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Himmlisches Karussell. Ohne die Dunkle Materie und ihre Gravitationskraft würden Galaxien auseinanderfliegen.

© picture alliance / dpa

Dunkle Materie: Versteckspiel im Kosmos

Das Weltall besteht vermutlich zu großen Teilen aus Dunkler Materie. Die Suche danach liefert jedoch verwirrende Ergebnisse.

Von Rainer Kayser, dpa

Langsam wird es eng: 90 Tage lang hat der „Large Underground Xenon“-Detektor (Lux) nach Teilchen der Dunklen Materie gesucht. Und nichts gefunden. Einen großen Teil der bislang für möglich gehaltenen Erklärungen für die mysteriöse Substanz müsse man daher verwerfen, sagt der an dem Lux-Experiment beteiligte Physiker Rick Gaitskell: „Tausende von Modellen der Elementarteilchenphysik landen damit auf dem Müllhaufen.“ Und die Lux-Forscher wollen noch weiteren Kandidaten für die Dunkle Materie an den Kragen. Noch in diesem Jahr soll an dem in einer alten Goldmine im US-Bundestaat South-Dakota untergebrachten Detektor eine weitere, diesmal ganzjährige Messreihe starten.

Dabei ist die überwiegende Mehrheit der Physiker davon überzeugt, dass es Dunkle Materie geben muss. Der aus der Schweiz stammende Astronom Fritz Zwicky stieß 1933 erstmals auf das Phänomen. Die Sternsysteme in dem von ihm untersuchten Coma-Galaxienhaufen bewegten sich erheblich schneller, als es die Gravitationsgesetze erlaubten. Ihre Geschwindigkeiten waren so groß, dass die Anziehungskraft der gesamten sichtbaren Materie nicht ausreicht, um den Haufen zusammenzuhalten.

Da es aber Galaxienhaufen gibt und diese auch keine Anstalten machen, auseinander zu fliegen, muss es im Kosmos erheblich mehr Materie geben als wir sehen. Eine Vielzahl unterschiedlicher Beobachtungen hat diesen Befund seither bestätigt. Das bislang genaueste Ergebnis lieferte 2013 der Astronomie-Satellit „Planck“: 85 Prozent der Materie im Kosmos ist demnach „dunkel“, sendet also keinerlei Strahlung aus und macht sich nur über ihre Schwerkraft bemerkbar.

Dunkle Gaswolken und dunkle Sterne

Zu Zwickys Zeiten hatten die Astronomen versucht, das Problem mit gewöhnlicher Materie zu lösen, etwa mit dunklen Gaswolken und dunklen Sternen. Doch das erwies sich als Sackgasse. Denn inzwischen können die Kosmologen sehr genau berechnen, wie viel normale – „baryonische“, wie die Physiker sagen – Materie es im Kosmos geben kann. Es ist jedenfalls viel zu wenig für die Stabilität von Galaxien und Galaxienhaufen. Die Dunkle Materie muss also aus etwas anderem bestehen, aus bislang unbekannten Elementarteilchen.

Das kommt den Physikern durchaus gelegen. Jeder Versuch, die beiden Säulen des physikalischen Weltmodells, die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, unter dem Dach einer „einheitlichen Theorie“, einer Weltformel, zu vereinen, produziert zugleich neue Elementarteilchen. Nach solchen hypothetischen Partikeln suchen große Beschleuniger wie der Large Hadron Collider am Forschungszentrum Cern. Ebenfalls ohne Erfolg, bislang.

Der Detektor steckt 1,4 Kilometer tief im Fels

Als besonders vielversprechend gelten unter Physikern „Wimps“ – eine doppeldeutige Abkürzung, die einerseits „Weakly Interacting Particles“ bedeutet, also schwach wechselwirkende Teilchen, andererseits das englische Wort für „Schwächlinge“ ist. Für Aufsehen sorgte 1997 das Experiment „Dark Matter“ (Dama) in einer Tiefe von 1,4 Kilometern im Gran Sasso Massiv in den italienischen Abruzzen gelegen. Die dicke Gesteinsschicht schirmt den Detektor gegen die hochenergetischen Partikel der kosmischen Strahlung ab. Dort unten glaubten die Forscher tatsächlich, Wimps nachgewiesen zu haben. Denn ihre Teilchenzählungen schwankten im Jahreslauf genauso, wie es zu erwarten wäre, wenn die Erde sich auf ihrer Bahn um die Sonne gegen einen „Fahrtwind“ der Dunklen Materie bewegt.

Während weitere Messungen am Dama-Detektor den Befund zu bestätigen schienen, fanden ähnliche Experimente anderer Wissenschaftler jedoch nichts. Und jetzt haben die Lux-Ergebnisse den vermeintlichen Dama-Wimps endgültig den Garaus gemacht. Gaitskell reibt sich die Hände, er hatte von Anfang an jahreszeitliche Temperaturschwankungen im Gestein als Ursache gesehen.

Gammastrahlung aus dem Zentrum der Milchstraße

Gleichwohl stimmen bei weitem nicht alle Physiker in Gaitskells Schwanengesang für „Tausende von Modellen“ ein. „Lux und andere Experimente können nur Teilchen ausschließen, deren Wechselwirkung zwar schwach ist, aber doch stark genug, um Reaktionen bei den Atomkernen in den Detektoren auszulösen“, erklärt Dan Hooper vom Fermi National Accelerator Laboratory in den USA. „Es gibt noch eine Vielzahl von Teilchen, die trotzdem möglich sind.“

Solche Teilchen meint Hooper mit einem anderen Verfahren aufgespürt zu haben. Die von ihm angenommenen Partikel können miteinander zusammenstoßen, sich dabei gegenseitig vernichten und so hochenergetische Gammastrahlung produzieren. Eine solche Strahlung beobachten die Astronomen tatsächlich aus der Region um das Zentrum unserer Milchstraße – einer Region also, in der es nicht nur besonders viele Sterne gibt, sondern in der sich auch die Dunkle Materie konzentrieren sollte. „Je genauer wir diese Strahlung untersuchen, desto besser passt sie zur Dunklen Materie“, sagt Hooper.

Von anderen Forschern kommt Widerspruch

Rätselhaft ist allerdings, dass zwei andere Teams bei ihrer Suche nach Dunkler Materie auf eine Strahlung mit anderer Energie an anderer Stelle gestoßen sind: auf Röntgenstrahlung aus Galaxienhaufen, die nicht auf die paarweise Vernichtung, sondern auf den Zerfall von Teilchen hindeutet. Ist es also denkbar, dass die Dunkle Materie aus verschieden Teilchen besteht? Hooper hält das für möglich, ist aber davon überzeugt, dass er dem Löwenanteil auf der Spur ist.

Alexey Boyarsky von der niederländischen Universität Leiden sieht das anders. „Möglich ist es, aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich“, sagt der Forscher, der an den Röntgenbeobachtungen der Galaxienhaufen beteiligt ist. „Ich habe mir auch die Gammastrahlung aus dem galaktischen Zentrum angesehen und kann da nichts Verdächtiges erkennen.“ Von einem eindeutigen Nachweis der Dunklen Materie sind die Astronomen, so scheint es, noch weit entfernt. Mal wieder.

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