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Vor dem Hauptgebäude der Freien Universität Amsterdam ist ein Tulpenbeet zu sehen.

© picture alliance/ANP

Englisch als Wissenschaftssprache: Niederländischer Kulturphilosoph warnt vor "fast totalitärer" Anglisierung

An den Unis von Amsterdam bis Tilburg wird zunehmend auf Englisch gelehrt. Ein Kulturphilosoph protestiert – und löst eine landesweite Debatte aus. In Deutschland wird sie schon länger geführt.

Englisch ist die Lingua Franca der globalisierten Wissenschaft. Um in der scientific community wahrgenommen zu werden, müssen Forscherinnen und Forscher Englisch beherrschen und auf Englisch publizieren können. Aber müssen deshalb immer mehr Studiengänge komplett auf Englisch umgestellt werden und auch nationale Kongresse auf Englisch abgehalten werden? In Deutschland beklagt der Arbeitskreis Deutsch als Wissenschaftssprache diese Entwicklung seit Jahren, fordert stattdessen eine „differenzierte Mehrsprachigkeit“, in der auch das Deutsche zu seinem Recht kommt. Jetzt hat die Diskussion auch die Niederlande erfasst – angestoßen von Ad Verbrugge, Kulturphilosoph an der Freien Universität Amsterdam (VU Amsterdam).

Lecture Hall, Ground Floor - muss denn alles auf Englisch sein?

Den letzten Ausschlag zum Protest gab eine Konferenz in Tilburg, zu der Verbrugge kürzlich eingeladen war. „Dante Building“, „Lecture Hall“, „Ground Floor“ – schon die Bezeichnungen der Unigebäude waren anglisiert. Und die Diskussion, an der Verbrugge teilnahm, fand auf Englisch statt, obwohl die meisten Anwesenden einen niederländischen Hintergrund hatten, wie er sagt. In einem Artikel in „de Volkskrant“ und „NRC Handelsblad“ machte sich der Kulturphilosoph Luft, eine weitere Zeitung in Flandern druckte ihn nach, und eine landesweite Debatte nahm ihren Lauf.

Ein Porträtfoto zeigt Ad Verbrugge, Kulturphilosoph an der Freien Universität Amsterdam.
Kämpft gegen die Dominanz des Englischen auf dem Campus: Ad Verbrugge, Kulturphilosoph an der Freien Universität Amsterdam.

© Promo/Merlijn Doomernik

Verbrugge warnt plakativ vor einer schleichenden, „fast totalitären“ Anglisierung der niederländischen Wissenschaftsszene, die mit einer Vernachlässigung der eigenen Sprache einhergehe. Um Missverständnissen und falschem Beifall vorzubeugen, stellt er gleich klar, dass er nichts gegen Englisch habe, dann müsse es aber auch beherrscht und nötigenfalls gelehrt werden, damit es nicht auf dem Status eines „Globish“ stehen bleibt. Ein Wortschatz von gerade einmal 1500 Wörtern und eine vereinfachte Grammatik reichten einfach nicht aus, schreibt Verbrugge. Gutes Englisch lasse sich zudem nur in einer „sprachfähigen und sprachreichen Umgebung“ erlernen.

Niederländisch gerät ins Hintertreffen, ist aber für Karrieren entscheidend

Doch der Sprachreichtum vieler Erstsemester nehme auch im Niederländischen tendenziell ab, der der Studierenden mit Migrationshintergrund erst recht. Schon die Schulen versagten in dieser Hinsicht. Wenn die künftigen Studierenden an der Vrije Universiteit Amsterdam die verpflichteten Sprachprüfungen zur Aufnahme des Studiums bestanden hätten, würde keiner mehr nach Sprachpflege fragen. Sorgfältiges Lesen und Schreiben, das Analysieren von Texten, der Sprachgebrauch, der Stil, all das werde in vielen Studienrichtungen vernachlässigt, kritisiert Verbrugge. Wer aber eine fremde Sprache lernen wolle, müsse zunächst die eigene gut beherrschen.

Das Argument, dass die Wissenschaft internationaler werde, lässt er nicht gelten. „Die meisten Studierenden werden gerade nicht in der Wissenschaft arbeiten, sondern in der Wirtschaft, dem Bildungswesen oder beim Staat“, sagte Verbrugge dem Tagesspiegel. Ob sie dort wirklich vor allem gutes Englisch benötigen, müsse bezweifelt werden. Gutes Niederländisch würde ihnen wahrscheinlich mehr nützen. Im Öffentlichen Dienst, in der Rechtsprechung, im Gesundheitswesen und in den Medien jedenfalls bleibe die Landessprache entscheidend.

Sprach-Studiengänge sollen zu einem Bachelor-Programm vereint werden

Anstatt die Unis weiter zu anglisieren, müssten sie zu Orten der Diversität werden, des Sprachen- und Kulturreichtums, fordert Verbrugge. Dem stehe aber die Reduzierung der Philologien auf einen allgemeinen Bachelor entgegen. Geplant ist, die Sprachen-Bachelorstudiengänge sowie andere Geisteswissenschaften nach amerikanischem Vorbild aus Spargründen zu einem Bachelor-Programm zusammenzufassen. Wie solle unter diesen Vorgaben Integration verlaufen, fragt Verbrugge. Wie sollen sich Einwanderer integrieren, wenn die akademische Welt das Niederländische abschreibt? „Ich kenne nicht wenige zugewanderte Wissenschaftler, die seit Jahren hier leben, aber nicht die Notwendigkeit sehen, Niederländisch zu lernen.“ Die vermeintliche Internationalisierung führe auch zu komischen Erscheinungen. Da wehrten sich Studierende gegen die Vereinheitlichung der Sprachstudien, reden aber gleichzeitig bei ihren Protesten Englisch, weil sie sich als Teil einer globalen Bewegung sehen.

Pflege der Muttersprache als Gesellschaftspolitik

Verbrugge sieht das Sprachenproblem in einem größeren Zusammenhang. „Es geht mittlerweile um das Verhältnis der Elite zum Volk. Die Anglisierung des Wirtschaftslebens stößt auf immer größeren Widerstand, die sprachliche Kluft zwischen Managementkultur nach englischem Vorbild und Arbeitnehmern wächst.“ Sein Weckruf findet sich denn auch in einem Manifest des von ihm mitbegründeten Sprachkollektivs (Taalcollectief) wieder. Hier soll sich der Protest gegen die Anglisierung und für die Pflege der Muttersprache „aus gesellschafts- und bildungspolitischen Gründen“ formieren.

Tatsächlich scheint sich politisch etwas zu bewegen. Die Sozialistische Partei SP hat im Parlament eine Anfrage zur Anglisierung der Unis gestellt. Und die Christdemokraten wollen Ad Verbrugge nach der Sommerpause in der Ständigen Kommission für Wissenschaft anhören. Einen Achtungserfolg glaubt Verbrugge auch an seiner eigenen Uni für sich verbuchen zu können: Die Einladung zur Eröffnung des akademischen Jahres im Herbst sei erstmals wieder auf Niederländisch verfasst worden.

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