen, sie können überwiegend Universitäten zugeordnet werden. Ganz wenige könnten zur Max-Planck-Gesellschaft wechseln, der Wissenschaftsrat soll den Ausbau und Abbau in die Wege leiten. Die Einrichtungen, in denen der Bund Ressortforschung betreibt, müssen in die Erwägungen mit einbezogen werden – hier gibt es markante Qualitätsunterschiede.

4. In Kooperationen entstehen Profil-Universitäten, die internationale Spitzenleistungen eröffnen. Den Kern bilden die etwa 25 Universitäten, die sich durch ein erfolgreiches Abschneiden in der Exzellenzinitiative in einem Bereich profiliert haben, zum Beispiel die Meeresforschung in Bremen. Ihre Cluster und Graduiertenschulen als Gesamtschwerpunkt, in denen ja Universitäten bereits mit außeruniversitären Einrichtungen kooperieren, bilden den Ausgangspunkt für neue selbstständige gemeinsame Institute.

Die Unis steuern, die Institute erhalten das Promotionsrecht

Die Universität hat dabei einen Anteil von 51 Prozent. Das bringt sie einerseits in den Fahrersitz, andererseits bringt sie das Promotionsrecht für die Institute auf diese Weise mit. Der Bund fördert diese neuen Profilstandorte. Am besten liefe das über die Max-Planck-Gesellschaft. Da sie an den erfolgreichen Exzellenzprojekten einen entscheidenden Anteil hat, hätte sie unter den außeruniversitären Organisationen die Federführung.

An den vier oder fünf Standorten in Deutschland, die in allen Wissenschaftsbereichen die Chance haben, international wettbewerbsfähig zu sein, sollte die nötige Bundesunterstützung durch institutionalisierte Kooperationen mit der Helmholtz-Gemeinschaft realisiert werden. Hier wären etwa die Wissenschaftsstandorte München, Rhein/Main/Neckar, Aachen/Jülich, Berlin und Dresden nahe liegend. In Berlin ist mit dem „Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIG)“ bereits ein mögliches Modell auf den Weg gebracht. Alle diese Kooperationsformen müssen selbstverständlich – wie heute die Leibnizinstitute – alle sieben bis zehn Jahre evaluiert werden und müssen sich inhaltlich weiterentwickeln können.

5. Die Qualität und ständige Weiterentwicklung des Systems muss gewährleistet sein. Die DFG sollte die neuen Institute regelmäßig evaluieren. Kooperationspartner, die in koordinierten Programmen, etwa bei Sonderforschungsbereichen, erfolgreich sind, sollten Anträge auf die Förderung als Institut an einer Profil-Universität stellen können. Die DFG könnte prüfen, ob sie ihre bisherigen Förderlinien zusammenfassen und abschmelzen kann, um die Mittel stärker zu fokussieren.

Nur wenn ein Grundkonsens über die Eckpunkte des Gesamtpakets besteht, werden sich die Einzelbereiche lösen lassen. Solange ihre eigene Perspektive aber völlig unklar ist, werden die Betroffenen Lösungen für andere Akteure nicht konstruktiv begleiten und mittragen. Daher sollte der erste Schritt die Klärung der dauerhaften Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der Hochschulen nach Auslaufen der Hochschulpakte nach 2020 sein, da es letztlich alle betrifft und auch Fachhochschulen, Musik- und Kunsthochschulen ein Recht auf eine klare Perspektive haben.

Es ist fünf vor zwölf, denn es ist völlig unrealistisch zu glauben, der Bund hätte nach der Entscheidung über die Fortführung des Länderfinanzausgleiches noch relevante finanzielle Spielräume. Über den aber wird bereits in der nächsten Legislaturperiode entschieden.

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