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Proteste gegen den Milo Yiannopoulos' Auftritt in Berkeley im September 2017.

© Imago

Diskussion an der FU Berlin: Wie weit darf Redefreiheit auf dem Campus gehen?

Meinungs- und Redefreiheit ist wieder umkämpft an Universitäten. R. Jay Wallace aus Berkeley diskutierte mit Paul Nolte von der FU Berlin über das Thema.

Milo Yiannopoulos war kaum zu hören, als er im September 2017 eine Rede auf dem Campus der University of California in Berkeley hielt. Hunderte Studierende standen hinter den eigens aufgebauten Barrikaden und protestierten lautstark, während der Vorsprecher der Alt-Right, bekannt für seine Hassreden gegen Migranten, Behinderte, Frauen und die LGBTI-Community, sich an seine kleine Gruppe von Fans richtete. Zahlreiche Polizisten bewachten die Veranstaltung, an der Studierende nur teilnehmen konnten, nachdem sie durch einen Metalldetektor gelaufen waren. Rund 800.000 Dollar gab die Universität für Sicherheitsmaßnahmen aus. Yiannopoulos‘ Auftritt dauerte nicht mal zwanzig Minuten.

Warum Berkeley einen solchen Aufwand betrieb, um Yiannopoulos auf dem Campus sprechen zu lassen, erläutert R. Jay Wallace am Dienstagabend an der Freien Universität Berlin. Wallace ist Professor für Philosophie in Berkeley. Gemeinsam mit Paul Nolte, Professor für Geschichte an der FU, spricht er über Meinungsfreiheit auf dem Campus. Die Veranstaltung findet im Rahmen der Reihe „Veritas, lustitia, Libertas“, die die FU zu ihrem 70. Geburtstag veranstaltet.

In den USA ist Meinungsfreiheit besonders geschützt

Für beide Universitäten spielt die freie Meinungsäußerung eine bedeutende Rolle in ihrer Geschichte. Die Freie Universität wurde 1948 als Reaktion auf politische Einflussnahme der Sowjetunion auf die Humboldt-Universität gegründet. Berkeley war 1964 Ausgangspunkt der Free Speech Bewegung, als Studierende für ihr Recht auf politische Meinungs- und Redefreiheit auf dem Campus protestierten. Heute ist das Thema Meinungsfreiheit an der Uni wieder aktuell. Doch statt von links wird es von konservativen bis rechten Gruppen aufgegriffen, wie Wallace erläutert.     

In den USA ist die Meinungsfreiheit mit dem ersten Zusatzartikel zur Verfassung besonders geschützt.  Auch sogenannte Hate Speech, die Menschen angreift und abwertet, falle unter diesen Schutz, erklärt Wallace. Lädt eine registrierte Studentenorganisation eine Person ein, auf dem Campus zu reden, habe Berkeley als öffentliche Universität kaum Spielraum, das zu verhindern. So auch bei Yiannopoulos, den die Berkeley College Republicans bereits im Februar 2017 zum ersten Mal einluden. Damals kam es zu teils gewalttätigen Protesten, aus Sicherheitsgründen sagte die Universität die Veranstaltung ab. Donald Trump drohte daraufhin per Twitter, der Uni die Gelder zu kürzen, was rechtlich allerdings nur schwer umzusetzen wäre. Auch konservative und rechte Studentengruppen reagierten empört und fühlten sich in ihrer Meinungsfreiheit beschränkt. Besonders problematisch für die Uni Berkeley und ihr Selbstverständnis als Geburtsort der Free Speech und der Grund, warum sie im September 2017 alles daran setzte, Yiannopoulos' Auftritt stattfinden zu lassen. Eine eigens eingerichtete Kommission für freie Meinungsäußerung, der auch Wallace angehörte, empfahl, Hate Speech nicht strikt zu verbieten versuchen, sondern stattdessen sanftere Methoden einzusetzen. Beispielsweise sollen Studentengruppen begründen können, was der Mehrwehrt des Auftrittes einer Person auf dem Campus ist.

Die deutsche Uni, ein "sauberer Ort"?

Während in den USA der Kampf um Meinungs- und Redefreiheit im vollen Gange ist, sei es an deutschen Universitäten verhältnismäßig ruhig geblieben, attestiert Paul Nolte in seinem Vortrag. Das liege an der fortgeschrittenen politischen Polarisierung in den USA, aber auch an einer zunehmenden Entpolitisierung deutscher Universitäten. Anders als in den USA fände das Leben der Studierenden überwiegend außerhalb des Campus statt, mein Nolte. So auch soziales und politisches Engagement. Die neoliberale Uni mit ihren Exzellenzinitiativen sei zunehmend ein „sauberer Ort“ geworden, rein akademisch und auf die Forschung konzentriert. Man könne die US-Universitäten um das politische Klima beneiden, das dort herrsche, sagt Nolte.

Doch ganz inaktiv sind deutsche Studierende nicht. Immer wieder kommt es auch hierzulande zu Protesten gegen Vorträge oder Professuren. Als das Dahlem Humanities Center, dem Paul Nolte vorsteht, im Juni die US-Anthropologin Susan Slyomovics einlud, einen Vortrag zu halten, kam es zu Kritik von jüdischen Studentengruppen. Slyomovics ist eine scharfe Kritikerin Israels und unterstützt die als antisemitisch kritisierte BDS-Kampagne, die zum wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Boykott Israels aufruft. Nolte entschied sich nach reiflicher Überlegung dafür, Slyomovics sprechen zu lassen. Im Namen der Meinungs- und Forschungsfreiheit, wie er sagt. Wie weit diese Freiheit geht und wann es nötig ist, freie Rede zu beschränken, um diskriminierte Gruppen zu schützen und Hass keine Plattform zu geben, wird Universitäten in Zeiten zunehmender politischer Polarisierung wohl immer öfter beschäftigen.

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