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Eine Jugendfeier der Humanistischen Verbands im Friedrichstadtpalast. Der Verband fordert mehr nicht-christliche Seelsorge in vielen Lebenslagen.

© imago stock&people

Diskussion auf dem Kirchentag: Gläserne Wände für Nicht-Gläubige

Werden nicht-religiöse Menschen in Deutschland diskriminiert? Ja, sagt der Humanistische Verband - und verweist auf die Staatsförderung der christlichen Kirchen in der Bildung. Andere widersprechen. Eine Diskussion auf dem Kirchentag.

„Höre des Herrn Wort“, so steht es über der Eingangstür zur Sophienkirche in Berlin-Mitte. In der Reihe „Streitzeit“ des Kirchentages wurde an diesem heiligen Ort nun auch das Wort eines dezidiert atheistischen Verbandes gehört. Der Humanistische Verband Deutschlands beklagt in seiner Schrift „Gläserne Wände“ die Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland. „Menschen, für die Religion keine Rolle spielt, sind nicht nichts“, sagte auf dem Podium Vorstand Michael Bauer.

Neben christlicher Seelsorge müsse in Krisensituationen, in Krankenhäusern oder Haftanstalten deshalb auch humanistische Seelsorge angeboten werden. In die Schulzimmer staatlicher Lehranstalten gehörten entweder gar keine Kreuze – die es trotz des „Kruzifix-Beschlusses“ des Bundesverfassungsgerichts von 1995 immer noch gibt – oder aber Symbole aller dort vertretenen Weltanschauungen. Das werde möglicherweise recht bunt, aber „entweder alle rein oder alle raus! Warum macht der Staat sich gemein mit nur einer Religion?“

Doch tut er das? „Diskriminierungen darf es nach geltendem Recht nicht geben“, betonte Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Sie verstoßen zunächst gegen Artikel 3 des Grundgesetzes: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden."

Das Grundgesetz schützt auch die Freiheit, keine Religion auszuüben

Das Grundrecht der Religionsfreiheit – Artikel 4 – schützt zudem auch die „negative“ Freiheit, keine Religion auszuüben. Die strikte Neutralität des säkularen Staates ist die notwendige Bedingung dafür, dass Menschen frei sind in der Frage, ob und was sie glauben. Weil dem Staat kein Urteil über religiöse Inhalte zukomme, hatte sich Papier in der erregten öffentlichen Debatte vor einigen Jahren auch klar gegen das Verbot der religiös motivierten Beschneidung von Jungen ausgesprochen.

Der Staat solle sich jedoch nicht nur der Wertung enthalten, sondern auch „alle Bekenntnisse gleichermaßen fördern“, damit sich die „religiöse Vitalität eines Volkes“ entfalten könne, führte Papier in seinem Vortrag aus. Zum Beispiel durch die Möglichkeit, Religionsunterricht anzubieten. „Allerdings können nur Religionsgemeinschaften einen solchen Anspruch geltend machen.“

In einigen Regionen gibt es nur konfessionelle Kitas

Staatliche Förderung genießen zudem in einigen Bereichen heute hauptsächlich die beiden christlichen Kirchen – obwohl der „Staatskirche“ schon mit der Weimarer Verfassung eine Absage erteilt wurde. Der Humanistische Verband moniert etwa, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Jahr 2014 rund 9,4 Millionen Euro für die Studienförderung des bischöflichen Cusanuswerks aufgewandt habe. Oder dass in einigen Regionen Eltern nur konfessionelle Kindertagesstätten und Patienten hauptsächlich Kliniken in kirchlicher Trägerschaft vorfinden – die etwa die Verordnung der „Pille danach“ verweigern. Nicht zuletzt moniert er aber die staatliche Förderung der Kirchen- und Katholikentage durch Kommunen, Länder und Bund mit Millionenbeiträgen.

Bauer kritisierte generell die zu große „Kirchenförmigkeit“ des deutschen Religionsverfassungsrechts. Historisch habe das vielleicht seine Berechtigung gehabt, „doch heute hält sie sich möglicherweise aus dem Wunsch heraus, zu retten, was noch zu retten ist“. Schließlich seien heute in Deutschland mindestens 25 Millionen Menschen nicht kirchlich und religiös gebunden.

„Für mich sind diese Menschen durchaus nicht nichts“, versicherte Reinhard Hempelmann, Leiter der in Berlin ansässigen Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Allerdings seien Menschen mit Distanz zur Religion auch keine homogene Gruppe. Dass der Humanistische Verband den Anspruch erhebe, für sie alle, also für „post-christliche Zeitgenossen“, Agnostiker und Atheisten zu sprechen, empfindet Hempelmann als „unangemessen vereinnahmend“. Angesichts der Tatsache, dass der Verband mit 25 000 Mitgliedern nur 0,1 Prozent der Nicht-Gläubigen vertrete, sei er heute „medial schon sehr präsent“.

"Atheismus" als Begriff hat kein gutes Image

Wie der Religionsmonitor 2013 der Bertelsmann Stiftung zeigte, hat der Begriff „Atheismus“ in der deutschen Bevölkerung trotz weit verbreiteter Kirchenferne kein gutes Image, ein Drittel der westdeutschen Bevölkerung empfindet ihn sogar als Bedrohung. Trotzdem ist es problematisch, den beliebteren, philosophiegeschichtlich und umgangssprachlich weiter gefassten Begriff „humanistisch“ exklusiv für den Atheismus oder für eine einzelne weltanschauliche Organisation zu reklamieren. Können und sollten nicht auch Christen, Buddhisten, Muslime oder Juden Humanisten sein? „Wir haben kein heiliges Buch, in dem dieses Wort drinsteht“, versicherte Bauer. Und er ergänzte: „So sind wir nicht, das brauchen wir nicht.“

Vom Verband organisierte „Seelsorge“ in schwierigen Lebenslagen brauchten hingegen auch Menschen ohne Bezug zu Gott. Auch Feiern anlässlich bestimmter Einschnitte im Lebenslauf wie etwa die Jugendfeier, eine „humanistische Jugendweihe“, bietet der Verband. Und er fordert, Feiertage wie den „Welthumanistentag“ am 21. Juni oder den „Evolution Day“ am 24. November analog zu kirchlichen Festen anzuerkennen.

Was die Evolutionstheorie betrifft, so ist zu hoffen, dass man einen eigenen Feiertag für sie nicht braucht. Guter naturwissenschaftlicher Unterricht sollte schließlich jeden Tag stattfinden. Sich auch über Religionen zu informieren, ist davon unbenommen: Richard Dawkins, der britische Evolutionsbiologe und Autor des Buches „Der Gotteswahn“, findet, „dass eine atheistische Weltanschauung keine Rechtfertigung ist, um die Bibel und andere heilige Bücher aus unserem Bildungswesen zu verbannen.“

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