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© dpa-Zentralbild

Dresden: Trugbilder des imaginären Orients

Diskussion um Dresdens „Türckische Cammer“

Als der sächsische Kurfürst und polnische König August, genannt der Starke, 1730 zu einer großen Heerschau seiner neuformierten Truppen rief, ließ er ein Zeltlager von 1000 Zelten errichten. 300 davon waren türkische Zelte. Eine Janitscharentruppe trat auf, deren Uniformen der Regent höchstselbst entworfen hatte. Bei Hofe waren Bedienstete in osmanischen Trachten gang und gäbe, und der Fürst liebte es, als Sultan verkleidet aufzutreten.

Nun ist nach 70-jähriger Unterbrechung wie berichtet die „Türckische Cammer“ im Dresdner Residenzschloss wieder zu besichtigen, die seit dem Krieg nicht mehr zu sehen gewesene Sammlung osmanischer Kostbarkeiten des sächsischen Hofes. Handelt es sich bei der seit 1674 so bezeichneten Abteilung der Rüstkammer um ein frühes Beispiel des deutsch-türkischen Kulturaustauschs? Jedenfalls lassen sich an der „Türckischen Cammer“ historische Formen eines solchen Dialogs studieren.

Die Faszination für die Erzeugnisse eines Landes, das doch stets als Bedrohung des christlichen Abendlandes gefürchtet und im Krieg sehr real erfahren wurde, stellt ein Problem dar, auf das die Wissenschaft keine eindeutigen Antworten weiß. Ulrike al-Khamis arbeitet seit Jahren als Ko-Direktorin des Sharjah Museum of Islamic Civilization in den Arabischen Emiraten. Die Wertschätzung für fremde Objekte, betonte sie unlängst auf einer hochkarätig besetzten Dresdner Tagung zur Eröffnung der „Türckischen Cammer“, muss durchaus nicht mit Sympathie für das Herkunftsland verbunden sein: „Dass ich einen Perserteppich besitze, heißt nicht, dass ich Iraner mag.“ Die Imitation osmanischer Trachten und Aufzüge insbesondere am sächsischen Hof sei also keineswegs als Bewunderung für das Sultanat aufzufassen. In dieselbe Richtung argumentiert Avinoam Shalem, der in München und Florenz Kunstgeschichte lehrt und sich mit der bildlichen Darstellung Mohammeds beschäftigt. Dinge würden gesammelt, „um eine nach der Vorstellung des Sammlers vorgefasste Identität zu bestätigen“.

Strittig ist, ob das Osmanische Reich in Sachsen als Vorbild hinsichtlich der absolutistischen Machtausübung des Sultans galt. Europäische Regenten mussten sich oft genug mit selbstbewusstem Lokaladel oder dem im Orient unbekannten Bürgertum plagen. Dieser Auffassung von Holger Schuckelt, dem unermüdlichen Konservator der Türkenkammer, widerspricht Claus-Peter Haase: Das osmanische Regierungssystem sei im Westen ausnahmslos negativ beurteilt worden. Dem früheren Direktor des Berliner Museums für Islamische Kunst zufolge galt die wechselseitige Neugier zwischen West und Ost zuallererst den Objekten höchster Handwerkskunst, insbesondere den verzierten Waffen.

Auf osmanischer Seite gab es kurzzeitig ein dem europäischen vergleichbares ästhetisches Interesse, das nach Berichten des türkischen Botschafters von 1721 am Hofe Ahmeds III. sprunghaft anstieg. Man bestellte regelrechte Musterbücher, und in der Architektur tauchen Motive aus Barock und Rokoko auf. Der west-östliche Austausch in seiner historischen Form ist jedoch asymmetrisch. „Formen eines imaginären Orients werden niemals ein ernsthafter Teil der visuellen Kultur Europas“, betont Turgut Saner von der Technischen Universität Istanbul: „Europäische Formen im Osmanischen Reich hingegen gehen über eine bloße Mode hinaus.“

Deutsche Museen, die Wissen oder doch zumindest Anschauung von fremden Kulturen ermöglichten, entwickelten sich höchst unterschiedlich. „In Dresden ist Weltkultur als Hofkultur sesshaft geworden“, sagt Peter-Klaus Schuster, Ex-Generaldirektor der Berliner Staatlichen Museen. In Berlin hingegen habe sich aus dem Alten Museum als dem ,Monument der Rückkehr der nationalen Kunstwerke’, die Napoleon 1806 geraubt hatte, das Universalmuseum entwickelt – die Sammlung von Artefakten aus der ganzen Welt unter der Prämisse der Gleichrangigkeit der Kulturen. Bernhard Schulz

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