zum Hauptinhalt
Gewappnet. Die „Cardboard Cathedral“ in Christchurch wurde nach dem schweren Erdbeben 2011 als Ersatzbau für 50 Jahre errichtet. Sie besteht vorrangig aus beschichteten Kartonröhren und Holz. So soll sie Erschütterungen besser ausgleichen als ein Steingebäude.

© AFP

Erdbebensicheres Bauen: Auf schwingendem Grund

In Neuseeland gibt es häufig Erdbeben. Mit Stahl, Gummi und Holz versuchen Ingenieure, die Häuser zu schützen.

Das Erdbebenrisiko ist in Neuseeland hoch, das weiß jeder. Wann genau der Untergrund erzittert, weiß aber keiner. So überraschte auch das jüngste Starkbeben die Einwohner der Südinsel in den frühen Morgenstunden des 14. November. Obwohl die Magnitude 7,8 erreichte, kamen nur zwei Menschen ums Leben. Das letzte Beben dieser Stärke in Neuseeland, am 3. Februar 1931, hatte die Städte Napier und Hastings fast völlig zerstört.

Das aktuelle Erdbeben vom 14. November hat auf einer Fläche von 7000 Quadratkilometern zwischen 80 000 und 100 000 Erdrutsche ausgelöst, berichtet John Risto, Erdbebenforscher von „GeoNet“, einem landesweiten Monitoring-System für geologische Vorgänge. Die betroffene Region habe Glück gehabt, dass die Schäden nicht größer ausfielen, sagt er. „Etwa die Hälfte der Erschütterungen ereignete sich im Pazifischen Ozean, was dazu beitrug, das Schadensausmaß zu begrenzen.“

Häuser kollabierten, Feuer brach aus

Das Christchurch-Erdbeben 2011 mit einer Magnitude von 6,2 hatte dramatischere Auswirkungen, da sich das Epizentrum gerade zehn Kilometer außerhalb der Innenstadt befand. 185 Menschen starben. Hochhäuser und historische Kirchengebäude kollabierten, Feuer brachen aus, viele gerieten in Panik.

Um sich besser gegen künftige Erdstöße zu wappnen, haben viele Neuseeländer seit dem Christchurch-Beben in die Sicherheit ihrer Häuser investiert. So zum Beispiel der Tourismus-Manager Chris Voisin. 2008 hatte er ein Haus im viktorianischen Stil im Zentrum von Christchurch gekauft, um dort Zimmer an Backpacker zu vermieten. „Es war auf den ersten Blick ein solide gebautes Holzhaus“, erzählt Voisin. „Holz hält Erdbeben besser stand, weil es elastisch ist und nicht bricht wie eine Steinmauer“. Indes, das Fundament des Hauses bestand aus Ziegelsteinen wurde bei dem Beben 2011 nachhaltig beschädigt. Ohne Investitionen in die Baustatik, das war dem früheren Versicherungsagenten klar, wäre es auf dem Immobilienmarkt bald nur noch die Hälfte wert. „Zuerst bekommen die Wände Risse, dann wird das Gebäude instabil, und schließlich wird es gänzlich unbewohnbar“, sagt er.

Das Haus vom Erdreich entkoppeln

Eine aufwendige, erdbebentechnische Instandsetzung begann. Mithilfe von Hydraulikpumpen wurde das Gebäude um etwa 20 Zentimeter angehoben und anschließend alle Erdgeschossböden des Hauses entfernt. Vier Dutzend Lkw-Fuhren waren notwendig, um das von mehreren Beben zu Wellen verformte Erdreich abzutransportieren. Am Ende senkten die Arbeiter das Haus auf 52 bewegliche Lager aus Holz und Stahl herab, die auf dem geebneten Boden aufliegen. „Base isolation“ nennt sich die Methode, mit der ein Haus vom darunterliegenden Erdreich entkoppelt werden soll.

Grundzüge dieser Methode sind bereits aus dem sechsten Jahrhundert v. Chr. bekannt. Stefano Pampanin von der Universität von Canterbury in Christchurch und sein Team haben sie in den vergangenen Jahren entscheidend verbessert. Mitunter werden auch verformbare Materialien wie Gummi oder Blei benutzt. An der Universität wurden zudem verformbare Bauwerke mit „Knautschzonen“ entwickelt, die sich plastisch verformen und so Erdbebenschäden auf bestimmte Bereiche eines Gebäudes konzentrieren, damit andere Teile unversehrt bleiben. Beim Bau von Häuserskeletten oder Brücken gehe es darum, „die auf ein Gebäude einwirkenden großen Kräfte und die unmittelbare Dynamik eines Erdbebens einzudämmen“, sagt Pampanin. Hauptziel der Forschung sei es, „Einstürze zu verhindern und damit Menschenleben zu retten“.

"Shock absorber" nehmen die Energie auf

Die neuen Erkenntnisse werden beim Wiederaufbau von Christchurch berücksichtigt. Zum Beispiel an der Victoria Street, wo zahlreiche Unternehmen ihre vom 2011er Beben getroffenen Bürogebäude neu errichten lassen. Architektur-Designer der Firma „Quoin Structural Consultants“ arbeiteten früher in einem siebenstöckigen Hochhaus, wie Geschäftsführer Gary Haverland erzählt. Das neue Gebäude ist nur noch vier Etagen hoch, steht dafür aber nun auf mühlsteingroßen Roll- sowie kleineren Gleitblöcken, die das Hochhaus vom erdbebenreichen Grund isolieren sollen.

Auch ein Haus weiter, beim Küchendesigner „Matisse“, sind bauliche Veränderungen für jeden Kunden sichtbar. Der Ausstellungsraum wird von massiven Stahlträgern geprägt. „Shock absorber“, die die Wucht der Erdstöße aufnehmen sollen, sind frei zugänglich und können nach einem Erdbebenschaden ausgetauscht werden. Das Treppenhaus des Gebäudes ist komplett mit Holz verschalt.

Kombinationen aus Stahl und Beton werden im Labor getestet

Fast 90 Prozent aller Gebäude in Christchurchs Innenstadt mussten nach dem von Seismologen hier nicht erwarteten, schweren Beben von 2011 abgerissen werden. Noch heute stehen ungezählte Häuserruinen im Zentrum. Eine Katastrophe war das Erdbeben nicht zuletzt für die Versicherungsbranche, denn viele Bewohner waren gut, manche sogar sehr gut versichert. Die meisten haben ihre Erbebenschäden inzwischen ersetzt bekommen. An vielen Stellen der Innenstadt wird gebaut.

Alle neu entwickelten Methoden zum Schutz vor den seismischen Erschütterungen kommen zum Einsatz, sagt Pampanin. Die neuen Häuser von Christchurch haben im Labor erprobte Wände aus Stahl- oder Spannbeton, die auf die verschiedensten Arten mit Elementen aus Holz und Stahl kombiniert werden. Sie wirken deutlich kompakter als vergleichbare Gebäude früherer Generationen. Wo Fensterfassaden Teil der Architektur sind, setzen sich diese aus mehreren, oft massiven Glasscheiben zusammen, die an vielen Stellen durch Stahl-Applikationen verbunden sind. Zwischen den einzelnen Scheiben befinden sich verformbare Fugen, damit die Scheiben bei einem Beben nicht gegeneinanderstoßen.

Die zusätzlichen Kosten seien gering, sagt der Ingenieur

Mit regelmäßig aktualisierten Baurichtlinien zur Erdbebensicherheit hat Neuseeland in Fachkreisen Anerkennung gewonnen. „Die Richtlinien werden hier regelmäßig und häufiger als in anderen Industrieländern auf den neuesten Stand gebracht“, lobt der Ingenieur Pampanin, der im erdbebengeplagten Italien geboren und aufgewachsen ist. Wissenschaftliche Studien gingen binnen kurzer Zeit in technische Regelwerke ein. Dass in Neuseeland erst vor knapp 200 Jahren Siedler eine massive Bauweise einführten, sei eine „gute Voraussetzung, um den bestmöglichen Erdbebenschutz zu bieten“. Die Kosten dafür seien vergleichsweise gering, bei Neubauten machten sie weniger als ein Prozent der Bausumme aus.

Im „Kiwi Basecamp“ für Backpacker hat Chris Voisins Versicherung Kosten für Baumaßnahmen übernommen, die 70 Prozent des Standards für Erdbebenschutz entsprechen. Voisin investierte noch mehr: in stabilere Wände, ein neues Treppenhaus, massive Türen und einen verbesserten Brandschutz mit Sprinkleranlage. Veraltete Fenster, eine weitere Gefahrenquelle bei Erdbeben, hat er durch moderne Schiebefenster ersetzen lassen. Fast einen halben Meter Abstand zwischen dem Erdboden und dem Parterre sehen die Baurichtlinien für das viktorianische Holzhaus vor, sagt Voisin. Wer diese Richtlinien nicht einhält, riskiert in Neuseeland die Gewerbezulassung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false