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Liberale und Konservative nehmen die Welt unterschiedlich wahr, sagen Forscher. Das liegt unter anderem an den Genen. Im Bild: Anhänger von Barack Obama, Präsidentschaftskandidat der Demokraten.

© AFP

Erbgut: Die politische Einstellung steckt in den Genen

Links oder rechts? Darüber entscheidet auch unser Erbgut, sagen Wissenschaftler. Ihre Forschung erklärt, weshalb Konservative die Welt mit anderen Augen sehen – und warum Gene unsere politischen Ansichten mitbestimmen.

Aristoteles wusste es schon vor 2000 Jahren. Der Mensch sei „von Natur aus ein politisches Tier“, schrieb der griechische Philosoph in seiner „Politik“. Der Satz ist das Lieblingszitat einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern, die zurzeit die Erforschung der Politik umkrempeln. Sie untersuchen, wie die Gene eines Menschen seine politischen Überzeugungen beeinflussen.

Der Zweiklang von Politik und Genetik klingt gefährlich nach Eugenik, und so traute sich lange Zeit niemand, so eine Frage ernsthaft anzugehen. Einen Anfang machten Nicholas Martin, Lindon Eaves und Hans Eysenck 1986. Im Fachblatt „PNAS“ veröffentlichten sie eine klassische Zwillingsstudie. Dabei machten sich die Forscher zunutze, dass eineiige und zweieiige Zwillinge zwar dasselbe Elternhaus und Umfeld haben, aber nur eineiige Zwillinge auch ihr gesamtes Erbgut teilen. Ähneln sich eineiige Zwillinge in einer bestimmten Eigenschaft im Schnitt mehr als zweieiige, so liegt das also an den Genen. Aus den Unterschieden der beiden Zwillingsgruppen in einer bestimmten Eigenschaft lässt sich errechnen, wie stark der Einfluss der Gene darauf ist.

Die Eigenschaft, die Martin und Kollegen an 4600 Zwillingspaaren aus Australien und Großbritannien untersuchten, war ihre politische Überzeugung, also etwa ihre Einstellungen zu Todesstrafe und Abtreibung, Gewerkschaften und Einwanderung. Im angelsächsischen Raum werden diese Einstellungen meist auf einer Skala Liberal-Konservativ verortet, was in Deutschland in etwa Links-Rechts entspricht. Das Ergebnis der Forscher war ein Tabubruch: Die Unterschiede in den politischen Ansichten seien etwa zur Hälfte auf die Gene zurückzuführen.

Doch die Schlussfolgerung verhallte ungehört. „Vielleicht waren die Leute einfach nicht bereit“, sagt der Politikwissenschaftler John Hibbing von der Universität Nebraska. 2005 veröffentlichte er eine Studie, die die gleichen Zusammenhänge zwischen Genetik und Politik zeigte. Dieses Mal gab es ein Echo, wenn auch kein freundliches. „Die meisten Politikwissenschaftler fanden die Behauptung, Genetik könnte bei der politischen Orientierung eine Rolle spielen, absurd und sogar gefährlich“, sagt Hibbing. Er erhielt etliche anonyme E-Mails, die seine Arbeit schmähten. Viele Menschen schienen das Ergebnis instinktiv abzulehnen.

Ein möglicher Grund: Die Ergebnisse legen nahe, dass die politischen Überzeugungen eines Menschen zum Teil von Kräften geformt werden, derer er sich nicht bewusst ist. „Viele glauben, dass unsere politischen Überzeugungen rational sind und dass wir sie durch sorgsames Abwägen von Argumenten erreichen“, sagt Hibbing. „In Wirklichkeit sind sie aber nicht rational, wir rationalisieren sie nur hinterher.“

In seinem neuen Buch „The Righteous Mind. Why Good People Are Divided by Politics and Religion“ vergleicht der Psychologe Jonathan Haidt die Rolle unseres Verstands mit der eines Regierungssprechers. „Egal, wie schlecht ein Gesetzentwurf ist, der Regierungssprecher wird einen Weg finden, ihn zu loben. Manchmal wird es eine peinliche Pause geben, während er die richtigen Worte sucht, aber was Sie niemals hören werden ist: ,Hey, das stimmt. Vielleicht sollten wir das Gesetz noch einmal überdenken.’ Regierungssprecher können das nicht sagen, weil sie nicht die Macht haben, Gesetze zu ändern. Ihnen wird erzählt, was das Gesetz ist und sie sollen Belege und Argumente finden, die dieses Gesetz gegenüber der Bevölkerung begründen.“

Gene prägen die Persönlichkeit eine Menschen

Es gab auch wissenschaftliche Kritik an Hibbings’ Studie. So wurde behauptet, eineiige Zwillinge würden von ihrem Umfeld anders behandelt als zweieiige und das verfälsche das Ergebnis. Genetiker hingegen überraschte das Ergebnis kaum. Schließlich zeigen ihre Untersuchungen seit 40 Jahren, dass die Gene die Persönlichkeit eines Menschen prägen.

Tatsächlich sind inzwischen zahlreiche Studien in Australien, Dänemark, Schweden und anderen Ländern zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Zuletzt erschien im September eine Analyse von Pete Hatemi und Rose McDermott in „Nature Reviews Genetics“. Darin haben sie alle Zwillingsstudien, die in den Jahren 1974 bis 2012 veröffentlicht wurden, zusammengefasst. Für die meisten politischen Themen fanden die Forscher einen großen genetischen Anteil (siehe Grafik).

Einfluss des Erbguts und der Umwelt auf politische Überzeugungen.
Einfluss des Erbguts und der Umwelt auf politische Überzeugungen.

© Hatemi & McDermott/Tagesspiegel

Eine Ausnahme bildet interessanterweise die Parteizugehörigkeit. Sie wurde vor allem in den USA untersucht – und ob jemand Demokrat oder Republikaner wird, hängt offenbar in erster Linie davon ab, ob seine Eltern Demokraten oder Republikaner waren. „Parteizugehörigkeit ist vor allem sozial bestimmt“, sagt Hibbing. Das Phänomen sei auch aus Religionen bekannt: Die meisten Menschen seien in der Kirche, der ihre Eltern angehörten, ihre religiösen Überzeugungen jedoch unterschieden sich häufig stark von denen der Eltern.

Ohnehin behauptet kein Forscher, dass es ein Gen für Konservatismus oder Sozialdemokratie gibt. Vermutlich haben Hunderte oder Tausende Gene einen Einfluss auf unsere politischen Überzeugungen. Und diese Gene geben dem Individuum lediglich eine Prädisposition mit, sie beeinflusst ein wenig, wie der Mensch die Welt sieht, wie er auf sie reagiert. Der Rest passiert ganz von allein.

So sind zum Beispiel Menschen, die eine bestimmte Variante des Dopaminrezeptors D4 tragen und viele Freunde haben, liberaler als der Durchschnitt. Menschen, die diese Genvariante tragen, das ist aus anderen Untersuchungen bekannt, suchen häufiger nach neuen Erfahrungen. Zusammen mit einem großen sozialen Umfeld könnte das dazu führen, dass sie mehr verschiedene Erfahrungen machen, was wiederum dazu führen könnte, dass sie liberale Überzeugungen entwickeln. Andere Studien haben andere Botenstoffe im Gehirn wie NMDA, Serotonin oder Glutamat mit liberalen oder konservativen Überzeugungen verknüpft.

Der Neurowissenschaftler Gary Marcus hat vorgeschlagen, das Gehirn wie ein Buch zu sehen, dessen erster Entwurf während der Entwicklung des Embryos geschrieben werde. Kein Kapitel sei bei der Geburt fertig geschrieben, aber es bestehe auch keines, ob Sprache oder Moral, aus leeren Seiten.

In der Tat können bestimmte einschneidende Erfahrungen, wie eine Scheidung oder der Verlust des Jobs, die genetischen Prädispositionen überschreiben. Die meisten Erlebnisse ändern die politische Überzeugung aber nicht langfristig. Wie Lottogewinner, die nach einer kurzen Zeit des Glücks wieder zu ihrem üblichen Zufriedenheitslevel zurückkehren, scheint es auch eine robuste politische Prägung zu geben, zu der Menschen meist Zuflucht nehmen.

Aber warum sollten Gene, die sich über Jahrmillionen verändert haben, um den Menschen an seine Umwelt anzupassen, überhaupt einen Einfluss auf politische Überzeugungen haben? Schließlich hat die Evolution unser Erbgut geformt, um das Überleben von unseren Jäger-Sammler-Vorfahren zu erhöhen. Und die hatten mit anderen Problemen zu kämpfen als Steuern und Wahlen. Was hat die Biologie mit der Ideologie zu tun?

Sehr viel, sagen Psychologen. Bei vielen politischen Fragen unserer Zeit geht es um dieselben Themen, mit denen sich schon unsere Vorfahren beschäftigen mussten: Fortpflanzung, Verteidigung, Kooperation, Überleben. So berührt Einwanderungspolitik die uralte Frage, wen wir als Teil unserer Gruppe akzeptieren, soziale Sicherungssysteme werfen die Frage auf, wie Ressourcen am besten aufgeteilt werden, und Außenpolitik beschäftigt sich maßgeblich mit dem Schutz der eigenen Gruppe gegen andere Gruppen.

Der Unterschied liegt im Gehirn

Jonathan Haidt hat fünf moralische Fundamente ausgemacht, auf denen unsere Werturteile gründen: Fürsorge, Fairness, Loyalität, Autorität und Reinheit. Für jedes dieser Module sieht Haidt gute evolutionäre Gründe. So habe die Evolution Frauen und Männer begünstigt, die der Anblick eines leidenden Kindes berührt und zum Handeln animiert (Fürsorge). Ein Gerechtigkeitsempfinden sei wichtig gewesen, um in einer kooperativen Gemeinschaft nicht über den Tisch gezogen zu werden (Fairness) und Ekel vor Körperflüssigkeiten oder bestimmten Tieren habe Menschen davor geschützt, sich mit einer Krankheit anzustecken (Reinheit). Für Haidt sind die fünf Kategorien so etwas wie die Primärfarben unserer Moral. Aus ihnen lassen sich die verschiedensten Charaktere mischen – und offenbar ist genau das bei Liberalen und Konservativen der Fall. Während Liberale ihre politischen Überzeugungen vor allem aus Fairness und Fürsorge ableiten, werten Konservative alle fünf Module etwa gleich stark.

Liberale und Konservative (im amerikanischen Sinne) wünschen sich sogar ihre Hunde entsprechend dieser moralischen Matrix, sagt Haidt. Liberale wollten Hunde, die sanft seien (Fürsorge) und ihrem Herrchen nicht unterwürfig, sondern als Freund gegenüberstehen (Fairness). Konservative hingegen wollen von ihren Hunden auch Treue (Loyalität) und Gehorsam (Autorität).

Viele Studien bestätigen inzwischen, dass Konservative und Liberale die Welt mit unterschiedlichen Augen sehen. So konnten Hatemi und McDermott zeigen, dass Liberale sich bei politischen Bildern stärker auf Gesichter konzentrieren, während Konservative die Teile des Bildes länger anschauten, die patriotische Symbole zeigten, oder Gegenstände, die Furcht einflößen.

Bei Anhängern konservativer Positionen ist das Gehirn oftmals anders aufgebaut als bei liberalen Menschen, zeigen Versuche mit einem Hirnscanner.
Bei Anhängern konservativer Positionen ist das Gehirn oftmals anders aufgebaut als bei liberalen Menschen, zeigen Versuche mit einem Hirnscanner.

© AFP

In einer anderen Studie zeigten Forscher Testpersonen Bilder einer Wunde mit Maden oder einer Spinne, die über ein ängstliches Gesicht krabbelt, und maßen ihre körperlichen Reaktionen, wie den elektrischen Widerstand der Haut, der sich bei Erregung verändert. Menschen, die unter anderem für die Todesstrafe und Schulgebete waren, aber gegen schärfere Waffengesetze oder die Homoehe, zeigten eine deutlich höhere Schockreaktion als Menschen mit liberalen Überzeugungen. „Konservative reagieren offenbar von Natur aus stärker auf negative oder bedrohliche Reize. Das ist der Hauptunterschied.“

Und er zeigt sich auch im Gehirn. Ryota Kanai vom University College London hat 90 Studenten im Hirnscanner untersucht. Testpersonen, die sich als sehr konservativ bezeichneten, hatten im Schnitt eine größere Amygdala. Die mandelförmige Struktur ist daran beteiligt, Bedrohungen zu erfassen und auf sie zu reagieren. „Anhand der Bilder konnten wir mit einer Trefferquote von 70 Prozent vorhersahen, ob eine Testperson liberale oder konservative Überzeugungen hegte“, sagt Kanai.

Ob die Unterschiede im Gehirn Ursache oder Wirkung der politischen Einstellung sind, kann so eine Studie nicht klären. Aber sie bestätigt die Sicht der Psychologen, dass Konservative und Liberale die Welt unterschiedlich wahrnehmen.

„Wenn wir erkennen, dass Menschen, mit denen wir politisch nicht übereinstimmen, die Welt anders wahrnehmen als wir und nicht einfach blöd sind, vielleicht können wir dann auch wieder freundlicher miteinander sprechen“, sagt Hibbing.

Ohnehin gelten die Ergebnisse nicht für alle Wähler. Hibbing schätzt, dass am rechten und linken Rand des politischen Spektrums jeweils etwa 20 Prozent der Bevölkerung eine so starke politische Prägung haben, dass ihre Meinung kaum zu ändern ist. „Aber in der Mitte gibt es viele Menschen mit sich widersprechenden Prädispositionen, die für die eine oder andere Seite gewonnen werden können.“ Zu ihnen gehören die begehrten „swing voters“, auf die Obama und Romney ihre Arbeit konzentrieren.

Und dann gibt es noch die Nichtwähler. Der Forscher John Dawes hat die Daten eines Zwillingsregisters in Kalifornien mit den Wahldaten von Los Angeles verglichen. Auch hier zeigten sich starke Unterschiede zwischen eineiigen und zweieiigen Zwillingen. Ob wir überhaupt wählen gehen, hänge zu 60 Prozent von unseren Genen ab, folgerte Dawes.

Studien in anderen Ländern haben Menschen untersucht, die an Demonstrationen teilnehmen oder an ihren Abgeordneten schreiben, und sind zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Mancher Mensch ist offenbar von Natur aus kein politisches Tier.

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