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Papierlos prüfen. An der Uni Mainz sind E-Klausuren schon Alltag.

© Fredrik von Erichsen/pa/dpa

Digitalisierung an Hochschulen: Der lange Weg zu E-Klausuren, digitalen Vorlesungen und KI im Hörsaal

Digitale Inhalte und Methoden kommen nur langsam flächendeckend in der Lehre an, wie eine Studie zeigt. In der Forschung sind die Unis aber schon weiter.

Von Markus Lücker

Die Digitalisierung des Prüfungsmarathons zum Semesterende begann an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft mit einer Wiederbelebung. Seit einigen Semestern versucht die HTW, vermehrt von Klausuren mit Stift und Papier auf Prüfungen am Computer umzusteigen. Alles sollte einfacher und effizienter werden: Kein Kopieren von Arbeitsblättern mehr, Tests müssen nicht mehr in Aktenordnern archiviert werden, sondern landen komfortabel auf Festplatten. Doch zunächst fehlten Monitore für die Arbeitsplätze.

Alte Schirme für neue Prüfungen

„Wir haben dann alte Bildschirme aus unseren Lagern geholt, die nicht mehr verwendet wurden und ihnen einen neuen Nutzen gegeben“, erläutert Sebastian Homer. Er ist Mitarbeiter des Hochschulrechenzentrums und für die Betreuung der sogenannten E-Klausuren mitverantwortlich. Um ihn herum machen sich im großen Hörsaal der HTW gerade rund 40 angehende Wirtschaftsinformatiker für ihre Prüfung bereit. In Reihen sitzen sie hintereinander an ihren Computerplätzen. Auf einer Leinwand läuft eine Gebrauchsanweisung für die Arbeitsterminals in einer Endlosschleife. Noch muss das System jedes Mal vor Beginn der Prüfungszeit neu aufgebaut werden – bis im kommenden Semester ein neues Computerzentrum auf dem Campus eröffnet. Aber immerhin: Es geht voran mit der Digitalisierung.

Zu einem ähnlichen Urteil kam kürzlich auch das HIS-Institut in einer Studie zum Stand der Digitalisierung an Hochschulen in Deutschland. Es zeige sich „eine Vielzahl guter Projekte und Ansätze, denen nun zeitnah eine Richtung und Dauerhaftigkeit gegeben werden müsse“, urteilte das Institut. Aktuell bleibe die technische Umsetzung oft noch hinter den Ansprüchen zurück. So schätzten nur 29,3 Prozent der Hochschulleitungen den eigenen technischen Stand in der Lehre als hoch oder sehr hoch ein.

Berlin steht an der Spitze, wenn es um digitale Verwaltung geht

Klare Vorreiter gibt es nicht, wie ein Vergleich unter den Bundesländern zeigt. Berlin etwa steht mit Rheinland-Pfalz an der Spitze, wenn es um die digitale Verwaltung geht, ist bei Lehrveranstaltungen jedoch nur im Mittelfeld. Dort dominieren Länder wie Bayern und Niedersachsen, aber auch Brandenburg und Hamburg. Die wiederum liegen bei der Verwaltung zurück. Eine alle Bereiche umfassende Erfolgsstrategie scheint deutschlandweit noch nicht gefunden.

Dabei drängt die Zeit. Die Zahl der Studierenden steigt jährlich. Die Folge sind immer wieder überfüllte Massenveranstaltungen mit hunderten Teilnehmenden. Das bedeutet hunderte Prüfungen, die kontrolliert werden müssen. Auch dabei sollen die E-Klausuren helfen. Eine Auswertung der Freien Universität Berlin (FU) hat ergeben, dass Texte um bis zu ein Drittel schneller kontrolliert werden können, wenn die Klausur auf dem Computer geschrieben wurde. Der Hauptgrund: Dozierende müssen nicht mehr die Handschrift ihrer Prüflinge entziffern.

Mit Blick auf wachsende Studierendenzahlen werden auch komplett neue Lernkonzepte erprobt. 2013 startete an der FU in den Erziehungswissenschaften die erste fast vollständig digitale Vorlesung. Statt einmal wöchentlich dicht gedrängt im Hörsaal zu sitzen, rufen die Studierenden von zu Hause oder mobil Videoaufzeichnungen aus vorherigen Semestern ab und beantworten Onlinetests. Von der zusätzlichen Flexibilität sollen auch Berufstätige und Menschen mit Kindern profitieren. Mittlerweile gibt es acht FU-Veranstaltungen, die in weiten Teilen auf dem digitalen Selbststudium aufbauen.

Das Bundesministerium fördert Forschungsdatenbanken

Auch künstliche Intelligenz könnte demnächst dabei helfen, Lernprozesse zu unterstützen. Die KI soll dafür Ergebnisse aus Testprüfungen der Studierenden auswerten und aufschlüsseln, wo noch Stoff wiederholt werden muss. Was bislang in kleineren Kreisen durch individuelle Betreuung funktioniert hat, soll so automatisiert werden. Bis 2022 will ein Verbund mehrerer Universitäten – darunter auch die FU – dazu eine Anwendung entwickeln. Unklar ist, ob das für den KI-Einsatz nötige Sammeln großer Datenmengen auch von Studierenden akzeptiert wird. „Da kann schnell der Eindruck von Überwachung entstehen“, sagt Albert Geukes, der das Vorhaben an der FU mitbetreut. Man achte deshalb insbesondere darauf, dass die Anwendung im Einklang mit hiesigen Datenschutzrichtlinien ist.

In der Forschung ist die Digitalisierung der HIS-Studie zufolge schon weiter fortgeschritten als in der Lehre. Unter den befragten Hochschulen bewerteten 34,3 Prozent den eigenen Stand hier als hoch oder sehr hoch. Rund jede Fünfte nutzte Computersysteme, um Forschungsdaten zentral zu sammeln und aufzubereiten. Die Ergebnisse können so leichter für spätere wissenschaftliche Vorhaben wiederverwendet werden. Unterstützung kam dabei in den vergangenen Jahren auch vom Bund. Das Bildungsministerium förderte seit 2016 mehr als 30 Projekte zu Forschungsdatenbanken.

E-Klausuren statt Papier und Stift

An der Berliner HTW kommen die neuen Technologien gut an. „Jährlich probiert bei uns eine Hand voll neuer Dozenten die E-Klausuren aus“, sagt Sebastian Homer. „Nahezu alle werden Wiederholungstäter.“ Bei den Prüfungen wird der sogenannte Safe Exam Browser eingesetzt. Der sorgt dafür, dass Studierende während der Prüfungen nicht einfach irgendwelche Programme öffnen können, um zu schummeln. Über den Browser rufen die Computer Daten und Prüfungssysteme von einem Server im Rechenzentrum auf. Dort sind je nach Art der Klausur einzelne Profile gespeichert. So kann für Matheprüfungen ein Profil erstellt werden, über das Rechenprogramme zugänglich sind. Wenn in der Soziologie Statistiken ausgewertet werden sollen, kann ein Profil mit Programmen zur Datenverarbeitung angelegt werden. Alle anderen Funktionen bleiben derweil gesperrt.

Entwickelt wird der Browser an der ETH Zürich. Während die Computerklausuren an der HTW oft noch am Anfang stehen, hat sich in der Schweiz bereits eine ganze Philosophie um die E-Klausuren geformt. „Unser Ziel muss es sein, das Studium praxisnäher an den Anforderungen der Wirklichkeit zu orientieren“, sagt Thomas Piendl, an der ETH dafür verantwortlich, die Digitalisierung der Lehre voranzutreiben. Das gesamte Semester würden Studierende mit Computern arbeiten, um dann ihre Klausuren mit Stift und Papier zu schreiben. Von der Realität der Berufswelt könne das kaum weiter entfernt sein. Dabei seien gerade Prüfungen entscheidend dafür, was gelernt wird. Nicht ohne Grund gehört der Satz „ist das Thema klausurrelevant?“ zu den Standardfragen in den meisten Vorlesungen.

Die Argumentation Piendls: Besteht die Prüfung größtenteils aus Ankreuzfragen, beschränkt sich auch der Lernprozesse auf dieses Niveau. Stattdessen programmieren Informatiker an der ETH in ihren Prüfungen eigene Anwendungen und Biologen bestimmen Pflanzen in einem digitalen Herbarium. Und der nächste Schritt? „Irgendwann werden wir über Prüfungen mit VR-Brillen nachdenken müssen“, sagt der Schweizer.

Per VR-Brille in den digitalen Hörsaal

Wie die Nutzung virtueller Realität aussehen könnte, dazu leitet Valerie Varney an der RHTW Aachen eine Forschungsgruppe für digitale Lernwelten. Ihr Team arbeitet unter anderem an einem Programm für Sprachtraining. Viele Dozenten hätten damit zu kämpfen, dass sie ihre Stimmen wegen falscher Techniken in Vorlesungen kaputtreden. Zwar gebe es professionelle Fortbildungen, die fänden jedoch meist in kleinen Räumlichkeiten vor maximal zehn Personen statt – eher unrealistische Bedingungen.

Das in Aachen entwickelte Programm versetzt den Nutzer stattdessen per VR-Brille in einen digitalen Hörsaal. Dort kann die Stimmtechnik unter Anleitung eines (realen) Trainers erprobt werden, während der Computer den korrekten Hall für den Raum simuliert. Die Software zeigt dann bis auf die Sitzreihe genau an, bis wohin die Schallwellen des Sprechers hörbar sind. „Theoretisch könnte man darauf schnell eine mündliche Prüfung unter praxisnahen Bedingungen aufbauen“, sagt Varney. Davon könnten beispielsweise Lehramtsstudierende profitieren. Die Anwendungen sind oft schon da. Herausforderung sei es, Professoren zu finden, die mit der Technik umgehen können, sagt Varney.

Wie kompetent sind Studierende im Umgang mit Daten?

Ähnlich sieht das auch Digitalisierungsexperte Geukes von der FU. Er beschreibt das Dilemma, in das die Universitäten durch die neuen Technologien geraten. Einerseits sei es ein großer Aufwand, Lehrpersonal in der Masse mit den neuen Möglichkeiten vertraut zu machen. Gleichzeitig hätten gerade Topkräfte hohe Standards, wenn es um die digitale Ausstattung geht. Universitäten bräuchten innovative Infrastrukturen „zur Unterstützung der Suche nach den besten Köpfen“, sagt Geuken. Verliert eine Hochschule bei der Technik den Anschluss, könnten sich Spitzenwissenschaftler für einen anderen Arbeitgeber entscheiden.

Für eine Lösung des Problems hofft er auch auf die eigenen Studierenden. Kommen diese bereits während Vorlesungen mit digitalen Methoden in Kontakt und gehen später in die Wissenschaft, sind sie bereits mit den Anwendungen vertraut.

Mittlerweile gibt es auch verschiedenste Ansätze, um zu messen, wie kompetent die Studierenden im Umgang mit Daten sind. So stellte das Hochschulforum Digitalisierung nach Auswertung zahlreicher Verfahren jetzt einen Kompetenzrahmen zur sogenannten Data-Literacy vor. Ein zentraler Punkt: Den Umgang mit Daten zu lernen, bedeutet nicht nur, Statistiken auswerten zu können. Studierende müssten sich auch der ethischen Probleme bewusst werden, die ein Zugriff auf endlos scheinende Datenmengen bedeuten.

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