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© - Foto: Focus/SPL

Erdgeschichte: Kreative Katastrophen

Extreme Klimaveränderungen lassen seit Millionen Jahren immer wieder die meisten Arten aussterben – und schaffen so Platz für neue.

Wo heute Kühe weiden und Metropolen wie Hamburg, Berlin und Warschau stehen, schwappte vor 255 Millionen Jahren das flache „Zechsteinmeer“ am Rande der großen Ozeane. Dieser gigantische Salzsee von der Größe des heutigen Frankreich könnte die Entwicklung der Arten einen wichtigen Schritt weitergebracht und den Dinosauriern den Weg geebnet haben, vermutet Ludwig Weißflog vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig.

An Salzseen im Süden Russlands hatten Weißflog und sein Team entdeckt, dass dort Mikroorganismen Halogenkohlenwasserstoffe produzieren. Diese Gase schädigen die Vegetation und steigen bis in die Stratosphäre auf. Dort zerstören sie Ozon. Ohne diese Schutzschicht würde ultraviolettes Licht schwere Schäden im Erbgut von Tieren und Pflanzen verursachen. Rund vier Millionen Tonnen Halogenkohlenwasserstoffe könnten die Mikroorganismen jedes Jahr im Zechsteinmeer produziert haben, die große Schäden angerichtet haben müssen. Das Zechsteinmeer existierte bis vor rund 251 Millionen Jahren. Genau zu dieser Zeit registrieren Evolutionsforscher das größte Artensterben in der Geschichte des Lebens, dem weit mehr als 90 Prozent aller Arten zum Opfer fielen.

Die Katastrophe hatte nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner: Das Verschwinden der meisten Arten vor gut 250 Millionen Jahren ließ den wenigen Überlebenden viel Platz zur Entwicklung, rasch entstanden damals neue Arten, sie ersetzten die alte Vielfalt des Lebens durch eine neue. Neben den noch heute allgegenwärtigen Muscheln profitierte eine Gruppe der Reptilien, die vor der Katastrophe keine große Rolle gespielt hatte. In den folgenden 200 Millionen Jahren wurden die Dinosaurier zu den erfolgreichsten Landwirbeltieren.

Evolutionsforscher kennen mehrere solcher Massensterben. Zum Gesamtbild der Evolution gehört das Überleben der am besten an die Umwelt angepassten Arten. Um durchschlagenden Erfolg zu haben, müssen diese erfolgreichen Arten auch genug Platz haben. Und den verschaffen ihnen die Massensterben.

Das war bereits vor 700 Millionen Jahren so. Damals durchlief die Erde gleich mehrmals extreme Klimawechsel. Zunächst sanken die Temperaturen kräftig, und große Teile der Erde erstarrten unter einem dicken Eispanzer. Später wurde es dann rasch erheblich wärmer, die Eismassen machten einer Art Saunaatmosphäre Platz. Weil Geologen die Ablagerungen der Gletscher und die mächtigen Kalkschichten, die in den Hitzeepochen entstanden, mehrmals unmittelbar übereinander finden, muss die Erde diesen Zyklus mehrmals durchlaufen haben. Das hielten die meisten Einzellerarten nicht aus. Etwas Neues aber nutzte den Platz: Vor 600 Millionen Jahren tauchten die ersten Mehrzeller auf.

In den Meeren blühte bald das Leben. Mitten in dieses tropische Paradies platzte vor rund 440 Millionen Jahren eine starke Vereisung. Die heutigen Länder Algerien und Marokko lagen damals am Südpol, heute finden sich in den Gesteinen aus dieser Zeit deutliche Spuren von Gletschern. Zwei Millionen Jahre lang wurde aus dem Treibhaus ein Kühlhaus, anschließend schnellten die Temperaturen wieder in die Höhe. Meeresgetier wie Korallen oder Trilobiten verkraftete diesen doppelten Klimaumschwung nicht. Die Hälfte aller Gattungen und ein erheblich höherer Prozentsatz der Arten verschwand von der Erde. Im Meer aber war jetzt viel Platz, den eine neue Gruppe weidlich nutzte – die Fische.

Bald breiteten sich die ersten Pflanzen an Land aus, Bäume schlugen ihre Wurzeln in Felsspalten, Wälder wuchsen. Genau diese könnten das nächste Massenaussterben vor rund 370 Millionen Jahren ausgelöst haben, vermutet Wolfgang Kießling vom Berliner Museum für Naturkunde.

Die Wurzeln der Bäume drangen in den jungfräulichen Boden vor und mobilisierten dort etliche Nährstoffe, die unberührt im Boden lagerten. Kräftiger Regen spülte die Nährstoffe ins Meer. Dort vermehrte sich das Plankton massenhaft und zehrte den Sauerstoff auf. Korallenriffe starben ab. Gleich mehrmals scheint eine solche Atemnot den Riffen zu schaffen gemacht zu haben, 40 Prozent der Gattungen verschwanden.

Als Nächstes folgte das Artensterben vor gut 250 Millionen Jahren, das zusammen mit einem kleineren Artensterben vor 260 Millionen Jahren mehr als drei Viertel aller Gattungen vom Globus wischte. Über neunzig Prozent aller Arten verschwanden und sollten nie mehr auftauchen.

Auch die Korallen wurden hart getroffen. Über einen Zeitraum von sieben Millionen Jahren findet sich keine Spur mehr von ihnen, erst danach entwickelten sich wieder Riffe. Auch viele Schwämme waren verschwunden, einige davon tauchten etliche Jahrmillionen später erst wieder auf. „Lazarus-Effekt“ nennen die Forscher das, wenn Lebensformen scheinbar verschwinden und später wieder auferstehen. In Wirklichkeit hatten die Schwämme wohl überlebt, aber es gab zu wenige, um Spuren zurückzulassen.

Die Ursache für das größte Artensterben ist noch umstritten. Neben den Halogenkohlenwasserstoffen aus dem Zechsteinmeer fällt ein Verdacht auf die Sibirischen Basaltfelder: In wenigen 100 000 Jahren quollen dort Millionen Kubikkilometer Lava aus dem Boden, noch heute bedeckt eine kilometerdicke Basaltschicht zwischen den Flüssen Ob und Lena eine Fläche, die größer als Deutschland ist. Die Gase könnten den Globus wieder in ein Kühlhaus und danach in eine Sauna verwandelt haben und so das Artensterben ausgelöst haben, das den Weg für die Dinosaurier freimachte.

Auch die Ära der Dinos endete abrupt, als vor 65 Millionen Jahren ein mehrere Kilometer großer Meteorit in den Golf von Yucatan donnerte. Dort traf der Bolid unter anderem auf eine Gipsschicht, aus der er jede Menge Schwefelverbindungen herausschlug, die wiederum eine gigantische Schwefelsäurewolke in der Atmosphäre bildeten. Als unter diesen Wolken die Erde schlagartig abkühlte, überlebten die Dinos das nicht.

Auch die im Schatten der Dinos herumwuselnden Säugetiere wurden stark in Mitleidenschaft gezogen. Einige Arten aber trotzten den eisigen Winden. Doch hatten Schlangen und Krokodile den Einschlag des Meteoriten gut überstanden. Warum nicht sie, sondern die Säugetiere die Vorherrschaft übernahmen, dieses Rätsel müssen die Forscher noch lösen.

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