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Junge Studierende sitzen im Hörsaal, vor sich Laptops und Schreibhefte.

© dpa

Diskussion um angepasste Studierende: Generation Y - die heimlichen Revolutionäre

Die Studierenden sind nicht brav, sondern ergebnisorientiert. So werden sie Bildung und Arbeit revolutionieren. Das prognostizieren der Jugendforscher Klaus Hurrelmann, der soeben mit Erik Albrecht ein Buch zum Thema "Generation Y" veröffentlicht hat.

Wir kennen sie als Pragmatiker, Sondierer und vorsichtige Taktierer. Die Finanz- und Wirtschaftskrise sitzt ihnen in den Kleidern, und deshalb agieren sie sehr vorsichtig und angepasst. Doch tatsächlich handelt es sich bei der jungen Generation, den heute 15 bis 30 Jahre alten Menschen, in den USA „Generation Y“ genannt, um Revolutionäre. Das mag auf den ersten Blick überraschen. Zwar haben die Shell Jugendstudien gezeigt, dass sie sehr leistungsorientiert sind und geschickt darin, sich gute Abschlüsse in Schule und Hochschule zu verschaffen. Sie stellen überall und jederzeit die Frage nach dem „Warum“. Aber revolutionär – das ja nun wohl nicht, zumal das politische Interesse dieser Ypsiloner nicht gerade groß ist.

Der Schein trügt, die heute 15- bis 30-Jährigen werden Deutschland stärker verändern als viele erwarten. Eine Kette von Krisen hat sie in ihrer Jugend geprägt: Der 11. September, der Beinahe-Zusammenbruch des Weltfinanzsystems nach der Lehmann-Pleite, Fukushima und unzählige Klimakatastrophen. Die Generation Y hat daraus zweierlei gelernt: Nichts ist mehr sicher. Und: Es geht immer irgendwie weiter. Der Eindruck, dass alle großen Krisen in den vergangenen zwei Jahrzehnten zumindest in Deutschland vergleichsweise glimpflich ausgegangen sind, gibt ihnen Zuversicht für die eigene Zukunft. Die Erkenntnis, dass die gesellschaftliche Ordnung nicht in Stein gemeißelt ist, macht sie zu Pragmatikern.

Die Generation Y glaubt an ewiges Lernen für immer neue Jobs

Wie wird die Welt aussehen, wenn die Ypsiloner mit ihrer heimlichen, stillen und leisen Revolution einmal Erfolg gehabt haben werden? Sie werden die Zukunft von Bildung und Ausbildung ebenso verändern wie die von Arbeit und Beruf, Familie und Erziehung, Politik und Partizipation, Freizeit und Medien.

Schauen wir uns als Beispiel Bildung und Arbeit an: Die Welt nach der heimlichen Revolution wird eine Welt sein, in der man nie auslernt. Die Generation Y glaubt nicht an den ewigen Job bis zur Rente. Sie glaubt an ewiges Lernen für immer neue Jobs. Starrer Frontalunterricht widerspricht ihrem gesamten Lebensentwurf. „Egotaktiker“, die sie sind, brauchen Optionen. Das Bildungssystem soll ihnen, die als Digital Natives gewohnt sind, Wissen jederzeit online abzurufen, die gleichen Freiheiten bieten wie andere Lebensbereiche.

Die Rolle des Lehrers verändert sich vom Pauker zum Trainer

Individualistisch wie die Generation Y erzogen ist, wird sie in Schule, Ausbildung und Hochschule durchsetzen, dass die Lehrkräfte persönlich auf sie eingehen. Individuelle Diagnosen des Lern- und Leistungsstandes und ebenso individuelle Angebote für die Förderung des Weiterkommens und die Lösung von Herausforderungen prägen schon heute das Bildungssystem. Das bedeutet für den Alltag des schulischen Unterrichts, dass Lehrer, Ausbilder und Dozenten viel größere Spielräume für Freiarbeit und Eigenarbeit einräumen als bisher. Ihre Rolle verändert sich vom Pauker zum Trainer, der bestimmte Aufgaben vorgibt, die die Generation Y in ihrem eigenen Rhythmus, mit selbstgewählten Methoden und Medien bearbeiten und lösen kann.

Wer über die die Studenten von heute klagt, hat nicht erkannt, was sie wirklich wollen

Lehrer, Ausbilder und auch die Dozenten an den Hochschulen werden immer mehr zu Beratern und Supervisoren. Die Ergebnisse werden von den Studenten in Teamarbeit erstellt, der Dozent hat eine Rolle als Coach. Wie schwierig es ist, diese Rolle zu finden, hat jüngst die Dozentin Christiane Florin in ihrem Bildungsessay „Warum unsere Studenten so angepasst sind“ demonstriert (siehe auch Tagesspiegel vom 31. August). Sie beklagt die fehlende Streitkultur an Hochschulen und wiederholt die üblichen Klischees. Die Mehrheit der Studenten sei brav und pragmatisch, wünsche sich klare Ansagen statt Dialog auf Augenhöhe. Florin täuscht sich, sie hängt einer traditionellen Dozentenrolle an, hat nicht erkannt, was die Studierenden wirklich wollen: Ergebnisorientiert, spielerisch und mit regelmäßigen Rückmeldungen zum erreichten Stand selbstständig arbeiten.

Produktiv aus der Rolle von Lernempfängern heraustreten

Diese Form des Lernens und Arbeitens wird sich auch in Schule, beruflicher Ausbildung und Hochschule weiter durchsetzen. Wegen ihrer hohen Affinität gegenüber modernen Medien werden junge Leute alle Angebote gerne annehmen, die sie über das Internet erreichen und die sie in ihrer Gestalt selbst mit beeinflussen können. Schulen, Ausbildungszentren und Hochschulen werden sich insgesamt in Richtung von Agenturen weiter entwickeln, die gemeinsam von Lehrkräften, von außerhalb kommenden Fachleuten und den lernenden Jugendlichen selbst betrieben werden. Die Ypsiloner legen Wert darauf, produktiv sein zu können und aus der Passivität von Lernempfängern herauszutreten. Schon in der Schule wollen sie bestimmte Produkte und Dienstleistungen erstellen, die für ihre eigene Bildung nützlich sind, aber auch für die Nachbarschaft und das Gemeinwesen. Von ihnen selbst mitbetriebene Schülerfirmen sind hierfür ideal, die mit Betrieben und Einrichtungen außerhalb der Schule zusammenarbeiten.

Arbeit als Broterwerb – das Konzept ist für weite Teile der Generation von gestern. Sie sucht in ihrem Job Erfüllung, Selbstverwirklichung und auch so etwas wie den Sinn ihres Lebens. In keinem anderen Bereich sind die Ypsiloner so radikale Utopisten. Gerade hier ermöglichen ihnen ihr egotaktisches Spiel mit verschiedenen Optionen und ihr Hang zum Individualismus ihre Vorstellungen durchzusetzen. Und die sind für viele Unternehmen revolutionär: Abschied von Hierarchien, Umorganisation der Arbeitsabläufe zu einzelnen Projekten, Teamwork, flexible Arbeitszeiten, Mitarbeiterbeteiligung und die konstante Suche nach Antworten auf die Frage „Why?“.

Für einen Kapitalismus, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht

In der Arbeitswelt nach der heimlichen Revolution verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Die Generation Y liebt projektbezogenes Arbeiten. Die innere Logik von Projekten motiviert sie deutlich mehr als starre Büroarbeitszeiten. Gleichzeitig pochen die Ypsiloner darauf, dass Arbeitgeber auch auf ihre Bedürfnisse eingehen. Sie befürworten den Kapitalismus, jedoch einen solchen, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Sie möchten Arbeit und Leben miteinander während des gesamten Lebenslaufs verbinden.

Der für ihre Großeltern und Eltern noch gültige Drei-Phasen-Rhythmus der Lebensgestaltung passt für sie nicht mehr: 25 bis 30 Jahre Ausbildung zur Vorbereitung auf einen Beruf, der dann 25 bis 30 Jahre ausgeübt wird, um die verbleibenden 25 bis 30 Jahre des Lebens im Ruhestand zu verbringen. Zur sinnvollen Lebensgestaltung streben sie ein Miteinander von Leben, Lernen, Arbeiten und Familie in jeder Lebensphase an und nicht ein Nacheinander.

Elternzeit nehmen oder an die Uni zurückkehren - statt lückenlosen Karrieren

Bei aller Harmonie und Konfliktscheue verändert die Generation Y die Gesellschaft deutlich grundlegender, als es auf den ersten Blick scheint. Sie agiert als heimliche Revolutionäre. Sie marschiert nicht auf der Straße gegen den Lebensentwurf ihrer Eltern, Lehrer und Professoren wie die 68er. Auch der offene Kampf gegen Industrielobbys wie die Anti-Atomkraft-Bewegung der Babyboomer ist nicht ihre Sache. Die Generation Y setzt ihre Veränderungen anders durch. Sie unterläuft auf eine unauffällige Art scheinbar ewige Traditionen, mogelt sich sanft um vermeintliche Sachzwänge herum und hebelt still und leise Gesetzmäßigkeiten aus, die der Gesellschaft bisher unveränderbar erschienen.

In einer Zeit von Globalisierung, Bankenrettung und Digitalisierung, in der politische Entscheidungen immer wieder als alternativlos dargestellt werden, sind die Ypsiloner zu flexiblen Lebensplanern geworden. Fordert die Wirtschaft mit Verweis auf den harten internationalen Wettbewerb mehr Einsatz im Beruf, bestehen sie im Gegenzug auf flexibleren Arbeitszeiten und Heimarbeit. Statt lückenloser Lebensläufe für eine Karriere mit vermeintlich sicheren Arbeitsplätzen nimmt die Generation Y Elternzeit oder kehrt an Schulen oder Universitäten zurück, um sich weiterzubilden. Die Politik führt mehr Eigenvorsorge für das Alter ein, aber die Ypsiloner beharren auf staatlichen Garantien für ihre Einlagen.

Ein offener Kampf entspricht nicht ihrem Naturell

Ja, die Generation Y ist revolutionär. Ihre evolutionäre Revolution ist „heimlich“, weil die Generation Y weder öffentlich ein Programm verkündet noch diejenigen mit Einfluss in der Gesellschaft anderweitig von ihren Plänen in Kenntnis gesetzt hat. Die Ypsiloner nehmen Veränderungen so vor, wie es unter den obwaltenden Bedingungen nun einmal möglich ist. Ein offener Kampf entspricht nicht ihrem Naturell. Intuitiv spüren sie, dass sie ihn niemals gewinnen könnten. Ihre Position im Machtgefüge der Generationen ist alles andere als günstig. Demografisch und ökonomisch stehen sie auf ziemlich schwachem Posten. Sie greifen deshalb zu den Strategien, die wirklich etwas bringen.

Klaus Hurrelmann ist Jugendforscher und Professor an der Hertie School of Governance. Gemeinsam mit dem Journalisten Erik Albert hat er soeben ein Buch zum Thema veröffentlicht: Die heimlichen Revolutionäre. Wie die Generation Y die Welt verändert (Beltz-Verlag, 18,95 Euro). Am 10. September liest Hurrelmann in der Hertie School (Friedrichstraße 180, Berlin-Mitte) ab 18.30 Uhr aus dem Buch (Anmeldung: events@hertie-school.org).

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