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An einigen Orten in Deutschland sind die Populationen von Insekten, Spinnen und Tausendfüßern so stark zurückgegangen, dass sie nur noch ein Schatten ihrer selbst sind, messen Forscher.

© Julian Stratenschulte/dpa

Drastische Verluste binnen zehn Jahren: Bis zu 67 Prozent der Insekten verschwunden

Auf den Wiesen und in den Wäldern Deutschlands schrumpft die Zahl der Insekten. Das messen Münchner Forscher. Und stellen einen Bezug zur Landwirtschaft her.

Es ist stiller geworden in vielen Naturlandschaften Deutschlands: Auf Wiesen und in Wäldern summen und brummen deutlich weniger Insekten als noch vor einem Jahrzehnt. Zu diesem Ergebnis kommen Untersuchungen eines Forschungsteams um Sebastian Seibold vom Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie der Technischen Universität München (TUM), das in drei Regionen des Landes Insekten, aber auch Spinnentiere und Tausendfüßer in Wäldern und Graslandschaften zählte. Zumindest auf den Wiesen hänge der Schwund vermutlich mit der Landwirtschaft zusammen, schreiben die Forscher im Fachblatt „Nature“.

Die Studie liefere den stärksten bisher verfügbaren Beleg für den Rückgang der Insekten, kommentiert William Kunin von der University of Leeds bei „Nature“. „Das Urteil ist klar. Mindestens in Deutschland ist der Insektenschwund real – und so schlimm wie befürchtet.“

Die Forscher hatten von 2008 bis 2017 regelmäßig Insekten und andere Gliederfüßer an insgesamt 290 Standorten gesammelt: in der brandenburgischen Schorfheide, auf der Schwäbischen Alb in Süddeutschland und im Hainich – einem bewaldeten Höhenrücken in Thüringen. Zwei Mal jährlich untersuchten sie 150 Standorte in Graslandschaften. Von den 140 Waldstandorten wurden in 30 jährlich Insektenfallen aufgestellt, in den übrigen nur in drei Jahren des Jahrzehnts.

Auf den Wiesen Rückgang um 67 Prozent, in den Wäldern um 40 Prozent

Insgesamt analysierten die Wissenschaftler Daten von mehr als einer Million Insekten und anderen Krabbeltieren, die zu mehr als 2700 Arten gehörten. Sowohl auf Wiesen als auch in Wäldern ging die Artenzahl im Studienzeitraum um etwa ein Drittel zurück. Auch deren Gesamtmasse nahm ab, besonders ausgeprägt in den Graslandschaften – um 67 Prozent. In den Wäldern schrumpfte sie um etwa 40 Prozent.

„Dass solch ein Rückgang über nur ein Jahrzehnt festgestellt werden kann, haben wir nicht erwartet“, sagt Wolfgang Weisser von der TUM, einer der Initiatoren des Projekts. „Das ist erschreckend, passt aber in das Bild, das immer mehr Studien zeichnen.“ Zuletzt hatten Analysen ehrenamtlicher Insektenkundler des Entomologischen Vereins Krefeld auf einen massiven Insektenschwund in Teilen Deutschlands schließen lassen. Den 2017 im Fachblatt „PLOS ONE“ vorgestellten Daten zufolge nahm die Gesamtmasse an Fluginsekten dort von 1989 bis 2016 um mehr als 75 Prozent ab.

Auf der Suche nach den Ursachen bezog das TUM-Team die Landnutzung an einzelnen Studienstandorten ein. Auf einigen Wiesen weideten nur einige Tage im Jahr Schafe, andere Flächen wurden stark bewirtschaftet, gedüngt und mehrmals jährlich gemäht oder dienten etwa ein Drittel des Jahres Rindern als Weide. Insgesamt stellte das Team keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der regionalen Landnutzungsintensität fest.

Allerdings war der Insektenschwund auf solchen Grasflächen besonders ausgeprägt, die von landwirtschaftlich genutzten Ackerflächen umgeben waren. Dort schrumpfte vor allem die Biomasse von Arten, die keine großen Distanzen zurücklegen und womöglich schlechter ausweichen können.

Koordination des Naturschutzes gefordert

Die Forscher fordern gemeinsame Anstrengungen aller Akteure. „Aktuelle Initiativen gegen den Insektenrückgang kümmern sich viel zu sehr um die Bewirtschaftung einzelner Flächen und agieren weitestgehend unabhängig voneinander“, sagt Seibold. „Um den Rückgang aufzuhalten, benötigen wir ausgehend von unseren Ergebnissen eine stärkere Abstimmung und Koordination auf regionaler und nationaler Ebene.“

Bundesumweltministerin Svenja Schulze zeigte sich alarmiert: Die Studie führe ein weiteres Mal vor Augen, wie ernst die Lage sei und dass die Art und Weise der landwirtschaftlichen Nutzung maßgeblich darüber mitentscheide, ob Insekten in der Umgebung überleben können, sagte die SPD-Politikerin. Die Bundesregierung arbeite an einer zügigen Umsetzung ihres Aktionsprogramms Insektenschutz.

Der Deutsche Bauernverband sieht sich in der Verantwortung. „Die Studie zeigt uns, dass die Landwirtschaft Teil der Lösung sein muss“, sagte Verbandspräsident Joachim Rukwied. Man setze auf „kooperativen Naturschutz“ und habe in diesem Jahr bundesweit Blühstreifen als Lebensraum für Insekten in einer Länge von über 230.000 Kilometern angelegt. (Anja Garms, dpa)

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