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Medizinische Mitarbeiter in Schutzanzügen stehen mit einem Patienten in einem Notfallzelt in Brescia.

© Claudio Furlan/LaPresse via ZUMA Press/dpa

Update

Drohen in Deutschland italienische Verhältnisse?: Coronavirus lässt in Italien Ärzte verzweifeln – Entscheidungen wie in Kriegszeiten

Die intensivmedizinische Versorgung in Norditalien steht vor dem Kollaps. Alte können nicht mehr behandelt werden. Ärzte schildern schreckliche Zustände.

Wer sich in Deutschland fragt, wie schlimm die Coronavirus-Krise noch werden könnte, muss nicht weit blicken, um eine Antwort zu finden: Es genügt, sich die Situation in Italien anzusehen.

Dort spitzt sich die Situation seit Tagen zu. Von fehlenden Plätzen auf den Intensivstationen ist zu hören, von verzweifelten Ärzten, von Entscheidungen über Leben und Tod, wie sie eigentlich nur im Kriegsfall nötig scheinen.

Aufsehen erregte kürzlich eine Grafik der italienischen Gimbe-Stiftung, die die Todesrate nach Covid-19-Erkrankungen in der Lombardei mit dem Rest Italiens vergleicht. Die Lombardei ist das Zentrum des Coronavirus-Ausbruchs in Italien.

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In der Lombardei waren Stand Dienstag 5731 Menschen an Covid-19 erkrankt. In der Region beträgt die Letalität den offiziellen Zahlen zufolge 8,1 Prozent. Im Rest Italiens liegt sie bei 3,7 Prozent.

Ähnlich sah es auch noch Donnerstagfrüh aus: In der Lombardei sind aktuell nachweislich 7280 Menschen erkrankt, 617 Menschen starben in der Region an Covid-19. Im gesamten Land sind 12.462 Menschen an Covid-19 erkrankt und 827 Menschen gestorben.

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Einer der Gründe für Zahlendifferenz bei der Todesrate: In der Lombardei werden die Betten für die intensivmedizinische Betreuung knapp. 560 Menschen befinden sich Stand Donnerstag in der Region auf Intensivstationen. Platz ist aktuell höchstens für 610 Menschen. In einer Region, in der zehn Millionen Menschen leben.

Coronavirus-Epidemie in Italien: „Aktuell keine Plätze auf den Intensivstationen mehr“

Dieser Fakt war es auch, auf den der Bürgermeister der norditalienischen Stadt Bergamo, Giorgio Gori, anspielte, als er am Dienstag in einem dramatischen Tweet schrieb: “In der Realität gibt es aktuell keine Plätze auf den Intensivstationen mehr (es werden unter großer Mühe gerade neue geschaffen). Patienten, die nicht behandelt werden können, lässt man sterben.

Medizinisches Personal in Schutzanzügen trägt einen Sarg mit dem Leichnam einer 87-jährigen Frau aus einem Hotel, nachdem sie in ihrem Zimmer verstorben ist. Die Frau, die zu einer Gruppe älterer Touristen aus der Region Lombardei gehörte, wurde positiv auf das Coronavirus getestet. Das Hotel wurde unter Quarantäne gestellt.
Medizinisches Personal in Schutzanzügen trägt einen Sarg mit dem Leichnam einer 87-jährigen Frau aus einem Hotel, nachdem sie in ihrem Zimmer verstorben ist. Die Frau, die zu einer Gruppe älterer Touristen aus der Region Lombardei gehörte, wurde positiv auf das Coronavirus getestet. Das Hotel wurde unter Quarantäne gestellt.

© AP/dpa

Von vielen Seiten sind aktuell Berichte zu hören, die Italien fast wie ein Kriegsgebiet erscheinen lassen, in dem nicht mehr jeder behandelt werden kann, sondern Entscheidungen über Leben und Tod anhand der verfügbaren medizinischen Mittel getroffen werden müssen.

"Ja, wir müssen Coronavirus-Erkrankte wegschicken"

So sagte der Narkosearzt Christian Salaroli aus Bergamo gegenüber dem „Corriere de la Sera“: „Wenn jemand zwischen 80 und 95 Jahre alt ist und große Atemprobleme hat, führen wir in der Regel die Behandlung nicht fort. Das gleiche gilt, wenn eine mit dem Virus infizierte Person eine Insuffizienz in drei oder mehr lebenswichtigen Organen aufweist. Diese Personen haben statistisch gesehen keine Chancen, das kritische Stadium der Infektion zu überleben. Diese Personen werden bereits als tot angesehen.“

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Auf die Frage, ob die Ärzte diese Patienten wegschickten, antwortet Salaroli: „Das ist ein schrecklicher Satz, aber die Antwort lautet ja. Wir haben nicht die Möglichkeiten das zu versuchen, was man gewöhnlich ein Wunder nennt. Auch das ist die traurige Realität.“

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Roberto Cosentini, Chefarzt der Notfallmedizin im Krankenhaus "Papst Johannes XXIII." in Bergamo, sagte in einem Interview: "Die Lombardei ist inzwischen das Epizentrum eines Erdbebens, das nicht enden will. Jeden Nachmittag trifft uns eine neue Welle, die Krankenhäuser platzen aus allen Nähten."

Den Erdbebenvergleich erklärt Cosentini so: "Inzwischen erreicht das Fieber nachmittags den Höhepunkt und die Leute kommen schon mit schwerer Lungenentzündung, die Intensivtherapie und Beatmung braucht. Täglich zwischen 16 und 18 Uhr erreicht uns eine massive Welle von Notfällen. So etwas kennt man nur nach Erdbeben, aber wir sind damit in der dritten Woche und es ist kein Ende abzusehen."

"Wir halten unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr lange durch"

Cosentini zufolge ist die Zeit der leichten Infekte vorbei, auch die der Alten mit Vorerkrankungen. Es kommen jetzt auch viele junge Menschen.

"Die ersten, die das Virus befiel, waren alte Menschen mit etlichen Krankheiten. Jetzt greift es auch die Jungen und Gesündesten an, die die es am längsten zu Hause ausgehalten und sich mit den bekannten Arzneien zu kurieren versucht haben. Wir haben es nicht mehr mit leichter Grippe zu tun, wir sind bei schwersten Lungenentzündungen angelangt."

Das Problem für die intensivmedizinische Betreuung: "Bei einer normalen Lungenentzündung ist man nach drei bis vier Tagen fieberfrei. Mit Covid-19 sind wir im Schnitt bei acht bis zehn Tagen. Intensivbetten sind dreimal so lange belegt - eine Situation, die es noch nie gab."

Sein dramatischer Appell: "Wenn wir nicht bald neue Betten schaffen, mehr Krankenpflegepersonal und Ärzte, halten wir unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr lange durch."

So undenkbar wie solch eine Situation in Deutschland auf den Blick erscheint ist sie aber nicht, sagt der Chef-Virologe der Berliner Charité Christian Drosten. Er will "sehr bald" den Schutz, die Testung und die bevorzugte Krankenhausbehandlung von besonders "gefährdeten Gruppen" fokussieren. Damit meint er Ältere und Grunderkrankte. Drosten hatte erst zu Wochenbeginn gesagt, dass er damit rechne, dass die Welle in den warmen Monaten nicht wie ursprünglich erwartet abebben, sondern "durchlaufen" werde. 

Ist Covid-19 die Todesursache? „Ich will die Krankenakten sehen“

Während die Mediziner im Alltag also mit einer fast apokalyptischen Situation zu tun haben, tobt unter italienischen Experten auch eine Debatte über die Statistiken zu den Todeszahlen im Zuge der Coronakrise. Der bekannte Virologe Roberto Burioni bezweifelt die Aussagekraft der Statistik. Er schreibt auf Twitter: “Die Sterblichkeit in der Lombardei ist viel mehr als doppelt so hoch wie in anderen Regionen, wenn man 'unter anderem wegen des Coronavirus und nicht nur wegen des Coronavirus' stirbt. Bedeutet das, dass die Lombarden viel kränker sind als die anderen. Für mich macht das keinen Sinn, tut mir leid. Ich will die Krankenakten sehen.”

[Olaf Scholz über Anti-Coronavirus-Maßnahmen: „Es geht um Leben und Tod für uns alle“]

Burioni kritisiert schon länger, dass in die Statistik auch Fälle einfließen, bei denen die Todesursache nicht eindeutig das Coronavirus ist, sondern auch solche, bei denen mehrere potenziell tödliche Erkrankungen vorliegen. Die Zählweise, so Burioni, treibe die Fallzahlen künstlich in die Höhe.

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Der Hintergrund: In Italien sind europaweit bisher weitaus am meisten Personen auf das Coronavirus getestet worden – und seit dem Auftreten der ersten Covid-19-Erkrankung am 20. Februar werden auch post-mortem-Tests durchgeführt.

Eine Analyse der ersten 104 Coronavirus-Todesfälle in Italien hat ergeben, dass mehr als zwei Drittel der untersuchten Verstorbenen an mindestens zwei mehr oder weniger lebensbedrohlichen Vorerkrankungen gelitten haben.

Etliche von ihnen hätten auch ohne Infektion durch das Virus nicht mehr lange gelebt – oder sie hätten die Virus-Infektion vermutlich überlebt, wenn sie nicht schon schwer erkrankt und ihr Immunsystem geschwächt gewesen wäre.

Deutschland zählt bei den Corona-Toten anders

Auch diese Todesfälle werden in der italienischen Fallstatistik mitgezählt. In anderen Ländern wären sie schon gar nicht auf das Coronavirus getestet worden. 

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Die besondere Zählung in Italien ist auch der Grund, warum die Letalität von Covid-19 soviel höher ist als zum Beispiel in Deutschland. Allerdings: In ganz Italien wird gleich gezählt. Insofern ist der Vergleich des Sterberaten der Lombardei und dem Rest des Landes durchaus sinnvoll. 

Italien verschärft Corona-Maßnahmen

Medizinisches Personal arbeitet in einem Notfallzelt in der Stadt Brescia.
Medizinisches Personal arbeitet in einem Notfallzelt in der Stadt Brescia.

© Claudio Furlan/LaPresse via ZUMA Press/dpa

Zur Eindämmung der Corona-Pandemie hat Italien seine Sperrmaßnahmen erneut deutlich verschärft. Seit Donnerstagmorgen bleiben die meisten Geschäfte im ganzen Land geschlossen. Es gibt nur wenige Ausnahmen, so dürfen Lebensmittelläden, Apotheken, Tankstellen und einige andere Geschäfte weiter öffnen. Auch Bars und Restaurants müssen vorerst ganz dichtmachen. Schon vorher galten für die Lokale eingeschränkte Öffnungszeiten von 6 bis 18 Uhr. Ziel ist es, dass die 60 Millionen Italiener so weit wie möglich zu Hause bleiben, damit die Übertragung des Virus von Mensch zu Mensch möglichst verhindert wird. (Mitarbeit: Andrea Dernbach)

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