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Konsultation. In vielen Praxen gehören neben Patienten auch Pharmareferenten zu regelmäßigen Besuchern.

© imago/Westend61

Einfluss durch Pharmafirmen: Wirkstoffe für Ärzte

Zahlreiche Mediziner erhalten Zuwendungen der Pharmabranche. Sie meinen, das beeinflusse sie nicht – ein Trugschluss.

Ändert sich etwas an der Behandlung, wenn ein Arzt Zuwendungen von Arzneimittelherstellern bekommt? Das fragen sich viele, seit die Datenbank „Euros für Ärzte“ mit den Namen von mehr als 20 000 Medizinern veröffentlicht wurde, die im vergangenen Jahr Zuwendungen von Pharmafirmen erhielten. Forscher haben genau das untersucht und kommen zu klaren Ergebnissen.

Das US-Recherchezentrum ProPublica, das seit 2010 Zahlungen an amerikanische Ärzte veröffentlicht, hat kürzlich bestätigt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Summe, die ein Arzt von Pharmafirmen erhält, und der Menge von teuren Original-Medikamenten, die er verschreibt. Augenärzte etwa, die kein Geld annehmen, verschrieben 46 Prozent Original-Medikamente. Nahmen die Ärzte weniger als 100 Dollar an, verschrieben sie rund 50 Prozent der teureren Präparate. Erhielten sie mehr als 5000 Dollar, waren es 65 Prozent. Dabei sind Original-Medikamente meist nicht besser als Generika, also Präparate mit dem gleichen Wirkstoff, die nach Ablauf des Patentschutzes von anderen Herstellern billiger angeboten werden.

Einladung zum Essen, Verschreibungsrate steigt

Zudem können Zahlungen von Firmen Ärzte dazu bringen, die Nebenwirkungen von Arzneien zu unterschätzen. Das hat Amy Wang von der Mayo Clinic in Rochester herausgefunden. Im Mittelpunkt ihrer Untersuchung stand das Medikament Rosiglitazon, das bei Diabetes-Patienten zu einem erhöhten Herzinfarktrisiko führt. Wangs Team prüfte 202 wissenschaftliche Veröffentlichungen über das Medikament und fand heraus: Autoren, die Zahlungen von Herstellern des Medikaments annahmen und dies bei der Veröffentlichung offenlegten, vertraten insgesamt eine positivere Position über die Nebenwirkungen des Medikaments als jene, die keine Zahlungen bekamen.

Colette De Jong, Versorgungsforscherin an der Universität von Kalifornien in San Francisco, und Kollegen entdeckten, dass selbst simple Essenseinladungen Einfluss auf Ärzte haben können. Die Wissenschaftler werteten Daten von etwa 280 000 Medizinern aus. Bekam ein Arzt eine gesponserte Mahlzeit, etwa auf einer Pharma-Veranstaltung, erhöhte das die Chance, dass er das Medikament des Sponsors verschreiben würde. Bei Nebivolol, einem Betablocker zur Blutdrucksenkung, stieg die Verschreibungsrate nach einem Essen von 3 Prozent auf 8 Prozent, nach drei Essen gar auf 14 Prozent, berichten die Forscher.

„Der Einzige, der immer nett zu ihnen ist, ist der Pharma-Außendienstler.“

Zu dem Einfluss geldwerter Vorteile kommt die psychologische Beeinflussung durch Pharmareferenten – Vertreter der Unternehmen, die durch Arztpraxen touren, um Medikamente anzupreisen. „Es gibt Außendienstler, die so gut sind, dass sie jeden rumkriegen“, sagt Peter Pommer, Pneumologie-Chefarzt am Gesundheitszentrum Oberammergau. „Viele Ärzte sehen sich von allen beschimpft, von Patienten, Journalisten, Krankenkassen“, sagt Pommer. „Der Einzige, der immer nett zu ihnen ist, ist der Pharma-Außendienstler.“

In den USA entfällt rund die Hälfte des Marketingbudgets der Pharmaunternehmen auf die Außendienstler. Geschätzt 5000 Dollar pro Jahr und Arzt geben die Firmen aus, um Vertreter zu beschäftigen. Die Ausgaben lohnen sich. Klaus Lieb, Psychiater an der Uniklinik Mainz und Kritiker von Pharma-Zahlungen, fand 2014 mit einem Kollegen in einer Umfrage unter 160 Ärzten heraus, dass die meisten Ärzte Pharmareferenten empfangen. Die Autoren schreiben, dass Ärzte, die keine Pharmareferenten empfangen, rationaler im Umgang mit Medikamenten seien.

Viele wähnen sich immun gegen einen möglichen Einfluss

Unternehmen fahren zweigleisig. Verschreibende Ärzte erhalten eine persönliche Betreuung und kleine Geschenke, vom Kugelschreiber über Essen bis zur Fortbildung im Luxushotel. Die Meinungsführer – leitende Ärzte, die Einfluss auf die Empfehlung von Medikamenten haben – gewinnen sie durch Beraterverträge und Einladungen zu Reden. Ein Chefarzt oder Professor erhält für einen 45-minütigen Vortrag rasch eine hohe vierstellige Summe.

Ein großer Teil der Ärzte ist sich dabei gar nicht bewusst, dass er beeinflusst wird. Das hat etwa Michael Steinman von der Universität von Kalifornien in San Francisco mit Kollegen untersucht. In ihrer Studie gaben mehr als vier von fünf Ärzten an: Ja, sie glaubten, Zahlungen und Kontakte zur Pharmabranche würden das Verschreibungsverhalten ihrer Kollegen ändern. Sich selbst hingegen glaubten viele immun. Fast zwei von drei Ärzten waren der Überzeugung, gegen Beeinflussungen gefeit zu sein.

Unterschiedliche Firmen, ein Ziel

Eine der Rechtfertigungen unter Ärzten lautet, man habe nicht nur zu einer Firma Kontakt, sondern zu mehreren Firmen, das gleiche sich aus. „Ich lege Wert darauf, Kontakt zu verschiedenen Firmen zu haben“, sagt etwa Andreas Greinacher, Professor für Immunologie an der Uniklinik Greifswald. Das Problem: Konkurrierende Pharmafirmen haben durchaus übereinstimmende Interessen. Dazu gehört, neue und teurere Arzneimittel zu verkaufen, die vielleicht gar nicht besser sind als ältere Mittel.

Und manchmal ist es gar nicht nötig, dass der Arzt überhaupt zu Medikamenten greift. Darauf weist etwa Tom Bschor, Chefarzt für Psychiatrie an der Berliner Schlosspark Klinik hin. Es sei etwas grundsätzlich anderes, ob er bei einer Depression ein Antidepressivum verschreibe oder zu einer Psychotherapie rate. Woran die Arzneimittelhersteller interessiert sind, sei klar.

Fortbildung ist Pflicht - und ohne Die Unterstützung aus der Branche kaum zu machen

Das wohl bedeutendste Problem besteht aber darin, dass der Einfluss der Pharmabranche aus dem jetzigen System kaum wegzudenken ist. Für Ärzte ist es schwer, unabhängig zu bleiben, selbst wenn sie es wollen. Das gilt nicht nur für die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente, bei der die Zusammenarbeit mit der Industrie in klinischen Studien wohl unerlässlich ist. Es gilt auch bei Fortbildungen. Diese müssen Ärzte besuchen, das ist gesetzlich vorgeschrieben. Doch heutzutage seien Fortbildungen und Kongresse gar nicht mehr ohne Pharma-Sponsoring denkbar, sagt Ulrich Laufs, leitender Oberarzt für Innere Medizin am Uni-Klinikum Saarland. „Es gibt eine Fortbildungspflicht, aber keinen Etat“, sagt Laufs, „Man überlässt das Ganze den Herstellern.“

Die Hotels, die Mahlzeiten, die vierstelligen Vortragshonorare für die Referenten müssten sonst von den Hörern selbst bezahlt werden – oder entfallen. „Die Ärzte haben sich an den Luxus gewöhnt“, sagt Christiane Fischer, ärztliche Geschäftsführerin der Initiative „Mezis“, was für „Mein Essen zahl ich selbst“ steht. „Die Qualität einer Tagung bemisst sich nicht an der Sterneanzahl des Hotels“, sagt sie. „Wir brauchen industrie-unabhängige Fortbildungen.“

Dass es auch ohne Sponsoring durch Pharmafirmen geht, zeigt der Berliner Psychiater Bschor. Er hat ein Symposium in seiner Klinik organisiert, bei dem die Referenten kein Honorar bekommen haben. Früher habe er für Vorträge selbst vierstellige Summen von Firmen erhalten, mittlerweile legt er Wert auf seine Unabhängigkeit. „Ärzte werden gut bezahlt, wir brauchen kein Zweiteinkommen“, sagt Bschor. „Am Ende kommt doch alles aus dem Gesundheitswesen, von den Patienten – dafür ist das Geld doch nicht da.“

Der Autor ist Redakteur des Recherchezentrums Correctiv. Die Redaktion finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Ihr Anspruch: In monatelanger Recherche Missstände aufdecken und unvoreingenommen darüber berichten. Wenn Sie Correctiv unterstützen möchten, werden Sie Fördermitglied. Informationen finden Sie unter correctiv.org

Hristio Boytchev

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