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Rohr frei. Um die neue Technik einzusetzen, müssen Kommunen ihre Kanalisationen modernisieren.

© IMAGO

Energiegewinnung: Strom aus dem Klo

In neuen Anlagen machen Bakterien Biogas aus Fäkalien. Wie aus Abwasser Energie gewonnen werden kann.

Wasserlose Urinale, Spülkästen mit Stopptaste, Spar-Duschköpfe: Die Deutschen sparen mit Leidenschaft Wasser. Verbrauchten sie vor 20 Jahren im Durchschnitt noch 147 Liter am Tag, waren es 2008 nur noch 123 Liter. Doch was den Geldbeutel schont, hebelt das Funktionsprinzip des deutschen Kanalnetzes aus. Denn dieses benutzt Wasser als Transportmittel für Fäkalien. Die Reste fließen nur langsam ab oder bleiben bis zum nächsten Regenguss in Kanalrohren liegen. Die Folge sind Gerüche und die Zersetzung von Beton-Kanalrohren.

Aus der Wassernot im Kanalnetz lasse sich aber auch eine Tugend machen, meint Jörg Londong. Denn Abwässer, die Fäkalien in hoher Konzentration enthielten, eigneten sich für die Biogasproduktion, sagt der Professor für Siedlungswasserwirtschaft an der Bauhaus-Universität Weimar. „Je mehr Biomasse in einem Liter Wasser ist, desto effizienter wandeln Bakterien sie in Biogas um.“

Doch es gibt einen Haken: Um Biogas aus Abwässern herzustellen, müsste eine grundsätzlich neue Infrastruktur her. Denn erstens verdünnt abfließendes Regenwasser die Abwässer, was sie als Rohstoff untauglich macht. Zweitens verläuft die Zersetzung von organischen Substanzen wie Kot und Urin zu Biogas umso effizienter, je wärmer sie sind. Beim langsamen Fließen durch das Kanalnetz kühlen die Abwässer aber ab. Ein neues System müsste Regen- und Schmutzwasser getrennt führen. Zudem sollte der Weg zum Klärwerk möglichst kurz sein.

Deshalb plädieren Experten wie Londong für ein dezentralisiertes Abwassersystem. Statt eines flächendeckenden Rohrnetzes mit einer zentralen Kläranlage würden Städte in Einheiten von rund 10 000 Einwohnern aufgeteilt, die über ein jeweils eigenes Kanalnetz mit Biogasanlage verfügen. „Das Gas kann vor Ort in einem Blockheizkraftwerk verbrannt werden“, sagt Londong. Dadurch entstehe die Wärme dort, wo sie verbraucht werde.

In Hamburg soll 2011 der erste Versuch in einer deutschen Großstadt starten. Im Stadtteil Wandsbek soll ein Neubauviertel mit 700 Wohneinheiten und einem eigenen Abwassernetz entstehen. Das Toilettenabwasser, das sogenannte Schwarzwasser, soll getrennt von den restlichen Abwässern zu einer Biogasanlage geführt werden. Um es möglichst wenig zu verdünnen, erhalten die Wohnungen Vakuumtoiletten, ähnlich jenen in Flugzeugen. Sie verbrauchen pro Spülung kaum einen Liter Wasser, fast zehnmal weniger als eine herkömmliche Spülung. Im Reaktor der Biogasanlage entstehe dann Gas mit einem hohen Anteil brennbaren Methans, erklärt der Chemiker Kim Augustin vom Unternehmen Hamburg Wasser. Übrig bleibt ein Gärrest, der die Düngerstoffe Phosphor und Stickstoff enthält und auf Felder gebracht werden soll. Das Wasser, das aus der Anlage kommt, wird allerdings nicht sauber genug sein, um es in die Natur zu entlassen. Es kommt in die Kanalisation.

Mit dem Biogas wollen die Hamburger ein Blockheizkraftwerk antreiben, das Warmwasser bereitet und einen Teil der Wohnungen beheizt. Zudem soll es Wärmepumpen betreiben. So soll der gesamte Wärmebedarf und – unterstützt von Solarzellen – die Hälfte des Strombedarfs der Siedlung gedeckt werden.

Dass sich aus Abwässern effizient Energie gewinnen lässt, zeigt eine Siedlung mit 100 Gebäuden in der badischen Kleinstadt Knittlingen. Hier leitet ein Vakuumrohrsystem Abwasser und zerkleinerte Küchenabfälle zu einer Biogasanlage. Die erzeuge Gas mit einem Energiegehalt von 100 Kilowattstunden pro Einwohner und Jahr, sagt Projektleiter Walter Trösch vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart.

„Wir wollen zeigen, dass neue Abwasserentsorgungssysteme auch in einer Großstadt funktioniert“, sagt Kim Augustin über den Versuch in Hamburg. In 50 Jahren werde Deutschland neue Abwassersysteme brauchen. Mehr als ein Fünftel des Kanalnetzes sei über 50 Jahre alt, auch genüge es neuen Anforderungen nicht. So gebe es keine Lösung für die Belastung des Abwassers mit Arzneimittelrückständen, Hormonen oder Pflanzenschutzmitteln. In einigen Bundesländern darf der schadstoffbelastete Klärschlamm nicht mehr als Dünger ausgebracht werden, sondern wird verbrannt. So wird der natürliche Kreislauf des Phosphors unterbrochen. Da Phosphor als Dünger unersetzbar ist, müsste er importiert werden. Aus konzentrierten Abwässern lasse sich Phosphor leichter gewinnen als aus herkömmlichen, sagt Augustin. In Knittlingen wurden bereits Phosphat und Ammonium als Struvit, ein Phosphor und Stickstoff enthaltender Dünger, aus dem Ablauf der Kläranlage ausgefällt.

Dezentrale Systeme könnten also ein Zukunftsmodell sein. Es gibt aber noch ungeklärte Fragen. Etwa die nach der wirtschaftlichen Größe eines dezentralen Abwasserentsorgungsnetzes. Die Knittlinger Anlage soll die Praxistauglichkeit der Technik zeigen, ist aber zu klein für den Routinebetrieb. „Die Mengen an Phosphor und Stickstoff, die wir recyceln, lohnen kaum den Aufwand“, räumt Trösch ein. Er schätzt die optimale Siedlungsgröße auf 3000 bis 10 000 Einwohner.

Die Debatte dreht sich zudem um die grundsätzliche Realisierbarkeit. Diese sei vielerorts noch nicht gegeben, sagt Johannes Pinnekamp von der Rheinisch- Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen. Denn das Kanalsystem hat viel Geld gekostet: 80 Prozent der Investitionskosten der Abwasserentsorgung fließen in das Netz. „Es dauert 80 Jahre, bis ein Kanalnetz abgeschrieben ist“, sagt Pinnekamp. „Vorher kann man es nicht aufgeben, weil es nicht bezahlt ist.“ Gerade in Ostdeutschland seien viele Rohre erst zehn oder 15 Jahre alt.

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