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Ein Mathematiklehrer steht mit dem Rücken zur Klasse und schreibt mit Kreide Mathematikaufgaben an eine Tafel.

© Marijan Murat/dpa

Digitale Schule "nach Corona": Bildungsexperten warnen vor Rückkehr zum klassischen Frontalunterricht

Wie nachhaltig ist die Digitalisierung des Unterrichts - und wann entstehen echte "Smart Schools"? Bildungsexperten wünschen sich mehr administrativen Druck.

In der Coronakrise erlebten fast alle, die plötzlich mehr als je zuvor in ihrem Leben mit digitalen Anwendungen zu tun hatten, eine "steile Lernkurve". Das gilt besonders für Lehrkräfte, aber auch für die Schülerinnen und Schüler.

Unterricht am Laptop, Aufgaben aus den Lernplattformen, Kommunikation mit Videokonferenz und im Online-Chat: Das war für sehr viele im Bildungssystem spätestens ab Herbst 2020 etwas ganz Alltägliches. "Was Lehrkräfte in einem Jahr Corona gelernt haben, das hätten sie ansonsten in 20 Jahren nicht gelernt", sagt Andreas Schleicher, OECD-Bildungsdirektor und Koordinator der internationalen Pisa-Studien.

Und die Schüler erst, schwärmt Schleicher am Montagnachmittag im Berliner OECD-Center: In der Zeit der Schulschließungen haben sie neben dem selbstverständlichen Umgang mit ihren Computern gelernt, sich eigenständig Stoff zu suchen und dabei mit verschiedenen Medien umzugehen.

Lernfortschritte drohen verloren zu gehen

Noch bei Pisa 2018 war die große Mehrheit der 15-Jährigen in Deutschland "nicht in der Lage sich souverän im Netz zu bewegen". Heute dürften die Ergebnisse zumindest für die Generation Homeschooling deutlich besser ausfallen. Aber wie lange halten die Lernfortschritte vor, wenn die Schulen jetzt zum "normalen Unterricht" zurückkehren?

Diese Frage stellt sich auch Jacob Chammon, Vorstand des Forums Bildung Digitalisierung, einer Initiative von neun Bildungsstiftungen, der im OECD-Center mit Schleicher über "Smart Schools" diskutierte. Abgesehen von einer Handvoll Modellschulen sind solche Schulen in Deutschland Zukunftsmusik.

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Eine Mathematiksoftware, die Wissenszuwächse diagnostiziert, aber auch die Art von Fehlern, die Schüler immer wieder machen? Lehrkräfte, die daraufhin die Schwierigkeitsgrade der Aufgaben und ihre Reihenfolge so variieren, dass sie allen Schülern in der Klasse gerecht werden, auch denen mit Dyskalkulie? Roboter, mit denen Kinder begeistert Vokabeln lernen?

Versäumt, "Lernlücken" mit digitalen Tools zu analysieren

Aktuell geht es an deutschen Schulen vorrangig um die "Lernlücken", die schnell gefüllt werden müssen, beobachtet Chammon. Das adressiere zum einen die Schüler:innen als Kern des Problems, wo in Wahrheit das Schulsystem dabei versagt habe, alle Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten für die Kinder zu nutzen.

Zum anderen berge die Fixierung auf die Lernrückstände die Gefahr, dass Schulleitungen und Lehrkräfte sagen: "Jetzt wird frontal wieder richtig gelernt." Und bei den laufenden Lernstandserhebungen werde versäumt, die Kompetenzen der Schüler:innen mit digitalen Tools zu analysieren.

Ein Schüler steht an einem großen Bildschirm vor der Klasse und bearbeitet einen Text, seine Lehrerin sitzt an einem Laptop.
Nicht überall Alltag: Ein Schüler in Hessen bearbeitet einen Text an einer interaktiven Tafel.

© Frank Rumpenhorst/dpa

Dabei wäre es so leicht, gute Erfahrungen aus der Zeit des digitalen Distanzlernens in die Präsenz hinüberzunehmen, sagt Chammon: kollaboratives Arbeiten an einem Text als Klassenarbeit oder eine Problemlösungsaufgabe, für die die Kinder einen Tag Zeit haben, sich mit Quellen aus dem Internet kritisch auseinanderzusetzen.

Schulinspektion soll checken, was vom digitalen Lernen bleibt

Der Digitalisierungsaktivist, der die Deutsch-Skandinavische Gemeinschaftsschule in Berlin geleitet hat, wünscht sich - ebenso wie Andreas Schleicher - auch ein bisschen mehr administrativen Druck auf die Schulen, "nach Corona" konsequent weiter voranzugehen mit der Digitalisierung der Schulen.

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Chammons Vorschlag: "Es müsste eine klare Ansage der Schulverwaltung kommen, dass es kein 'back to normal' geben darf. Bei der nächsten Schulinspektion sollte überprüft werden, wie die Schulen das, was sie über das digitale Lernen gelernt haben, im normalen Schulalltag umsetzen."

Aber auch wenn sich mit dem milliardenschweren Digitalpakt für die Schulen und mit der ebenfalls vom Bund finanzierten Nationalen Bildungsplattform bis Mitte der 2020er Jahre die Voraussetzungen dafür eher verbessern als verschlechtern werden: Bis die digitalen Tools die segensreiche Wirkung entfalten können, die sie versprechen, braucht es viel mehr als den durch Corona erzwungenen Distanzunterricht.

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