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Bereit für den Ernstfall: Der Spezial-Rettungswagen in Königs Wusterhausen bietet umfassenden Schutz vor Erregern wie Ebola.

© Susanne Donner

Ebola: Ein Rettungswagen für alle Fälle

Alles wird hinterher verbrannt: Besuch auf einem Rettungswagen für extrem gefährliche Infektionen.

Zu Hause spricht man eigentlich nicht darüber. Aber die Familien der Sanitäter hoffen immer, dass sich niemand ansteckt, wenn der Tag kommt. Leipzig, Hamburg und Frankfurt am Main haben schon jeweils einen Ebolakranken versorgt. Vor kurzem kündigte der Berliner Gesundheitssenator Mario Czaja an, dass die Hauptstadt als Nächstes an der Reihe sei. Woher der Patient kommen wird und wann, wer weiß das schon. Vielleicht vom Flughafen, vielleicht aus dem ICE. Es ist ein stiller Countdown, um den niemand auf der Rettungswache Königs Wusterhausen viele Worte macht. Die Rettungswache betreibt den einzigen Spezial-Rettungswagen für Ebolapatienten in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Zwar hat sich die Feuerwehr der Hauptstadt gerade einen eigenen Transporter angeschafft, den das Bundeswehrkrankenhaus betreuen soll. Aber der ist noch nicht einsatzbereit.

Das Fahrzeug in Königs Wusterhausen kauften die Verantwortlichen einst wegen der Terroranschläge vom 11. September 2001 und der Milzbrandattentate danach. Spätestens zur Fußballweltmeisterschaft 2006 wollten sie gegen solchen Terror gerüstet sein und einen Rettungswagen haben, mit dem man hochansteckende Personen befördern kann. Seither hat jedes Bundesland Zugriff auf ein solches Spezialfahrzeug – und wenn es aus einem benachbarten Bundesland anrückt. Ebola war damals tausende Kilometer weit weg, eine Seuche aus dem fernen Afrika. Jetzt ist es umgekehrt. Ebola ist seit dem Ausbruch im Frühjahr in Westafrika ganz nah. Vom Milzbrand haben die Mitarbeiter der Rettungswache schon lange nichts mehr gehört.

Nicht Schnelligkeit, Sorgfalt rettet Leben

Als am 26. September 2014 ein Mann aus Nigeria fiebernd und hustend auf dem Flughafen Schönefeld landet, ruft die Amtsärztin das Spezialteam aus Königs Wusterhausen. Zum ersten Mal, seitdem man das Fahrzeug 2005 erworben hat. Die Jungfernfahrt sozusagen. „War schon aufregend. Aber es blieb gar keine Zeit für Gefühle“, sagt der Einsatzleiter Marco Drewitz, ein groß gewachsener Mann, den so schnell nichts aus der Fassung bringt. Später stellt sich ein Schnelltest auf Ebola als negativ heraus. Erleichterung, Entwarnung.

Im Augenblick des Notrufs läuft in Drewitz' Kopf wie auf Knopfdruck der einstudierte Plan für den „RTW-I“ ab. So nennen sie auf der Wache das Spezialfahrzeug. Eine Abkürzung, die weniger verrät als ein Autokennzeichen, vor allem aber keine Emotionen weckt. Denn die können die Rettungskräfte im Ernstfall am allerwenigsten brauchen.

Es geht auch nicht um Geschwindigkeit. Zwei Stunden hat das Team Zeit, bis es am Einsatzort eintreffen muss. Nicht zu vergleichen mit einem Schlaganfall, bei dem die Sanitäter ins Fahrzeug springen, mit Blaulicht und Sirene zum Patienten rasen, weil jede Minute Abertausende Nervenzellen in seinem Gehirn untergehen. Bei Ebola kämpft niemand mit der Zeit. Die Sanitäter ringen um maximale Sicherheit. Zwei Männer holen himmelblaue Schutzanzüge aus polyethylenbeschichtetem Textil aus metallenen Sicherheitsschränken. Alleine anziehen kann man diese Montur nicht. Und damit niemand Lebenswichtiges vergisst, wird der Overall nach einer Checkliste angelegt. Zu zweit. Einer hilft dem anderen, sich einzukleiden und hakt ab. Pro Mann 20 Minuten. An den Fesseln wird der Anzug mit Bändern festgezurrt, damit niemand im Wortsinn aus den Plastiküberschuhen kippt. Die Hände kommen in blaue Kunststoffhandschuhe, zwei Stück übereinander, falls eine Lage reißt. Mit einer luftdichten Manschette werden sie mit dem Anzug verbunden. Bevor Drewitz mit seinem Oberkörper in dem Overall verschwindet, schließt ein Sanitäter eine Pumpe samt Luftfilter an einem Schlauch im Rückenteil des Anzugs an. Sie versorgt Drewitz im Vollschutz mit gereinigter Umgebungsluft. Atemschutz „A2B2E2K2 – P3“ steht auf der grauen Filterkartusche. Ein Kombinationsfilter, der chemische Kampfstoffe abfängt, aber auch, was im Fall von Ebola entscheidend ist, „P“ wie „Partikel“. Obwohl das Virus nur über Körperflüssigkeiten übertragen wird, könnte es ja doch in der Luft liegen. Dann sollte es über die graue Dose am Rücken der Rettungskräfte nicht hinauskommen.

Im Schutzanzug sieht der Einsatzleiter wie ein Michelin-Männchen aus

Drewitz’ Kollege schließt einen Reißverschluss vorne an der Brust des Overalls und versiegelt ihn mit einem Spezialtape. Auch durch die Ritzen zwischen den feinen Plastikzähnen dürfen keine Keime dringen. Drewitz klemmt das Funkgerät fest und rückt das Headset auf die Ohren. Sobald er die Haube des Schutzanzugs über den Kopf stülpt, versteht er kaum ein Wort. Die Männer können nur über Funk reden. Er ist von der Außenwelt hermetisch abgeriegelt, eine Rettungskraft in Quarantäne. In wenigen Minuten füllt sich der versiegelte Schutzanzug mit Luft. Der Plastikoverall steht unter Überdruck, damit ja kein tödlicher Keim nach innen dringt, selbst wenn die Hülle einen feinen Riss bekommt. Drewitz sieht darin wie ein übergroßes Michelin-Männchen aus.

Nur zwei Rettungskräfte in voller Montur setzen sich in den Rettungswagen. Der Fahrer und die übrige Mannschaft in einem gesonderten Wagen legen die Schutzanzüge noch nicht an. Wenn sie einmal stundenlang bis ins mecklenburgische Umland, vielleicht bis nach Rügen, fahren müssen, dürfen alle die lebensrettende Hülle erst vor Ort überstülpen. Denn länger als drei Stunden darf man in dem Plastikoverall nicht arbeiten. Und für den Fall, dass die Infektionsstation der Charité überfüllt wäre und man den Ebolakranken bis Leipzig oder gar Frankfurt am Main bringen müsste, müsste das Team aus dem Beiwagen die zweite Schicht im Vollschutzanzug antreten.

Das Spezialfahrzeug ist karg und steril, mit Edelstahl ausgekleidet wie ein Fahrstuhl. Nach der Fahrt mit einem Infizierten wird es für sechs Stunden mit einem Gemisch aus Formaldehyd und Ammoniak begast und ausgewischt. Das tötet jeden Krankheitserreger. Die Fugen sind mit grauer Dichtungsmasse versiegelt, damit die Erreger sich auch nicht in den Ritzen halten können. Die Liege für den Patienten, das Beatmungsgerät an der Wand, ja sogar die Sitze der Sanitäter – „alles, was hier drin ist, wird hinterher verbrannt“, sagt Benno Bretag, leitender Notarzt. Zur Sicherheit, denn dieses Interieur lässt sich nicht verlässlich reinigen. Deshalb sind die meisten Geräte, Sauerstoffflaschen, Arztkoffer mit Verbandszeug und Medikamente in separaten Edelstahlschränken untergebracht, die sich nur von außen öffnen lassen.

Es geht vor allem um den Schutz der Bevölkerung

Wer zwischen den Stahlwänden in dem kargen Rettungswagen wie in einem stählernen Fahrstuhl sitzt, dem wird klar: Dieser schützt gar nicht zuvorderst den Patienten. „Mit dem Wagen geht es um den Schutz der Bevölkerung und nicht primär die Versorgung des Kranken“, erklärt Bretag. „Bei einem Patienten mit Ebolafieber haben wir auch gar keinen konkreten Behandlungsauftrag, allenfalls, dass wir ihm Infusionen geben.“ Die Luft aus dem Wageninneren gelangt direkt in den 800 Grad Celsius heißen Motorraum. In der Flamme verbrennt jeder Keim in Bruchteilen einer Sekunde. Vom Fahrer sehen die Männer in den Schutzanzügen durch ein rechteckiges kleines Sichtfenster nur die Schulter. Sie sitzen mit dem Kranken gemeinsam in einem hermetisch abgeriegelten Stahlkäfig.

„Ebola ist eigentlich nicht wie die Pest, die über die Luft übertragen wird“, meint Bretag. „Gerade deshalb ist es besonders erschreckend, dass sich medizinisches Personal aus den USA und Spanien trotzdem infiziert hat.“ Wie das möglich ist, haben sie sich hier auf der Rettungswache gefragt. Beim Ausziehen vermutlich. Einen Handschuh beispielsweise legt man ab, indem man mit der freien Hand an diesem zieht. Ist erst einmal eine Hand ungeschützt, wiederholt sie dasselbe Spiel bei der anderen. Eine kleine Wunde in der Haut oder einmal ins Gesicht gefasst und etwas infektiöses Sekret auf dem Überzieher genügen, damit der Keim in den Körper dringt.

Separate Atemschutzmasken sind ein Infektionsrisiko

Drewitz zeigt, wie man es richtig macht. Die nackte Hand fährt von innen über den Ärmel zur geschützten Hand und streift den Handschuh von innen ab, ohne ihn außen zu berühren. In einigen Ländern trägt das Personal auch separate Atemschutzmasken. „Ein paar Mal angehustet, und schon hängen da die Erreger drauf. Nimmt man die Maske mit bloßen Händen ab, ist das ein wahrscheinlicher Übertragungsweg“, sagt Bretag. Mit dem Vollschutzanzug mit integriertem Filter im Rücken kann seine Mannschaft nicht in diese Falle. „Aber man muss alle Sinne beisammen haben“, sagt Drewitz.

Eigentlich soll auf der schützenden Hülle beim Ausziehen kein Virus mehr sitzen. Denn zuvor duschen die Rettungskräfte samt Kunststoffoverall in verdünnter Peressigsäure. Die Anzüge werden nach dieser Dekontamination verbrannt. Doch wer weiß schon, ob die Flüssigkeit wirklich jede winzige Falte erreicht.

Zurzeit haben die Spezialrettungskräfte allerdings andere Sorgen. Der Hersteller für Schutzanzüge verbucht so viele Aufträge, dass er nicht mehr kurzfristig liefern kann. Voraussichtlich erst im März 2015 wird die Rettungsstelle in Königs Wusterhausen wieder mit neuen Monturen versorgt. Allein die Charité hat mehr als 1000 Anzüge bestellt. Aus einem guten Grund: Nur ein einziger Patient benötigt rund um die Uhr eine Schwester und einen Arzt. Die dürfen aber nur je drei Stunden in der Spezialkleidung arbeiten. Dann heißt es Schichtwechsel. Ein Patient verursacht also einen Verbrauch von 16 Anzügen pro Tag.

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