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Forscher im Inneren eines Versuchsreaktors

©  IPP/Torsten Bräuer

Energiegewinnung wie in einem Science-Fiction: Materialforschung bei 100 Millionen Grad Hitze in Greifswald

In Greifswald wird für die Kernfusion geforscht. Wird diese Energiequelle je nutzbar?

Für einen Science-Fiction-Film wäre es die perfekte Kulisse. Ein gewaltiges Knäuel aus Rohren, Pumpen und Leitungen steht da, umschlossen von Gerüsten und Laufstegen, hier und da sind die Wände eines Druckbehälters zu erkennen. Tatsächlich steckt in der Maschine jede Menge Science und nicht weniger Fiction.

In der Experimentieranlage „Wendelstein 7-X“ heizen Forscher Wasserstoffatome bis auf viele Millionen Grad Celsius auf. Eines Tages, hoffen sie, wird es gelingen, Kerne der Wasserstoffatome im großen Stil zu Heliumkernen zu verschmelzen. Bei dieser Kernfusion wird viel Energie frei. Sie könnte dazu beitragen, den globalen Bedarf auf klimafreundliche Weise zu decken, ohne dass große Mengen hochradioaktiver Stoffe anfallen wie bei der Kernspaltung.

Was in der Sonne seit Jahrmilliarden funktioniert, konnte auf Erden bisher nur in Kernwaffen nachgeahmt werden. Kontrollierte Energiegewinnung gelang auch nach jahrzehntelanger Arbeit und vielen Forschungsmilliarden nicht. Wissenschaftler wie Robert Wolf sind trotzdem zuversichtlich, dass sie auf dem richtigen Weg sind und Mitte des Jahrhunderts ein Fusionskraftwerk erstmals Strom liefern könnte.

„Wir schaffen die Grundlagen, indem wir untersuchen, wie das Plasma auch unter extremen Bedingungen beherrschbar ist“, sagt der Forscher vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik IPP in Greifswald, wo die Science-Fiction-Maschine steht.

Rechenpower für die Reaktorform

Wohl noch bekannter ist eine ähnliche Anlage namens „Iter“ (International Thermonuclear Experimental Reactor), die zurzeit in Südfrankreich gebaut wird. Doch Iter folgt einem anderen Prinzip. Das Reaktorgefäß, in dem das Plasma von Magnetfeldern gehalten wird, ist symmetrisch wie ein Donut gestaltet. Bei Wendelstein 7-X hat der „Plasmakochtopf“ geschwungene Formen, die von einem Hochleistungsrechner ermittelt wurden, um die Leistung von 50 supraleitenden Magneten bestmöglich auszunutzen.

„Das Design wurde erst durch Fortschritte in der Rechentechnik in den Neunzigerjahren möglich“, sagt der IPP-Wissenschaftler. Daher habe der „Stellarator“ genannte Anlagentyp einen gewissen Rückstand auf die „Tokamak“-Technologie des Iter, die zunächst schneller vorankam.

Die Greifswalder Forscher glauben aber, dass sie aufholen werden und ihr Konzept sich womöglich durchsetzt. Wolf: „Es ermöglicht einen Dauerbetrieb, was für ein Kraftwerk vielversprechender ist als der zeitlich gepulste Betrieb eines Tokamaks.“

Vorsichtig auf 100 Millionen Grad erhitzen

Wendelstein 7-X, benannt nach einem Alpengipfel nahe dem IPP-Stammsitz in Garching, erzeugte 2016 das erste Wasserstoffplasma. Dazu wird das Gas mit Mikrowellen erhitzt. „Es ist ein ähnliches Prinzip wie beim Mikrowellenofen in der Küche, allerdings ist die Leistung bei uns tausendfach größer, etwa eine Million Watt“, sagt Wolf. „Und wir haben nicht einen, sondern zehn.“

Bis auf Temperaturen von 100 Millionen Grad haben die Physiker das Plasma auf diese Weise schon aufgeheizt. Weil kein Material diese Hitze aushält, muss das Plasma von Magnetfeldern schwebend ohne Kontakt zur Wand gehalten werden.

„Wir steigern die Parameter immer weiter, um zu verstehen, was passiert“, sagt Wolf. „Anfangs wurde für einige Sekunden Plasma hergestellt, inzwischen schaffen wir 100 Sekunden, künftig sollen es 30 Minuten sein.“ Es ist ein Balanceakt: Der magnetische Käfig muss einerseits die Atomkerne dicht beisammenhalten, darf sie aber auch nicht zu gut einschließen. Andernfalls stiege die Temperatur immer weiter über das 100-Millionen-Grad-Optimum für Fusionsreaktionen hinaus.

Hitze und Neutronenbeschuss

Allein das Plasma stabil zu halten, genügt noch lange nicht, um ein Kraftwerk zu betreiben. Dazu sind drei weitere Bedingungen wesentlich: Erstens muss das Plasma „zünden“, sprich, es müssen ausreichend viele Wasserstoffkerne ihre elektrische Abstoßung überwinden und miteinander kollidieren. Nur dann können sie zu Heliumkernen fusionieren und Energie freigeben.

Zweitens muss dabei mehr Energie entstehen, als für die Mikrowellenheizung verbraucht wird. Und drittens muss man die Energie auch nutzen können.

Hierfür arbeiten Forscher an einer Gefäßwand, die viel Wärme aufnehmen und für den Betrieb einer Turbine bereitstellen kann. Sie muss gleichzeitig dem enormen Hitzefluss und dem Beschuss durch Neutronen standhalten.

Wendelstein 7-X ist zu klein, um das Plasma brennen zu lassen und Energie zu liefern. Vielmehr lautet eines der Ziele der Greifswalder Forscher, ein für die Gefäßwände geeignetes Material zu finden, das später in größeren Fusionsreaktoren eingesetzt werden könnte.

Energie für steigenden Bedarf

Derzeit montieren Techniker neue Kacheln, die das Plasmagefäß innen auskleiden. Die Arbeit ist nichts für Klaustrophobiker: Über schmale Luken gelangen die Monteure ins Innere. Das geschwungene Stellaratordesign wird nun vollends sichtbar. Nirgends eine ebene Fläche. Wände, Decke und Boden gehen fließend ineinander über. Neue Elemente für die Innenverkleidung sind deswegen weder schnell produziert noch eingebaut. Im Gegenteil, sie sind eine Wissenschaft für sich.

„Die Basis bildet eine Legierung aus Kupfer, Chrom und Zirkon, darin eingefräst sind Wasserkanäle – um den gesamten Reaktor werden 600 Kühlkreisläufe entstehen“, erläutert Wolf. Auf der dem Plasma zugewandten Seite befindet sich faserverstärkter Kohlenstoff, ein guter Wärmeleiter. Beide Schichten sind mit weichem Kupfer verbunden, das die unterschiedliche Verformung bei Hitzeeinwirkung ausgleicht.

„Das Wasser führt die Wärme ab, in unserem Fall in einen großen Pool, wo es auskühlt. In einem Kraftwerk würde es eine Dampfturbine mit einem elektrischen Generator antreiben.“

Doch davon sind weltweit alle Experimente noch weit entfernt. Ist die Kernfusion womöglich eine Nummer zu groß für die Menschheit?

Wolfs Antwort ist klar, sonst wäre er nicht hier. Auch das Argument, die Technik komme zu spät im Kampf gegen den Klimawandel, teilt er nicht. „Unser Wohlstand hängt von der Verfügbarkeit von Energie ab, der Bedarf ist groß und dürfte weiter steigen“, sagt der Forscher. „Es wäre unklug, bestimmte Pfade von vornherein auszuschließen.“

Das tun die 35 an Iter beteiligten Nationen, darunter Deutschland, bisher nicht. Ob alle die auch künftig zu erwartenden Kostensteigerungen mittragen, ist offen. Der Weg ist noch weit. Iter ist ein sehr großes Experiment, wird aber selbst keinen Strom erzeugen. Das soll das „Demo“-Kraftwerk tun, etwa ab 2050.

Superschwerer Wasserstoff

China ist zuversichtlicher – und entschlossener, laut Medienberichten soll dort schon um 2040 ein Fusionskraftwerk stehen. „Das Land investiert tatsächlich sehr stark in die Fusion, 2040 halte ich trotzdem für sehr optimistisch“, sagt Christian Theiler vom Swiss Plasma Center an der École polytechnique fédérale de Lausanne.

„China entwickelt zurzeit einen Tokamak vergleichbar mit Iter. Anders als die Anlage in Frankreich, die zu 70 Prozent fertig gestellt ist, ist das Projekt in China noch vorwiegend in Planung. Und auf dem Weg zu einem Kraftwerk sind noch einige wichtige Fragen zu klären.“

Beispielsweise müsse sichergestellt werden, dass das Plasma die umliegende Wand nicht beschädigt. Zudem sei für einen effizienten Betrieb neben dem Wasserstoffisotop Deuterium, das aus dem Meer gewonnen werden kann, auch superschwerer Wasserstoff, Tritium genannt, erforderlich. Dieses kommt wegen seiner kurzen Halbwertszeit von 12,3 Jahren in der Natur praktisch nicht vor und soll mithilfe der Neutronen des Reaktors aus Lithium in der Gefäßwand erbrütet werden. „Der Beweis muss noch erbracht werden, dass dabei die erforderlichen Menge erzeugt werden kann.“

Theiler ist überzeugt, dass Iter weiterhin gebraucht wird. „Er wird bis auf Weiteres die Hauptmaschine für die Fusionsforschung bleiben und wenn seine Ziele erreicht werden, kann es auch bei uns dann relativ schnell gehen.“

Spirit und frischer Wind

Doch nicht nur China versucht, den Traum vom „Sonnenfeuer auf Erden“ schneller wahr werden zu lassen. Das gleiche Ziel haben verschiedene Start-ups in den USA. Sie setzen auf technische Revolutionen wie etwa die Hochtemperatur-Supraleitung. Sie soll es ermöglichen, Magnete stärker zu machen und Reaktoren kleiner zu bauen.

Zum Vergleich: Das Plasmagefäß des Iter hat einen Durchmesser von 19 Metern, die Hülle und zusätzliche Umbauten sind weitaus raumgreifender. Eine kleinere Anlage, so die Hoffnung, ließe sich schneller zum Laufen bringen.

„Ich denke, dass die eine oder andere Idee das Feld voranbringt, aber viele unterschätzen die Komplexität“, sagt Klaus Hesch, Sprecher des „Fusion“-Programms am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Wenn trotzdem rasche Fortschritte in Aussicht gestellt werden, dürfte das auch damit zu tun haben, dass die Projekte auf private Geldgeber angewiesen sind, die nicht das Interesse verlieren sollen.

Tatsächlich wurden laut dem Newsportal Bloomberg bereits mehrere 100 Millionen Dollar investiert. „Was man den Leuten zugutehalten muss, ist ihr Spirit: Wir packen das an und wollen es schaffen“, meint Hesch. „Gerade in der Fusionsforschung, die seit Jahrzehnten läuft, ist das angenehm erfrischend.“

Ein frischer Wind ist allemal hilfreich, denn die Forscherinnen und Forscher brauchen viel Geduld – auch in Greifswald. Voraussichtlich bis Ende 2021 werden die Umbauten an Wendelstein 7-X dauern. Dann soll das Experiment wieder eingeschaltet werden.

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