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Todesliste. Am Eingang des Insel-Krankenhauses in Monrovia werden die Ebola-Toten der letzten Nacht veröffentlicht.

© AFP

Ebola in Westafrika: „Leichen liegen tagelang herum“

Ebola verändert das Leben in Liberia tiefgreifend: Ein Gespräch mit dem Bürgerrechtler George Glaye.

Sie arbeiten für das Menschenrechtsnetzwerk Lirdan in Liberia. Wie beeinflusst die Ebola-Epidemie das tägliche Leben?
Die schnelle Verbreitung des Virus hat Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Bildungseinrichtungen sind bis auf Weiteres geschlossen. Das beeinträchtigt die Zukunft unserer Schulkinder, aber auch das Auskommen der Lehrer. Vor allem Privatschulen zahlen den Lehrern kein Gehalt mehr. Die Existenz der Kleinhändler, also vor allem von Frauen und arbeitslosen Jugendlichen, ist bedroht: Die Lieferung von Waren funktioniert nicht wie üblich, weil es immer wieder offizielle Einschränkungen der Bewegungsfreiheit gibt. Außerdem versuchen viele Menschen, öffentliche Transportmittel wie Taxis und Motorräder zu meiden, seit die Weltgesundheitsorganisation davor gewarnt hat, dass sie eine Ansteckungsquelle sein könnten.

Die gesamte Wirtschaft leidet unter der Seuche?

Ja, viele private Unternehmen, aber auch einige Regierungsstellen haben Angestellte entlassen. Zulieferer werden nicht mehr gebraucht und schließen. Finanzminister Amara Konneh hat gewarnt, dass diese Krise negative Effekte auf die Wirtschaftskraft Liberias haben wird. Allein bis August hat der Staat Einnahmen in Höhe von 12 Millionen US-Dollar verloren. Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf versucht Investoren zu ermutigen, im Land zu bleiben, befürchtet jedoch Aufstände.

Wie groß ist die Angst vor Ebola?

Je mehr Todesopfer es gibt, desto größer sind die psychologischen Auswirkungen. Die Menschen fürchten sich vor dem Virus, das bereits in 14 von 15 Landesteilen vorgedrungen ist. Sie geben sich kaum noch die Hand, obwohl das in Liberia traditionell üblich ist. Gastfreundschaft gegenüber Fremden ist seltener geworden, das Risiko ist zu groß. Wenn doch ein Fremder aufgenommen wird, kommt es zu Streit unter den Eheleuten. So etwas gab es noch nie, nicht einmal während des Bürgerkriegs. Die Toten sind sichtbar. Leichen liegen tagelang herum, weil es nicht genug Krankenwagen gibt, die sie abtransportieren. Allein die Region Montserrado hat mehr als eine Million Einwohner – und sechs Krankenwagen.

Finden Kranke noch Hilfe?

Gesundheitszentren sind geschlossen oder arbeiten kaum noch, weil sich Ärzte und Krankenpfleger fürchten oder weil sie bereits gestorben sind. In den Krankenhäusern werden Patienten abgelehnt. Die Einwohner des Elwa-Bezirks, die in der Nachbarschaft eines Behandlungszentrums von „Ärzte ohne Grenzen“ leben, sind frustriert und enttäuscht, dass Ebola-Patienten massenhaft abgewiesen und allein gelassen werden, weil es nicht genug Matratzen, Platz und Essen gebe. Einige der Kranken versuchten sogar, mit Gewalt in das Zentrum zu kommen.

Am 20. September zum Beispiel standen 13 Ebola-Patienten am Eingang der Cholera- und Ebolastation des John-F.- Kennedy-Krankenhauses und beschwerten sich über die Vernachlässigung durch die Pfleger. Auch als ein Krankenwagen am Morgen einen Patienten aus einem anderen Teil Monrovias brachte, wurde er nicht hereingelassen. Die Station sei überfüllt, die Kranken sollten draußen warten. Dann beobachteten sie, wie ein Auto mit Kennzeichen der Regierung vorfuhr. Für diesen Patienten öffneten sich die Tore sofort. Als sich die übrigen Kranken daraufhin ebenfalls Einlass verschaffen wollten, wurden sie wieder abgedrängt. Die Wartenden schlossen daraus, dass in diesem Land niemand mit Würde behandelt wird, wenn er nicht zur höchsten sozialen Klasse gehört.

Woher kommt das Misstrauen den Behörden und ihren Anweisungen gegenüber?

Die Menschen vertrauen weder der Regierung noch denen, die mit ihr zusammenarbeiten. Jahrzehntelang gab es Korruption und Vetternwirtschaft in diesem Land. Ende der 1980er Jahre vertrieb ein Militärputsch die herrschende Klasse aufgrund solcher Anschuldigungen. Ab 1990 veranstaltete das Militär Hexenjagden und war ebenso korrupt. Neue Seilschaften entstanden. Danach folgte der Bürgerkrieg und Charles Taylor kam an die Macht, der nun für seine Taten verurteilt wurde. Auch unsere Präsidentin hat ihn damals unterstützt. 2003 war endlich Frieden und ab 2005 begannen die Wahrheits- und Versöhnungskommissionen mit ihrer Arbeit. 2009 empfahlen sie die Schaffung eines Sondergerichtshofes, der über die 124 schlimmsten Verbrecher urteilen sollte. 49 Personen sollten 30 Jahre lang keine öffentlichen Ämter bekleiden dürfen - dazu gehörte auch die Präsidentin. Und 58 Menschen sollten vor Gerichte gestellt werden. Diese Empfehlungen wurden nie umgesetzt, obwohl die Mehrheit der Liberianer dafür ist. Einige Warlords haben immer noch hohe Posten in der Regierung.

Ist Korruption immer noch ein Problem?

Sirleaf bezeichnet Korruption als ihren größten Feind. Wir haben nichts davon bemerkt. Stattdessen verteidigt sie Regierungsmitglieder, die der Korruption bezichtigt werden. Korruption ist allgegenwärtig. Von 68 Verträgen der Regierung mit Unternehmen hat die Liberia Extractive Industries Transparency Initiative 66 als Fälschung eingestuft. Diese Verträge werden vom Parlament abgenickt, ohne dass sie je gelesen wurden.

Deshalb misstrauen die Menschen auch den Informationen zu Ebola?

Während dieser Epidemie gab es keine verlässliche Informationspolitik. Als Armeeangehörige am 20. August zwei Jugendliche in dem unter Quarantäne stehenden Slum West Point erschossen, hat der Verteidigungsminister das abgestritten und erst später zugegeben. Darüber hinaus gibt es kaum mehr als leere Versprechungen. Ärzte und Pflegekräfte werden weder angemessen bezahlt noch haben sie ausreichende Schutzkleidung, so dass es immer wieder zu Streiks kommt und die Krankenversorgung noch mehr leidet. Außerdem hat die Öffentlichkeit Zweifel, wie die Regierung die bisher eingetroffenen Hilfsgelder ausgegeben hat. Nach Angaben der Präsidentin sollte das Parlament einen Bericht bekommen. Dieser Bericht zeigt aber keine Details.

Solche Intransparenz schürt seit Jahren das Misstrauen der Menschen und lässt sie manchmal zu Gewalt greifen. Im Juli zum Beispiel setzte ein etwa 30-jähriger Mann einen Konferenzraum des Gesundheitsministeriums in Brand. Sein 14-jähriger Bruder sei an Ebola gestorben, weil ihm niemand geholfen habe. So kommt es auch zu Gerüchten, wonach die US-Marines, die nach Liberia entsandt wurden, angeblich durch die Kliniken gehen und alle vermuteten Ebola-Fälle entlassen würden, weil sie das Virus gar nicht hätten. Das Gerücht erzeugte so viel Verwirrung, dass der Gesundheitsminister sich gezwungen sah, es im Radio zu widerlegen.

Die USA wollen 3000 Soldaten in die Region schicken. Ist das eine Erleichterung?

Die Regierung ist nicht Herr der Lage. Deshalb: Ja. Für die meisten Liberianer war die Nachricht eine Erleichterung. Trotzdem gibt es viele Gerüchte. Manche Medien spekulierten, Exil-Liberianer planten einen Putsch. Andere vermuten, die USA würden Ebola nur benutzen, um andere politische Ziele durchzusetzen. Denn während des 14-jährigen Bürgerkriegs hatten die USA nicht so viele Soldaten geschickt, obwohl damals 250 000 Menschen ums Leben kamen.

Was ist Ihre Meinung zum Militäreinsatz?

Soldaten können helfen. Aber man muss sich bewusst sein, dass die Menschen in Liberia furchtbare Erinnerungen an die Taten der Armee während des Bürgerkriegs haben. Sie war brutal und unprofessionell. Wir haben gehofft, dass das der Vergangenheit angehört, schließlich ist die Nachkriegsarmee in den USA ausgebildet worden. Die Schießerei von West Point hat diese Hoffnungen zerschlagen. Deshalb sind wir besorgt über den Einsatz von Soldaten im Kampf gegen Ebola.

In unserer Geschichte hat sich ihr Mandat während der jeweiligen Intervention immer wieder verändert, die US-Streitkräfte sind keine Ausnahme. 1993 kamen 25 000 Soldaten, um in einem humanitären Einsatz eine Hungersnot zu lindern. Sie wurden in Kämpfe mit den lokalen Warlords verstrickt. Wir fragen uns, wie sie dieses Mal reagieren werden, falls es in Liberia zu Aufständen kommt. Außerdem möchten wir wissen, in welchem Verhältnis sie zur liberianischen Armee und zur UN-Friedenstruppe stehen.

Was können die Industrienationen tun?

Wenn Soldaten eingesetzt werden, muss das mit massiven Aufklärungskampagnen einhergehen. Lokale Anführer und Organisationen vor Ort müssen eingebunden werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Die Regierungen der Industrienationen sollten außerdem von unserer Regierung verlangen, Rechenschaft über die erhaltenen Ressourcen abzulegen. Und nicht zuletzt sollten zivilgesellschaftliche Vereinigungen wie Lirdan in Liberia gestärkt werden. Das Ebola-Virus konnte sich hier auch deshalb so gut verbreiten, weil die Menschen ihrer Regierung misstrauen. Denn viele Jahre hatte unsere Zivilgesellschaft keine Stimme, die dafür sorgen konnte, dass sich die Regierung erklären muss.

Die Fragen stellte Jana Schlütter

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