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Wissen: Ein Volk von Angsthasen?

Tagesspiegel-Wissenschaftssalon mit Walter Krämer

Dioxin, Bisphenol, Pestizide. Diese Chemikalien lösen hierzulande regelmäßig Angst aus, auch wenn ihre Konzentration meist deutlich unter dem liegt, was Menschen ernsthaft gefährdet. Allein die Begriffe, verknüpft mit Formulierungen wie „mögliche Folgen“ oder „Gefahr kann nicht völlig ausgeschlossen werden“, lassen viele so reagieren, als sei der Ernstfall unabwendbar. Woher kommt diese kollektive Panik, was kann man dagegen tun? Darum ging es beim Wissenschaftssalon im Tagesspiegel-Verlagsgebäude am Montagabend, bei dem Walter Krämer sein Buch „Die Angst der Woche: Warum wir uns vor den falschen Dingen fürchten“ vorstellte.

„Es ist immer gut, wenn man einen Sündenbock hat“, erläuterte der Autor. Gefahren, die sich auf das Wirken von Menschen zurückführen lassen, würden generell als bedrohlicher erachtet als natürliche Gefahren. Während des „Dioxinskandals“ zu Jahresbeginn fürchteten sich viele vor dem Stoff in Eiern, der jedoch zu keiner Zeit gesundheitsschädliche Konzentrationen erreichte. „Aber die Medien konnten klar auf einen – zweifelsohne kriminellen – Futtermittelhersteller zeigen.“ Nachweislich größere Gefahren hingegen gehen in der Berichterstattung unter, monierte er. So würden beispielsweise jährlich mehrere Tausend Menschen bei Unfällen im Haushalt sterben. „Aber kaum jemand nimmt davon Notiz“, sagte Krämer, der im Hauptberuf Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der TU Dortmund ist.

Freiwillig eingegangene Risiken, so eine weitere Erklärung, würden im Vergleich zu aufgezwungenen in ihrem Gefahrenpotenzial 1000-fach unterschätzt. Das hätten mehrere Studien gezeigt. „Es gibt nicht wenige Menschen, die Angst haben, wenn ein Castor-Transport durch ihren Ort rollt“, nannte Krämer ein Beispiel. Die Belastung durch kosmische Höhenstrahlung auf einem Flug nach New York nähmen sie aber kaum wahr, obwohl die 100-fach höher sei als in der Nähe des Transportbehälters für radioaktive Stoffe.

In der anschließenden Diskussion, moderiert von Tagesspiegel-Mitarbeiter Kai Kupferschmidt, wollten es die Zuschauer genauer wissen. Welche Gefahren sind nun wirklich bedrohlich? „Rauchen, Alkoholkonsum und zu fettes Essen sind nachweislich die größten Bedrohungen. Dort muss man ansetzen.“ Und wie steht der Risikoexperte zu industriell hergestellten Lebensmitteln? „Die Schadstoffbelastung in diesen Produkten ist geringer als in allen anderen Lebensmitteln“, sagte Krämer und rief damit bei einigen Gästen Erstaunen hervor. „Für Gemüse, das auf dem Wochenmarkt verkauft wird, gelten höhere Grenzwerte. Und die werden auch oft erreicht und überschritten.“ nes

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