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Auf die Kunden zugehen. Die Zeit mürrischer Postbeamten ist vorbei. Erwartet wird nun, dass sich die Mitarbeiter emotional auf die Kundschaft einstellen und Zusatzprodukte anbieten nach dem Motto: „Darf es ein bisschen mehr sein?“

© imago stock and people

Emotionen im Job: Bitte recht freundlich

Im Arbeitsleben ist heute der Einsatz der ganzen Person gefragt. Gefühl wird dabei zu einer Ressource.

Wer kennt nicht noch das Bild vom muffligen Postbeamten, der hinter seinem Schalter döst und sich eher um seine Mittagspause als um die wartenden Kunden schert? Doch das war einmal, die Ära des viel beschworenen „Amtsschimmels“ ist vorbei, heute ist die Post ein profitorientiertes Dienstleistungsunternehmen, die nüchternen Schalterhallen mutierten zu bunten Gemischtwarenläden, der sitzende Postbeamte zum agilen Verkäufer hinter seinem Tresen.

Aber was ist da eigentlich genau passiert? Wie hat sich dieser Übergang auf die Angestellten und Beamten ausgewirkt, und was verändert sich, wenn sich „der Staat“ nicht mehr als rationale Verwaltung, sondern als bürgernaher Dienstleister versteht? Die Politologin Birgit Sauer und der Soziologe Otto Penz aus Wien haben das untersucht, und sie würden den Wandel, der ja nicht nur öffentliche Einrichtungen, sondern die Gesellschaft insgesamt betrifft, unter das Stichwort „affektives Kapital“ stellen. Denn „Gefühl“ – so die These – ist Dreh- und Angelpunkt für neue Formen der Arbeit, aber auch für gegenwärtige Weisen des Managements, das heißt des „Führens“ und „Regierens“.

Otto Penz und Birgit Sauer arbeiten seit sieben Jahren gemeinsam zum Thema. In einem vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank geförderten Projekt untersuchten sie zunächst die Transformation der österreichischen „gelben“ Post in eine Aktiengesellschaft. Ein zweites vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Projekt bezog sich auf die Umwandlung von Arbeitsämtern in Deutschland, der Schweiz und Österreich in „Arbeitsagenturen“, „Regionale Arbeitsvermittlungen“ (Schweiz) oder „Arbeitsmarktservice“ (Österreich). „Uns hat genau dieser Umbau in der Verwaltung interessiert, weil man hier gesamtgesellschaftliche Prozesse neoliberaler Entwicklung besonders gut beobachten kann“, sagt Otto Penz.

Jetzt heißt es auf die Kunden zugehen

Zentral für diesen Umbau war die Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ihrem Selbstverständnis nach sollen sie nicht mehr Beamte sein, die in erster Linie Staatsdienst versehen, sondern Angestellte, die kundenorientiert arbeiten im Sinne einer „customer oriented bureaucracy“. Das erfordert neue, vor allem kommunikative Fähigkeiten. Jetzt heißt es auf die „Kunden“ zuzugehen, sich in deren Bedürfnisse hineinzuversetzen und die eigenen Gefühle dementsprechend anzupassen. Das klingt zunächst nicht schlecht, ist aber an Auflagen gebunden. Denn die Post soll Profit machen, die Agentur die Arbeitssuchenden nicht nur verwalten, sondern auch aktivieren.

Dabei sind die einzelnen Arbeitsschritte durch Software vorgegeben, die auch erfasst, wie viel gearbeitet wird, wie lange ein Arbeitsgang dauert und wie erfolgreich er war. Der Verkauf einer Briefmarke sollte nur wenige Sekunden in Anspruch nehmen, die Postmitarbeiter und -mitarbeiterinnen sind aufgefordert, auch noch Zusatzleistungen anzubieten, etwa eine Expresszustellung von Briefen, nach dem Motto „Darf es etwas mehr sein?“. Die Angestellten des Arbeitsamtes wiederum müssen mit ihren „Kunden“ „Eingliederungsvereinbarungen“ schließen, was ebenfalls per Spezialsoftware dokumentiert, kontrolliert und bewertet wird.

Die emotional fordernde Tätigkeit wirkt auch belebend

Im Rahmen ihrer Forschung über Arbeitsämter führten Penz und Sauer Interviews mit Abteilungsleitern und -leiterinnen in München, Bern und Wien sowie mit etlichen Beratern und Beraterinnen, sie verfolgten im sogenannten „shadowing“-Verfahren Beratungsgespräche und zeichneten diese auch per Video auf. „Wir haben eine große Menge Filmmaterial, wobei es methodisch nicht einfach ist zu entscheiden, wie man Emotion anhand von Bildern interpretiert“, sagt Birgit Sauer. Beobachtet hat sie zum Beispiel, dass einige der Arbeitsmarktservice-Angestellten sich schützen, indem sie den Computer-Bildschirm wie eine Wand zwischen sich und dem Kunden aufstellen.

Die Beurteilung der veränderten Arbeitsanforderungen in Post und Arbeitsämtern ist nicht eindeutig. Viele der Mitarbeiter, vor allem der jüngeren Generation, zeigten sich nicht unzufrieden, denn die emotional fordernde Tätigkeit wirkt belebend und gelungener Kundenkontakt schafft Erfolgserlebnisse. Gleichzeitig habe aber auch der Stress zugenommen, der Wettbewerb untereinander, die Intensität der Arbeit und die Unsicherheit über die eigene Jobsituation, da im Zuge der Umstellungen immer mehr Stellen abgebaut werden. Eine Postmitarbeiterin fasste die Lage so zusammen: „Jetzt musst du auch noch freundlich sein, und du kannst nicht mal aufs Klo.“

Gefühle werden wertschöpfend eingesetzt

Das Interesse an „affektiver Arbeit“ hat eine längere Tradition, bereits in den 1970er Jahren führte die US-amerikanische Soziologin Arlie Hochschild den Begriff „Emotionsarbeit“ ein, den sie vor allem auf die sogenannten „weiblichen“ Berufe zum Beispiel von Flugbegleiterinnen bezog. Otto Penz und Birgit Sauer greifen das auf sowie neuere kulturwissenschaftliche Debatten um Gefühle, und erweitern das Konzept, indem sie es mit der Diskussion um neoliberalen Wandel der Gesellschaft verbinden.

In ihrem Buch „Affektives Kapital“, entwickeln Otto Penz und Birgit Sauer ihren eigenen Ansatz, der – mit Bezug auf Pierre Bourdieu – davon ausgeht, dass Gefühle heute wertschöpfend eingesetzt werden, und zwar nicht mehr nur in den traditionell „weiblichen“ Berufen. In diesem Sinne sprechen Penz und Sauer auch von einer „Feminisierung der Arbeit“, da der früher als „weiblich“ konnotierte Einsatz von Emotionalität zunehmend in allen Arbeitsfeldern gefordert ist.

Firmen lenken ihre Mitarbeiter über Gefühle, auch über Angst

Es geht hier um „Gefühlsmanagement“ in doppelter Hinsicht. Denn einerseits müssen die Einzelnen in eigener Verantwortung eine Persönlichkeit ausbilden, die fit für den Markt und dort anschlussfähig ist. Sie sorgen für sich, und sie sorgen sich um sich selbst. Andererseits lenken Firmen ihre Mitarbeiter oder der Staat seine Bürger über Gefühle, etwa über das der Unsicherheit oder Angst. Penz und Sauer bezeichnen diese Einflussnahme in Anlehnung an einen Begriff von Michel Foucault als „affektive Gouvernmentalität“. „Regiert“ wird heute nicht mehr so sehr über Zwang und Verbot, sondern über die Lenkung der Gefühle.

„Es geht uns nicht um eine Rückkehr zum alten Sozialstaatsmodell“, sagen Penz und Sauer. „Vielmehr wollten wir zeigen, welche Bedeutung Gefühle im Arbeitsleben einnehmen und wie sie derzeit instrumentalisiert werden.“ Eine Utopie steckt gleichwohl in diesen Studien, denn im Hintergrund steht die Frage, ob sich „Gefühlsarbeit“ nicht anders nutzen lässt, etwa für die Entwicklung neuer Formen von Demokratie und gesellschaftlicher Partizipation.

Ein nächstes Forschungsprojekt ist daher auch schon in Arbeit. Penz und Sauer werden affektive Aspekte der Flüchtlings- und Asylpolitik untersuchen. Vielleicht lässt sich hier einiges darüber lernen, wie über Zugehörigkeitsgefühl auch Integration und Demokratie funktionieren kann. Statt in Wettbewerb lassen sich Emotionen schließlich auch in Solidarität investieren.

Otto Penz, Birgit Sauer: Affektives Kapital. Die Ökonomisierung der Gefühle im Arbeitsleben, Frankfurt a. M., Campus, 2016, 245 Seiten, 34,95 Euro.

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